Karl Nolle, MdL
Süddeutsche Zeitung, 25.01.2012
Wirbel um Verfassungsschutz: Linke-Abgeordnete mit geheimdienstlichen Mitteln überwacht
In Niedersachsen oberviert der Verfassungsschutz Linkspartei-Politiker wie Agenten, in der schwarz-gelben Koalition sorgt das Thema für Krach. Angereichert wird die Debatte durch Linken-Fraktionschef Gysi - für den ist der Verfassungsschutz nur noch ein "Pfeifenverein sondergleichen".
Der Umgang des Verfassungsschutzes mit Vertretern der Linkspartei sorgt für immer größeren Wirbel. Abgeordnete der Linken werden in Niedersachsen auch mit geheimdienstlichen Mitteln überwacht. Das bestätigte der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel, im Sender Radio Bremen.
Damit widerspricht er Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Der CSU-Politiker hatte zuletzt erklärt, dass die Linke nur durch die Auswertung von Reden und öffentlich zugänglichen Schriften und nicht mit geheimdienstlichen Mitteln beobachtet werde. Laut Wargel hält der niedersächsische Verfassungsschutz die Linke in bestimmten Teilen für verfassungsfeindlich. Insofern sei es erforderlich, die Partei zu überwachen.
Zuvor war innerhalb der schwarz-gelben Bundesregierung Streit entbrannt um die Beobachtung von Abgeordneten der Linken durch den Verfassungsschutz. Protagonisten sind die beiden Verfassungsminister: Innenminister Friedrich sagte, es gebe "erhebliche Hinweise" auf "verfassungsfeindliche Tendenzen" der Linken. Deswegen würden die Spitzen der Partei beobachtet. Das sei im Gesetz so vorgesehen, und daran werde sich auch nichts ändern. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte der Süddeutschen Zeitung gesagt, es sei "unerträglich", wenn langjährige Bundestagsmitglieder bis hin zur Vizepräsidentin überwacht würden. Die Arbeit frei gewählter Abgeordneter dürfe nicht beeinträchtigt werden.
Nach der Pannenserie um die Zwickauer Neonazi-Zelle sollte der Verfassungsschutz "selbständig seine Arbeit und seine Schwerpunkte überdenken".
Friedrich wies die Kritik seiner Kabinettskollegin als "einigermaßen abwegig" zurück. Wenn Abgeordnete nicht überwacht werden dürften, müsse dies auch für die Vertreter der NPD in den Landesparlamenten gelten, sagte Friedrich dem ZDF. "Und das kann ja nicht sein." An diesem Mittwoch wird sich das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages mit dem Fall befassen. Die Linke hat außerdem eine Aktuelle Stunde beantragt.
Die Partei reagierte empört auf Friedrichs Worte. "Es ist unfassbar, dass der Bundesinnenminister das Problem noch nicht begriffen hat", sagte Jan Korte, Mitglied des Fraktionsvorstandes und selbst unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Friedrichs "Mangel an Durchsetzungswillen bei der Aufarbeitung des Versagens von Sicherheitsbehörden im Kampf gegen mordende Neonazibanden und sein Vergleich der Linken mit der NPD" disqualifizierten ihn für seine Aufgabe. Er solle "andere ran lassen". Fraktionschef Gregor Gysi erneuerte seine scharfe Kritik am Verfassungsschutz. "Das ist ein Pfeifenverein sondergleichen. Der sollte sich auflösen", sagte er. Gysi sieht sich auch als Opfer nachrichtendienstlicher Ausspähung.
In der Fraktionsspitze der Union wurde indes betont, dass die Linke nicht überwacht, sondern nur beobachtet werde. Es würden also lediglich Zeitungsartikel und andere öffentlich zugängliche Informationen gesammelt. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagte, sie könne keinen neuen Sachverhalt erkennen: Die Linke werde bereits seit Mitte der neunziger Jahre beobachtet. Forderungen, die Beobachtung von Abgeordneten erst nach einer Zustimmung des Immunitätsausschusses zu erlauben, wies sie zurück. Ermittlungen wegen Straftaten und der Einsatz des Verfassungsschutzes seien nicht vergleichbar. Im Übrigen gebe es bereits das Parlamentarische Kontrollgremium zur Überwachung der Arbeit der Geheimdienste.
Am Dienstag wurde erstmals die gesamte Liste der 27 Angehörigen der Linksfraktion unter Beobachtung des Verfassungsschutzes bekannt. Es handelt sich überwiegend um Mitglieder der früheren Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Im Unterschied zu Fraktionschef Gysi, Vize-Fraktionschef Dietmar Bartsch und Ko-Parteichefin Gesine Lötzsch steht der Ko-Parteivorsitzende Klaus Ernst der Liste zufolge nicht unter Beobachtung. Das frühere SPD-Mitglied Ernst ist Mitbegründer der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), die 2007 mit der PDS zur Linken fusionierte. Ebenfalls nicht auf der Liste steht der Vize-Fraktionsvorsitzende Ulrich Maurer, ein ehemaliger führender Sozialdemokrat aus Baden-Württemberg.
Von Robert Roßmann und Daniel Brössler, Berlin