Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 13.01.2012

Langer Prozess gegen Neonazi-Kameradschaft Sturm 34. Werden Prozesse wegen rechtsextremer Gewaltdelikte in Sachsen verschleppt? Oder reicht die Zahl der Richter nicht aus?

Mittweidas Bürgermeister legt sich wegen Verfahrensdauer gegen Neonazis mit Justiz und Politik an
 
Leipzig. Werden Prozesse wegen rechtsextremer Gewaltdelikte in Sachsen verschleppt? Oder reicht die Zahl der Richter nicht aus? Mittweidas Oberbürgermeister Matthias Damm (CDU) beklagt, dass eine Verhandlung gegen Angehörige der Neonazi-Kameradschaft Sturm 34 seit zwei Jahren nicht verhandelt wird und spricht von Justizskandal.

Im Moment herrscht Ruhe in Mittweida. "Die Sturm-34-Leute haben sich verzogen nach Chemnitz, Burgstädt und Limbach", sagt Oberbürgermeister Matthias Damm. Doch er traut dem Frieden nicht, erinnert sich noch gut daran, wie die Neonazi-Kameradschaft aus der Stadt eine "national befreite Zone" machen wollte. Auf "Skinhead-Kontrollrunden" suchten Neonazis nach Personen, die von rechtsextremer und rassistischer Ideologie nichts wissen wollten, und prügelten sie krankenhausreif. Bis zum Jahr 2006 ging das so. Im April 2007 wurde die Kameradschaft vom Innenministerium aufgelöst. Drei Täter erhielten im August 2008 wegen gefährlicher Körperverletzung und Volksverhetzung Jugendfreiheitsstrafen. Einer davon auf Bewährung. Zwei Angeklagte wurden freigesprochen. Es sollen V-Leute des Verfassungsschutzes gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft focht das Urteil an, weil nicht wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung bestraft worden war. Der Bundesgerichtshof sah das auch so und verwies das Verfahren zurück ans Landgericht Dresden. Am 3. Dezember 2009. Seitdem liegt es. Mittweidas Rathaus-Chef spricht von einem Justizskandal.

Wenn man solche Verfahren nicht in angemessener Zeit hinbekomme, brauche man gar nicht über ein NPD-Verbot nachzudenken. Damm ist selbst Rechtsanwalt, kennt die Gepflogenheiten bei Gericht. Er erhob beim Oberlandesgericht eine "Verzögerungsrüge". Die wurde formal abgewiesen, weil Damm kein Prozessbeteiligter sei. Das ist dem Bürgermeister aber egal. Er brachte das Thema zurück in die öffentliche Wahrnehmung. Nun entsteht politischer Druck. Denn Damm wandte sich mit seiner Beschwerde auch an Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Dessen Antwort steht noch aus.

Dafür äußert sich das Justizministerium. Minister Jürgen Martens (FDP) habe Verständnis für die Unzufriedenheit über die Verfahrenslage beim Landgericht Dresden. Gewaltdelikte müssten aus Gründen der Abschreckung und zum Schutz der Opfer zügig verfolgt werden. Kurzen Prozess machen, nennt sich das umgangssprachlich. Insgesamt lägen Sachsens Gerichte bei den Verfahrenszeiten aber meist unter dem Bundesdurchschnitt. Die Staatsanwaltschaft lässt ähnliches verlauten. "Wir wünschen uns, dass bei Gericht anhängige Verfahren zügig durchgeführt werden", sagt der Dresdner Oberstaatsanwalt Lorenz Haase. Auch er weiß, dass eine Verzögerung zur Strafmilderung führen kann und fragt sich: "Wie kann man heute noch erzieherisch einwirken, wenn eine längere Zeit zwischen Tat und Urteil liegt?" Mittlerweile sind dies über fünf Jahre. Da könnten bei Zeugen schon mal Erinnerungslücken auftreten. Haase glaubt aber nicht, dass die lange Dauer etwas mit dem Inhalt des Verfahrens zu tun hat.

Das will auch Marianne Thum nicht behaupten. Die Mitarbeiterin der Dresdner Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt will die Verzögerung des Sturm-34-Verfahrens nicht verallgemeinern. Sie habe aber so ihre Erfahrungen. So gebe es in Pirna mindestens einen weiteren Fall, bei dem ein Verfahren gegen rechte Gewalttäter seit dreieinhalb Jahren liegt, obwohl Anklage erhoben wurde. Für die Opfer sei dies unzumutbar, so Thum. Sie glaubt sogar, manche Betroffene würden aus Resignation erst gar keine Anzeige erstatten.
 
Ralf Högner, Sprecher des Landgerichts Dresden, verwahrt sich dagegen, mit seinen Richterkollegen als Prozessverschlepper zu gelten. Das Verfahren sei vom BGH zurückverwiesen worden und müsse nun von einer anderen Kammer verhandelt werden. Die habe aber vorrangig mit Drogendelikten zu tun, bei denen Angeklagte in Untersuchungshaft sitzen. Wenn nicht fristgerecht verhandelt werde, müsse die aufgehoben werden. Gefährliche Drogenhändler oder Kinderschänder kämen dann auf freien Fuß. Von "Überlastung" seines Hauses will er nicht sprechen, nur von "Belastung". Natürlich sei es leichter, "wenn die Arbeit auf mehr Personal verteilt werden kann", sagt er. Eine Bitte um Verstärkung habe das Gericht aber nicht ausgesandt. Der Sparzwang wird offensichtlich schon wie ein Naturereignis behandelt. Höhere Gewalt eben.

Immerhin verschickte der Gerichtspräsident eine Einladung - an Mittweidas Bürgermeister Damm. Der fährt demnächst nach Dresden, um sich mit den Richtern "zusammenzusetzen". Einen Verhandlungstermin für die Neonazis von Sturm 34 wird er nicht erfahren. Der steht noch nicht fest. Trotzdem ist Damm optimistisch: "Zumindest ein guter Anfang."

Von Andreas Friedrich