Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 17:12 Uhr, 26.01.2012

Spendenaktion für NSU: Die Treue der Kameraden

 
Die rechtsextreme Szene feiert die Zwickauer Terrorzelle, im Web sammeln Sympathisanten Geld für die inhaftierten Unterstützer des NSU. Fahnder suchen fieberhaft nach weiteren Verdächtigen. Im Visier steht das Umfeld des mutmaßlichen Helfers Ralf Wohlleben.

Hamburg - Sie formierten sich am vergangenen Samstag in der Bayerstraße in München, trugen schwarze Sonnenbrillen, schwarze Lederhandschuhe und schwarze Springerstiefel: 90 Rechtsradikale waren dem Aufruf zum Aufmarsch durch die Innenstadt gefolgt. Ihr Ziel: das linksautonome Kafe Marat. Ihr Motto: "Deutsche Freiräume erkämpfen für ein patriotisches Begegnungszentrum."

Ein 22-Jähriger aus dem nahegelegenen Ebersberg spielte während des Aufmarsches auf dem Lautsprecherwagen die Paulchen-Panther-Melodie ab, seine Kameraden grölten den Refrain mit: "Heute ist nicht alle Tage, ich komm' wieder, keine Frage." Es ist jenes Lied, mit dem die rechtsterroristische Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ihr Bekennervideo unterlegte, in dem sie sich zahlreicher Morde brüstete. Die Polizei stoppte den Zug, der 22-Jährige wurde wegen des Verdachts der Billigung einer Straftat vorübergehend festgenommen.

Die Braunen machen auf Rosarot, die Melodie der Zeichentrickserie mutiert zum neuen Kampflied. Die Unterstützung in der Kameradschaft geht jedoch weit über solche Solidaritätsbekundungen hinaus. Es gilt das Motto: In guten wie in schlechten Zeiten. Und so wird in der Szene zu Spenden aufgerufen für Ralf Wohlleben, Holger G. und André E., die als mutmaßliche Unterstützer des NSU gelten und in Untersuchungshaft sitzen.

So findet man auf der Profilseite eines Facebook-Nutzers den Eintrag: "Wir danken allen Kameraden, die sich an den Soli-Aktionen für unseren Kameraden Ralf Wohlleben beteiligt haben. Wir möchten zum Beginn des neuen Jahres noch einmal eine Spende an die Familie überreichen, da die Anwaltskosten vermutlich ins Unermessliche steigen werden und bitten alle Kameraden um Spenden."

"Ralf, halte durch!"

Der Rückhalt für den langjährigen NPD-Funktionär aus Jena scheint ungebrochen. An Weihnachten vermerkte jener Unterstützer ebenfalls auf seinem Facebook-Profil: "Auch in den Julfesttagen darf unser inhaftierter Kamerad Ralf Wohlleben nicht vergessen werden!!! Wir stehen geschlossen hinter Dir, Ralf - Halte durch - Wir denken an Dich!" Und: "Solidarität mit Ralf Wohlleben! Niemand sollte in Sippenhaft genommen werden, weil das System seine Büttel nicht mehr im Griff hat! Dieser Staat sollte sich schämen. Ralf, halte durch, wir stehen hinter Dir!"

Besondere Sorge gilt wohl Jasmin* Wohlleben. Die Frau des ehemaligen NPD-Politikers und Mutter der gemeinsamen Kinder, wurde kurz nach der Festnahme ihres Ehemannes fristlos gekündigt. Die Erzieherin klagte gegen den Träger der Kindertagesstätte.

Ihr Rechtsanwalt Hendrik Lippold gab am Donnerstag bekannt, dass sich die 31-Jährige mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber geeinigt habe. Details wollten beide Parteien nicht nennen. "Meine Mandantin ist mit der Lösung zufrieden", sagte Lippold und bestätigte, dass die momentan alleinerziehende Mutter und ihre sechs und vier Jahre alten Töchter von Spendern unterstützt werden. Einige von ihnen hätten gefragt, ob sie sich strafbar machen, wenn sie die Familie finanziell unterstützten.

Andere mutmaßliche Unterstützer haben dies vielleicht schon: Bei einer Razzia am Mittwoch haben mehr als hundert Polizisten in Chemnitz, Dresden, dem Erzgebirge, Jena, den thüringischen Gemeinden Laasdorf und Trockenborn-Wolfersdorf im Saale-Holzland-Kreis sowie im baden-württembergischen Ludwigsburg Wohnungen und Geschäftsträume durchsucht. Ermittelt wird seither gegen vier Personen, die im Verdacht stehen, für die mutmaßlichen Terroristen des NSU Sprengstoff und Schusswaffen besorgt zu haben.

Zwei von ihnen sind Frank L. und Andreas S., die bis 2009 in Jena ein Geschäft für Nazi-Devotionalien betrieben und zum Bekanntenkreis von Ralf Wohlleben zählen. Sie sollen mindestens bis 1998 engen Kontakt zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gehabt haben. Es besteht der Verdacht, dass sie dem NSU auch in der Folgezeit logistische Unterstützung zukommen ließen. Ein mutmaßlicher Unterstützer soll 2002 oder 2003 eine Pumpgun für das Trio beschafft haben.

Bisher ist kein Haftbefehl ergangen. "Noch besteht nur ein Anfangsverdacht", sagte Marcus Köhler, Sprecher der Bundesanwaltschaft. Erst müssten die sichergestellten Computer, Festplatten und Dokumente sowie CDs ausgewertet werden.

"Landser"-Vertreiber Jan W. im Visier

Auch die Wohnung von Jan W. soll durchsucht worden sein. Der 35-Jährige aus Chemnitz gilt als Größe in der braunen Musikszene, jahrelang war er führendes Mitglied der inzwischen verbotenen Neonazi-Organisation "Blood & Honour", Sektion Sachsen. In Berlin machte er sich einen Namen, weil er die Musik von "Landser" unter Neonazis brachte und verkaufte.

Die Band genießt in der Szene Kultstatus, sie war bis vor acht Jahren die erfolgreichste Nazi-Band und wurde 2005 vom Bundesgerichtshof als erste Musikgruppe als kriminelle Vereinigung eingestuft. In ihren antisemitischen Texten riefen sie zu Gewalt gegen Ausländer und die Organisatoren der Wehrmachtsausstellung, Hannes Heer und Jan Philip Reemtsma, sowie gegen den TV-Moderatoren Michel Friedman auf.

Jan W. soll den "Landser"-Mitgliedern durch seine Kontakte zur englischen "Blood-and-Honour"-Szene ein Aufnahmestudio in England vermittelt haben. Die verbotenen CDs vertrieb er anschließend über konspirative Wege in Deutschland und wurde 2005 dafür zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Auch in Ludwigsburg soll eine Wohnung durchsucht worden sein. Wie der SPIEGEL berichtete, hatten die Ermittler in den vergangenen Wochen eine Frau in der Stadt gesucht, von der Beate Zschäpe Feriengästen auf dem Campingplatz in Fehmarn erzählt hatte. Sie selbst sei öfter in der Stadt unterwegs gewesen, hat Zschäpe demnach behauptet. Heilbronn, wo 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen und ihr Kollege schwer verletzt wurde, ist nur rund 30 Kilometer von Ludwigsburg entfernt.

Nach Informationen von "Blick nach Rechts" gehört einer der vier Personen, gegen die nun ermittelt wird, der "Weißen Bruderschaft Erzgebirge" an, die als äußerst militant galt und Kontakte zum verbotenen "Blood & Honour"-Netzwerk gepflegt haben soll. Zudem, so berichtet "Blick nach Rechts", habe eine Verdächtige, Antje P., mit ihrem Ehemann in Aue-Schwarzenbeck einen Szeneladen betrieben.

Ziel der Razzia sei es, weitere Erkenntnisse über das NSU-Unterstützerumfeld zu gewinnen und Beweismittel dafür zu finden, dass die Beschuldigten dem NSU Waffen verschafft oder die Gruppierung logistisch unterstützt hätten, so Köhler von der Generalbundesanwaltschaft. Der spezielle Blick liege derzeit darauf, weitere Erkenntnisse zu bekommen, wie sich die mutmaßlichen Terroristen Waffen beschaffen konnten. Insgesamt werde inzwischen im NSU-Verfahren gegen zwölf Beschuldigte ermittelt.

Neue alte Heimat für die rechte Szene

Einige von ihnen kennen sich von Treffen im sogenannten Braunen Haus in Jena, Treffpunkt der rechtsextremen Szene in Thüringen und Ostdeutschland, eine zeitlang auch Vereinsheim der NPD Jena und der Kameradschaft "Freies Netz". Nach Informationen von Katharina König, Landtagsabgeordnete der Linken, hat die Stadt Jena nun bauliche Maßnahmen am Braunen Haus genehmigt. Seit 2008 war die Nutzung des Gebäudes aus baurechtlichen Gründen untersagt, die Tür ist versiegelt, die Szene trifft sich sporadisch in einem NVA-Zelt im Garten.

"Die Neonazi-Szene zeigt sich von den aktuellen Entwicklungen unbeeindruckt und festigt ihre Strukturen. Wir dürfen nicht vergessen, auch vor der eigenen Haustür nach den Rechten zu sehen: Was spielt sich derzeit um das Braune Haus ab? Woher beziehen die Nazis ihre finanziellen Mittel für Baumaßnahmen, Anwaltskosten und Spenden für Wohlleben, welche seit seiner Verhaftung gesammelt werden? Wer sind die Hintermänner?", fragt König.

Die Sprecherin für Antifaschismus der Linke-Fraktion im Thüringer Landtag fordert die Jenaer Stadtverwaltung deshalb auf, über die aktuellen Entwicklungen des Braunen Hauses detailliert aufzuklären. Eine Anfrage an die Jenaer Stadtverwaltung hat sie bereits gestellt.

Carsten S. beteuert seine Unschuld

Der in Düsseldorf lebende mögliche NSU-Unterstützer Carsten S. behauptet, er habe von den Straftaten der Zwickauer Terrorzelle nichts gewusst und sei über deren Aktivitäten extrem erschrocken. Das sagte sein Anwalt der dpa. "Ich bin im Jahre 2000 aus der rechten Szene ausgestiegen. Seitdem habe ich mich davon distanziert und verabscheue jegliche Art von rechtem, rassistischem und extremistischem Gedankengut", teilte er über seinen Anwalt mit.

Nach 2000 habe er keinen Kontakt mehr zur rechten Szene gehabt. "Mehr möchte ich dazu nicht sagen, da ich vor elf Jahren ein neues Leben begonnen habe." Carsten S., im Jahr 2000 angeblich stellvertretender Landesvorsitzender der NPD-Jugendorganisation, steht im Verdacht, die Zwickauer Zelle 1999 und 2000 mit Geld und Unterkunft versorgt zu haben.

Als Konsequenz aus den Ermittlungspannen im Fall des NSU setzte der Bundestag am Donnerstag einen Untersuchungsausschuss ein. Das elf Mitglieder umfassende Gremium soll unter anderem prüfen, wie die Sicherheitsbehörden künftig effektiver gegen rechts vorgehen können - und ob die Paulchen-Panther-Melodie auf den Index gehört.

Von Julia Jüttner

*Name nachträglich von der Redaktion geändert