Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 14.02.2012

Dresden wehrt sich gegen Neonazis

Friedlicher Protest - Zehntausende erinnern an Zerstörung
 
Dresden. Stilles Gedenken in Dresden. Zehntausende Menschen haben an die Opfer des Zweiten Weltkriegs und der Zerstörung der Stadt vor 67 Jahren gedacht. In die Hoffnung auf Frieden und Versöhnung mischte sich Protest gegen Neonazis. Die befürchteten Auseinandersetzungen blieben weitgehend aus - die Rechtsextremisten hatten nur eine geringe Zahl von Sympathisanten mobilisieren können.

Dresden im Ausnahmezustand: Schon am Morgen steht an allen Ecken und Enden Polizei, patrouillieren Sicherheitskräfte in Neu- wie Altstadt an sensiblen Orten - der Synagoge zum Beispiel. In der Nähe der Hauptbahnhofs sind Wasserwerfer postiert. Hier verläuft die geplante Route der Neonazis, und eben hier kann es am ehesten zu Ausschreitungen kommen.

Die Polizei hat einen Sicherheitsbereich eingerichtet, jeder Passant wird zumindest einer Sichtkontrolle unterzogen. Wer irgendwie auffällig ist - ob durch schwarze Kleidung oder mit­geführte Transparente -, wird aus nächster Nähe betrachtet. Die Befürchtungen, dass es zu ähnlichen Szenen wie 2011 kommt, ist auf beiden Seiten greifbar.

Während des Gedenktages hat es immer wieder heftige Auseinandersetzungen gegeben, allein im vergangenen Jahr wurden etwa hundert Polizisten verletzt. Der Grund war immer derselbe: punktuelle Randale, nicht zuletzt von linker Seite. Für zusätzliche Aufgeregtheiten im vergangenen Jahr hat die überbordende Sammlung von rund 1,1 Millionen Handydaten sowie die zum Teil bizarre Verfolgung von Blockierern aus dem linken Lager durch die Staatsanwaltschaft Dresden gesorgt. Einer, der dabei im Fokus stand, ist der Jugendpfarrer Lothar König. Der Geistliche aus Jena war im Vorjahr bei den Protesten am 19. Februar ins Visier der Ermittler geraten, weil er zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben soll - was Lothar König nachdrücklich bestreitet.

Der Jugendpfarrer steht gestern abermals kurzzeitig im Mittelpunkt: Er gehört zu einer Gruppe, die versucht, das Banner "Destroy the Mythos of Dresden" (Den Mythos von Dresden zerstören) zu platzieren. Hinter dem Mythos verbirgt sich die Anschauung, die Elbestadt sei im Februar 1945 kurz vor Kriegsende völlig grundlos Opfer alliierter Luftangriffe geworden - eine Version, die gern und oft von Rechtsextremen verbreitet wird. "Es war eine kleine Rangelei, keine Auseinandersetzung", beruhigt Lothar König, nachdem die Gruppe von der Polizei abgedrängt worden ist.

Die Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre haben die Stimmung eingefärbt. Antifaschisten haben so eifrig mobilisiert wie selten, am Ende sprechen Sicherheitskräfte von einigen Tausend dezidiert linken Gegendemonstranten. Dagegen sieht es zunächst so aus, als würden die Neonazis in diesem Jahr in Deckung bleiben. Am Sammelplatz treffen sich nur einige hundert Rechtsextremisten.

Als sich der braune Marsch am Abend in Bewegung setzt, um das Gedenken für seine ideologischen Zwecke zu missbrauchen, sind es plötzlich etwa 2500 Neonazis, die meisten weit unter 30 Jahren. In früherer Zeit waren es bis zu 7000 - der europaweit größte rechtsextreme Aufmarsch überhaupt. Gesichtet wird diesmal erneut der NPD-Bundeschef und sächsische Fraktionschef Holger Apfel, und in seinem Gefolge etliche Mitarbeiter der Rechtsextremen im Landtag. Die NPD hatte in diesem Jahr von allzu lauter Propaganda abgesehen, da Verfassungsschützer in Anbetracht eines möglichen Parteiverbots noch genauer als sonst hinsehen.

Stadtobere wie Bürger hatten durch jahrelange interne Streitereien sowie allgemeines Desinteresse erst dafür gesorgt, dass es an der Elbe zunehmend Randale geben konnte. Indem sie - im Gegensatz zu Leipzig - das Feld den Extremisten überließen, wurde die Landeshauptstadt eine Art Wallfahrtsort für "erlebnisorientierte" Demo-Touristen aus der gesamten Republik, die hier den jeweiligen politischen Gegner medienwirksam attackieren konnten.

Doch zumindest dies hat sich in diesem Jahr geändert: Wohl auch wegen der Mordserie des Neonazi-Trios aus Zwickau ist der Wille erkennbar, alle demokratischen Parteien, die Gewerkschaften und Kirchen zu einer gemeinsamen Aktion zu bewegen. Seit Tagen fordern deutlich sichtbar große Leinwände und Plakate zur friedlichen Gegenwehr auf, und auch die Polizei hat ihre Taktik ­geändert. Haben die Sicherheitskräfte die beiden Lager früher weiträumig durch die Elbe getrennt, konzentriert sich diesmal alles auf der Altstadt-Seite - beinahe in Hör- und Sichtweite. Und auch diese Strategie ist aufgegangen.

Von Jürgen Kochinke