Karl Nolle, MdL
Thüringer Allgemeine, 16.01.2012
Nazi Terror Trio: "Fakten kommen nur schleppend"
TA-Interview mit Matthias Hey (SPD)
Matthias Hey ist ein gefragter Mann. Gerade eben hat ihn ein Redakteur der »Tagesthemen« befragt, jetzt reicht ihm sein Mitarbeiter das Telefon mit der Bemerkung: »Panorama« ist dran.
Gotha. Dem SPD-Landtagsabgeordneten und Vorsitzenden des Innenausschusses ist nach der ersten gemeinsamen Sitzung von Justiz- und Innenausschuss am Dienstag im Landtag der Kragen geplatzt.
Er sei hochgradig lustlos, sagt Hey vor laufenden Kameras, "weiterhin Sitzungen zu leiten, in denen ständig darauf verwiesen wird, dass Nachfragen nicht beantwortet werden können, weil der Generalbundesanwalt gerade ermitteln würde". Seit mehr als acht Wochen beschäftigt den Kommunalpolitiker die Neonazi-Mordserie. Klaus-Dieter Simmen unterhielt sich mit ihm zum Thema.
Ist es wirklich so frustrierend?
Das Faktensammeln erweist sich als sehr schleppend. Das ist eine Seite. Die andere Seite ist, dass sich aus meiner Sicht die Verantwortlichen zum Teil hinter den staatsanwaltlichen Ermittlungen und denen des Generalbundesanwaltes verstecken. Oftmals erfahren wir Details erst aus der Presse. Das Ganze hat für mich mittlerweile kabarettistische Züge angenommen.
Was ja der Ernsthaftigkeit des Themas nun gar nicht entspricht . . .
Richtig, aber leider ist es so.
Wer ermittelt denn nun und verhindert so wichtige Informationen?
Der Generalbundesanwalt ermittelt in der Aufklärungssache "Trio", abgeleitet von den drei Neonazis, das wissen wir. Was wir aber nicht wissen und derzeit auch nicht erfahren: Wo setzen seine Ermittlungen an? Schon beim Brand des Wohnwagens in Stregda, in dem dann zwei erschossene Bankräuber gefunden wurden, oder schon wesentlich früher? Jedenfalls kann sich Innenminister Geibert hinstellen und sagen: In einem laufenden Verfahren gibt es keine Auskünfte.
Was wissen Sie überhaupt bisher konkret?
Herzlich wenig. Wir wissen, dass ein Trio über ein Jahrzehnt durch Deutschland eine Spur von Raub und Mord gezogen hat. Dass es Geld von Unterstützern bekam, wissen wir auch. Wesentlich Neues erfahren aber selbst wir Abgeordneten meist vorab aus den Zeitungen. Das Rätselraten beginnt aber schon beim Wohnwagenbrand in Stregda. Die Aussagen sind unterschiedlich. Es gibt Augenzeugen, die berichten, dass kein Schuss gefallen sei. Andere wieder sagen, irgendwer habe auf Polizeibeamte geschossen. Und weshalb waren Feuerwehrleute eher am Wohnwagen als Ermittler? Es gibt hunderte von Fragen, bei denen wir im Dunklen tappen.
Führt das nicht dazu, den ganzen Bettel einfach hinwerfen zu wollen?
Nein. Wir sind Volksvertreter und es ist unsere Aufgabe, Licht ins Dunkel zu bringen. So schwierig sich das auch gestalten mag. Ein Fortschritt mittlerweile ist, dass Justiz- und Innenausschuss zum Thema gemeinsam zusammen kommen. Bislang hat jeder sein Wissen für sich genutzt.
Was nutzt das, wenn das Ministerium mit Blick auf laufende Ermittlungen mauert.
Ich denke, wir kommen nicht um einen Untersuchungsausschuss herum. Ende Januar tagt das Parlament. Dann wird sich eine Mehrheit dafür entscheiden, da bin ich sicher.
Werden Sie Mitglied eines möglichen Untersuchungsausschusses sein?
Ja, das hat mir mein Fraktionsvorsitzender schon angedroht (lacht).
Und dort gibt es mehr und vor allem wirksame Möglichkeiten, um an entsprechende Informationen zu kommen?
Sicher. Vorausgesetzt das Hauptanliegen des Ausschusses wird so exakt formuliert, dass den Befragten keine, aber wirklich keine Luft für Interpretationen gelassen wird. Darauf setze ich meine Hoffnung.
Könnte Thüringen auf diese Weise rehabilitiert werden?
Ach, sehen Sie, es ist natürlich betrüblich, dass Thüringen so im Fokus steht. Mich macht das auch sehr wütend, denn Unterstützer fand das Trio bundesweit und es lebte einen langen Zeitraum in Zwickau, also in Sachsen. Die Behörden dort haben genauso versagt.
An mangelnden Fähigkeiten kann es kaum gelegen haben, wie die sächsischen Justizbehörden im Fall von Pfarrer König aus Jena bewiesen haben.
Richtig. Da reiste ein ganzer Tross hochqualifizierter sächsischer Polizeibeamter nach Thüringen, riegelte dort sogar eine ganze Straße ab, um das Wohnhaus eines Pfarrers zu durchsuchen, der gar nicht zu Haus war. Über welch gigantische technische Mittel die Polizei verfügt, hat sie ebenfalls in Sachsen unter Beweis gestellt. Massen von Handydaten wurden bei den Gegendemonstranten eines Naziaufmarsches überprüft und ausgewertet.
Sie meinen, wenn Polizei oder Verfassungsschutz gewollt hätten, wäre dem Nazitrio rechtzeitig das Handwerk gelegt worden?
Ich meine, dass die technischen und personellen Voraussetzungen vorhanden sind. Warum sie nicht genutzt wurden oder welche Umstände es verhindert haben, müssen wir klären. Und zwar so schnell wie möglich. Davon dürfen uns auch die Steine nicht abhalten, die uns in den Weg gelegt werden.
Herr Hey, können Sie ruhig schlafen?
Also ich gebe zu: Je mehr ich mich mit dieser Mordserie befasse, umso größere Probleme habe ich immer öfter, in den Schlaf zu kommen.
Sie sind aus dem Gothaer Rathaus in den Erfurter Landtag gewechselt. Fehlt Ihnen das rote Rathaus von Gotha?
Ja, sehr sogar. Andererseits bin ich froh darüber, dass es mir gelungen ist, Gotha im Freistaat eine Stimme zu geben. Der Innenausschuss ist nur ein Teil meiner Arbeit. Der Haushalt ist ein weiterer und hier konnte ich viel für Gotha zu tun.
Klaus-Dieter Simmen