Karl Nolle, MdL

Agenturen, dapd, 17:26 Uhr, 18.01.2012

Regierung beschließt Neonazi-Datei - Innenminister Friedrich spricht von «nützlicher Ergänzung» im Kampf gegen Rechtsextremismus

BKA verspricht sich neue Erkenntnisse über Szene
 
Berlin (dapd). Als Konsequenz aus den Ermittlungspannen im Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle hat die Bundesregierung die Einrichtung einer Neonazi-Datei beschlossen. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach am Mittwoch in Berlin von einem «wichtigen Meilenstein» im Kampf gegen rechte Gewalt. Die Datei sei eine «nützlich Ergänzung» zu dem bereits eingerichteten Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus.

In der geplanten Datenbank sollen künftig all jene Rechtsextremisten aufgeführt werden, die einen klaren Bezug zur Gewalt zeigen. Eine rechtsextreme Gesinnung oder die Mitgliedschaft in der NPD reicht allein zur Nennung nicht aus. Diese Regelung setzte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in den Verhandlungen durch.

Das Verzeichnis wird für Ermittler bundesweit abrufbar sein. Das jetzt vom Kabinett gebilligte Gesetz soll noch vor der Sommerpause in Kraft treten, hieß es aus Regierungskreisen. Hintergrund ist die Mordserie der rechtsterroristischen Gruppierung «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU).

BKA ist von Erfolg der Datei überzeugt

Laut Friedrich verpflichtet das Gesetz die Sicherheitsbehörden, Einträge in die Verbunddatei zu machen. Experten versprechen sich davon, dass Erkenntnisse einzelner Behörden mit denen anderer verknüpft werden können. Zusätzlich erhalten die Ermittler ein Rechercheinstrument, welches ihnen tiefer greifende Analysen ermöglicht. Die Nutzbarkeit ist zunächst bis Januar 2016 begrenzt - dann soll geprüft werden, ob sich das Instrument zur Fahndung eignet. «Die Untergetauchten von damals wären heute in der Verbunddatei, spätestens seit bei ihnen Sprengstoff in der Garage gefunden wurde», sagte Friedrich mit Blick auf das Zwickauer Terroristentrio Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt.

Auch der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, zeigte sich vom Erfolg der Verbunddatei überzeugt. Die Datei werde «präventive Wirkung» entfalten. Die Behörden könnten nun Strukturanalysen etwa zu Reiseaktivitäten oder zu Beziehungsgeflechten von Rechtsextremisten anfertigen. Gerade für das im Dezember begründete Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, an dem 40 deutsche Sicherheitsbehörden beteiligt sind, sei die Datei ein «wichtiger Baustein».

Wie viele Rechtsextremisten die Voraussetzungen für einen Eintrag in das Verzeichnis erfüllen, lässt sich laut dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, derzeit kaum abschätzen. Er bezifferte die Gesamtzahl gewaltbereiter Rechtsextremisten in Deutschland auf rund 9.500.

Sowohl Ziercke als auch Fromm konnten sich eine Zusammenarbeit ihrer Behörden mit dem Untersuchungsausschuss im Bundestag gut vorstellen. Gleichwohl werde es Einschränkungen bei den Aussagegenehmigungen von Zeugen geben müssen, insbesondere dann, wenn es um den Schutz von Personen oder Quellen gehe, sagte Fromm.

Verbunddatei stößt auf geteilte Reaktion

Die Einrichtung der Verbunddatei stieß im Bundestag auf unterschiedliche Reaktionen. Mit dem beschlossenen Gesetzentwurf mache «die Bundesregierung deutlich, dass Rechtsextreme in unserem Land strikt verfolgt werden», sagte die Innenexpertin der FDP, Gisela Piltz. Hingegen kritisierte Jan Korte, Mitglied im Fraktionsvorstand der Linken, es sei ein «Armutszeugnis für die Bundesrepublik, dass wegen schlecht arbeitender Behörden nun Grundrechte eingeschränkt werden sollen».

Die Grünen begrüßten die Verbunddatei. «Das ist der richtige Ansatz, um offensichtliche Defizite beim Informationsaustausch wie im Fall der Zwickauer Terrorzelle zu vermeiden», sagte Innenexperte Wolfgang Wieland. Auf der Tagesordnung stehe jedoch «weiterhin ganz oben die lückenlose Aufklärung der Neonazi-Morde sowie die Rolle der Sicherheitsbehörden, insbesondere die Rolle des Verfassungsschutzes», sagte Grünen-Chefin Claudia Roth.

Die SPD signalisierte Zustimmung zur Neonazi-Datei. «Der Kompromiss ist völlig in Ordnung», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach bemängelte den Passus des Gesetzes, wonach in der Datei nur die Daten von Rechtsextremisten gespeichert werden dürften, die einen Gewaltbezug aufweisen. «Die rechtsextremistischen Hassprediger, die sich selber die Finger nicht schmutzig machen, aber andere zu radikalen Handlungen anstacheln, werden dadurch nicht erfasst», sagte Bosbach der «Neuen Westfälischen» (Donnerstagsausgabe). 

Von Joachim Peter

dapd/jop/cjt/kos
181726 Jan 12