Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 13.01.2012

"Ein Hausfrauenreflex" - Beim Thema Schuldenbremse sucht SPD-Vize Stange die Kontroverse - auch mit Parteichef Dulig

 
Dresden. Seit längerem schon gärt in Sachsens SPD ein unterschwelliger Richtungsstreit. Auf der einen Seite stehen die Parteilinken um Ex-Wissenschaftsministerin und Landesvize Eva-Maria Stange, auf der anderen die Vertreter des eher gemäßigten Flügels um SPD-Chef ­Martin Dulig. Jetzt tritt der Konflikt erstmals offen zu Tage - beim Thema Schuldenbremse. Grund: Vor ­einigen Wochen hatte sich Dulig für eine solche Regelung ausge- sprochen. Stange lehnt das rigoros ab.

Frage: Ihr Parteichef Martin Dulig will die Schuldenbremse in der Verfassung festschreiben. Was halten Sie davon?

Eva-Maria Stange: Nichts. Denn aus meiner Sicht besteht derzeit überhaupt keine Notwendigkeit, eine Abstimmung über eine solche Regelung im Landtag zu treffen. Es ist vielmehr eine konstruierte Notwendigkeit, die von CDU und FDP ins Plenum getragen wird - aus rein populistischem Kalkül.

Was wittern Sie dahinter?

Das Argument der Befürworter einer Schuldenbremse lautet immer: Wir dürfen unseren Enkeln nicht einen Schuldenberg hinterlassen, der sie später handlungsunfähig macht. Ich bin selbst Mutter und Großmutter und mache mir auch meine Gedanken. Aber dennoch: Der immer selbe Satz, man soll nur so viel ausgeben, wie man eingenommen hat, ist ein Hausfrauenreflex. Denn was im Privaten sinnvoll ist, kann man für öffentliche Haushalte nicht 1:1 übertragen.

Warum?

Investitionen über Kredite zur Stärkung der Wirtschaft und der Bildung können durchaus sinnvoll sein. Außerdem: Im Grundgesetz ist die Schuldenbremse ab 2020 für die Länder bereits festgeschrieben. Hinzu kommt die vom Landtag beschlossene Sächsische Haushaltsordnung, wonach Einnahmen und Ausgaben ohne neue Schulden ausgeglichen sein sollen. Das reicht völlig.

Politisches Ringen um Schuldenbremse

Sachsens schwarz-gelbe Regierung will Vorreiter für ein generelles Schuldenverbot sein. Geplant ist deshalb, eine sogenannte Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern. Im Gegensatz zur Beschlusslage des Bundes, wo eine solche Regel erst in acht Jahren greift, soll sie im Freistaat sofort gelten. Folge: Alle Landesregierungen der Zukunft - egal welcher Couleur - wären daran gebunden, da für eine Neuverschuldung die Verfassung geändert werden müsste - eine enorm hohe Hürde. Denn dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag nötig. Das allerdings ist auch das derzeitige Problem der CDU/FDP-Koalition. Für die geplante Schuldenbremse müssen mindestens 88 von 132 Abgeordneten votieren, Schwarz-Gelb verfügt aber zusammen nur über 72 Stimmen - 16 zu wenig. Deshalb geht es nicht ohne die Opposition, Grüne und SPD vor allem. Und auch hier ist die Zustimmung aus beiden Lagern notwendig. Grund: Die Grünen bestehen aus neun, die SPD aus 14 Mitgliedern. Das macht den SPD-internen Zwist politisch brisant. J.K.

Stichwort Griechenland und Euro-Krise: Schuldenpolitik ist derzeit nicht besonders populär. Fürchten Sie nicht die allgemeine Resonanz?

Man wird doch wohl noch die These aufstellen dürfen, dass Kreditaufnahme für die öffentliche Hand ein sinnvolles Instrument politischen Handelns ist. Nehmen Sie nur das Konjunkturpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro. Dieses Instrument wurde 2008/09 eingesetzt, um die Wirtschaft und die Arbeitsplätze im Zuge der Krise nicht ins Bodenlose fallen zu lassen. Und das war natürlich kreditfinanziert, was denn sonst? Ähnliches gilt auch für den Bankenrettungsschirm. Das macht deutlich, dass es für die Politik selbstverständlich möglich sein muss, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten - und zur Not auch neue Schulden aufzunehmen. Denn wenn man das nicht täte, wäre der Schaden für die Menschen am Ende wesentlich größer.

Bei der Bevölkerung kommt es trotzdem schlecht an

Die ganze Debatte ist in Schieflage. Es ist doch klar, dass wir so verantwortlich agieren müssen, dass uns die Schulden nicht über den Kopf wachsen. Aber Sparen allein ist noch keine Politik. Überspitzt gesagt: Sachsen ist auf bestem Wege, einen schuldenfreien Haushalt zu hinterlassen. Aber wir hinterlassen diesen schuldenfreien Haushalt dummen Kindern. Denn diese hatten nie eine Chance, in vernünftigen Kindergärten, Schulen und Universitäten sich so viel Wissen anzueignen, um die Welt in 20, 30 Jahren sinnvoll zu gestalten. Investitionen in die Schulen, in gut ausgebildete Lehrer, in die Wissenschaft - in Köpfe und nicht nur in Beton - müssen auch in Zukunft möglich sein. Wir müssen beide Seiten ausbalancieren. Das ist die Verantwortung der Politik.

Sitzt die SPD in der Falle?

Höchstens in einer emotionalen Falle. Denn dieses Hausfrauendenken, das von CDU und FDP bedient wird, basiert auf sehr einfachen, primitiven Argumenten. Was das aber konkret für das staatliche und kommunale Handeln bedeutet, sagt keiner. Denn unter Umständen ist die Politik nicht mehr in der Lage zu handeln, weil es sich selbst Fesseln angelegt hat.

Zur SPD-internen Kontroverse: Wie wollen Sie die lösen?

Erstmal sind Kontroversen immer auch etwas Positives. Und ich halte dieses Thema für so wichtig, dass ich diese Debatte auch bewusst suche. Ich will, dass wir das Thema jenseits der Hausfrauenargumente ausdiskutieren. Zudem haben wir die Möglichkeit, diese Frage innerparteilich mit den Mitgliedern zu entscheiden.

Interview: Jürgen Kochinke