Karl Nolle, MdL

bild.de, 02.01.2012

Wulff-Anrufe lösen neue Debatte über Amtsverständnis des Bundespräsidenten aus

Kritik von Journalistenverband und Presserat ++ SPD kritisiert „Salami-Taktik“
 
Die jetzt öffentlich gewordenen Versuche des Bundespräsidenten, einen unliebsamen BILD-Bericht über seinen umstrittenen privaten Hauskredit zu verhindern, haben eine neuerliche Debatte ausgelöst – auch über das Amtsverständnis von Christian Wulff (52).

Wulff: „Pressefreiheit ist ein hohes Gut“

Das Bundespräsidialamt erklärte dazu: „Die Presse- und Rundfunkfreiheit ist für den Bundespräsidenten ein hohes Gut. Er hat deshalb zu den Krediten für sein Eigenheim und zu Urlaubsaufenthalten Transparenz hergestellt, Erklärungen abgegeben und mehrere Hundert Medienanfragen beantwortet. Über Vieraugengespräche und Telefonate gibt der Bundespräsident aber grundsätzlich keine Auskunft.”

Stellungnahme BILD in eigener Sache:
 
Der Wulff-Anruf beim BILD-Chefredakteur


In einigen Medien sind telefonische Kontakte zwischen Bundespräsident Christian Wulff und BILD-Chefredakteur Kai Diekmann zum Thema geworden.​

Richtig ist, dass BILD dem Bundespräsidenten vor der Veröffentlichung der Recherchen zu seinem umstrittenen, privaten Hauskredit Gelegenheit zu einer ausführlichen Stellungnahme gegeben hat. Eine solche Stellungnahme hatte der Bundespräsident am Montag, den 12. Dezember, zunächst abgeben lassen, dann aber kurz vor Redaktionsschluss wieder zurückgezogen.​

Im Anschluss daran versuchte der Bundespräsident, BILD-Chefredakteur Kai Diekmann direkt zu erreichen, der sich zu der Zeit auf einer Dienstreise befand. Als das nicht gelang, hinterließ der Bundespräsident eine längere Nachricht auf der Handy-Mailbox des Chefredakteurs.​

Der Bundespräsident zeigte sich darin empört über die Recherchen zu dem Hauskredit und drohte u.a. mit strafrechtlichen Konsequenzen für den verantwortlichen BILD-Redakteur. ​

Zwei Tage nach der ersten BILD-Veröffentlichung zu dem Hauskredit (Dienstag, 13.12. 2011) suchte der Bundespräsident erneut den Kontakt zum BILD-Chefredakteur und bat in einem Telefonat persönlich um Entschuldigung für Ton und Inhalt seiner Äußerungen auf der Handy-Mailbox. ​

Deshalb hat die BILD-Zeitung nach breiter redaktioneller Debatte davon abgesehen, eigens über den Vorfall zu berichten.​

Dieser Verzicht hatte und hat jedoch keinerlei Auswirkungen auf die weiteren Recherchen in allen offenen Fragen, die sich u.a. im Zusammenhang mit dem Hauskredit stellten oder noch stellen könnten.​

Die Chefredaktion​

Der Wulff-Anruf beim BILD-Chefredakteur Hintergrund: Wulff hatte unmittelbar vor der ersten Veröffentlichung zu seinem umstrittenen Hauskredit in einer Nachricht auf der Handy-Mailbox von BILD-Chefredakteur Kai Diekmann u. a. mit strafrechtlichen Konsequenzen für den Fall einer Veröffentlichung gedroht.

In einem weiteren Telefonat hatte Wulff auch beim Vorstands-Chef der Axel Springer AG (u. a. BILD, Welt), Mathias Döpfner, einen Stopp der Berichterstattung erreichen wollen.

REAKTIONEN

Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Michael Konken, kritisierte das: „Prominente müssen sich kritische Berichterstattung als Teil der Meinungsfreiheit gefallen lassen. Das müsste niemand besser wissen als der erste Mann im Staat.” Wulffs Versuche gegenüber BILD seien nicht vereinbar mit seiner Erklärung vom 22. Dezember, in der er die Bedeutung der Pressefreiheit ausdrücklich hervorgehoben habe, sagte Konken.

Auch die Deutsche Journalisten-Union und der Deutsche Presserat kritisierten das Verhalten Wulffs.

SPD-Fraktions-Vize Hubertus Heil erhöhte den politischen Druck auf den Bundespräsidenten. Heil: „Die Salamitaktik von Herrn Wulff im Umgang mit dieser Situation muss endlich ein Ende haben." Ganz grundsätzlich gelte, „dass ein Staatsoberhaupt nicht versuchen sollte, kritische Berichterstattung zu unterbinden. Das wäre unwürdig”.

Die SPD in Rheinland-Pfalz forderte von Wulff, endlich für klare Verhältnisse zu sorgen. SPD-Generalsekretär Alexander Schweitzer: „Entweder er befreit das Land von dieser peinlichen Debatte, indem er endlich alles bezüglich seines Hauskredites und seiner Einladungen transparent macht oder - wenn er dazu nicht imstande ist - er zieht zurück in sein Einfamilienhaus.”

SPD-Chef Sigmar Gabriel schaltete sich via Facebook in die Wulff-Debatte ein. Er zitierte Artikel 5 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Kritik kam auch von den Grünen. Bundesgeschäftsführerin, Steffi Lemke: Der Bundespräsident „muss sich nicht wundern, dass er von immer neuen Fragen überrollt wird, solange er keinen reinen Tisch macht und Informationen nur scheibchenweise herausrückt”.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Erwin Lotter hält Wulff endgültig für untragbar. „Der Präsident muss Schloss Bellevue räumen und als Privatmann ohne lebenslange Staatsapanage in sein Einfamilienhaus zurückkehren”, sagte Lotter. „Ich schäme mich, ihm meine Stimme gegeben zu haben.”

Aus den Reihen von CDU/CSU wurde Wulff zunächst vom Vorsitzenden der niedersächsischen CDU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, verteidigt. Er forderte ein Ende der Debatte: „Wir müssen zurückkehren zur Normalität und nicht jeden Tag nach einem neuen Skandal in dieser Geschichte suchen.”

Medienvertreter sind da anderer Meinung: Der frühere „Spiegel-Chefredakteur" Stefan Aust bezeichnete Wulffs Anrufe als „politisches Selbstmordkommando“: „Wenn jemand etwas auf den Anrufbeantworter spricht, dann muss er davon ausgehen, dass das irgendwann bekannt wird“, sagte Aust im Radiosender WDR 2.

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