Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 12:18 Uhr, 06.03.2012

Extremismus: Der Rechtsausleger

 
Bei den Ermittlungen zur Zwickauer Zelle stießen die Ermittler auf den Neonaziführer Thorsten Heise. Er gilt den Staatsschützern als einer der einflussreichsten Kader der Szene. Sein Beispiel zeigt, wie zaghaft der Rechtsstaat mit Rechten umgeht.

Hamburg - An einem Tag im Oktober, er hatte lange genug auf sich warten lassen, bewies die Staatsmacht zeitweilige Stärke. Mit mehr als 100 Beamten und schwerem Gerät rückte im Jahr 2007 das Bundeskriminalamt (BKA) im thüringischen Fretterode an. Die Beamten hatten die Order, das historische Gutshaus des damaligen NPD-Vorstandsmitglieds Thorsten Heise zu durchsuchen. Denn der Rechtsextremist stand wieder einmal im Verdacht, volksverhetzende CDs produzieren zu lassen.

Heise, ein gelernter Kommunikationselektroniker aus Göttingen, galt und gilt als eine der wichtigsten rechten Führungsfiguren in Deutschland. So lässt sich zum Beispiel in einem aktuellen Papier des Verfassungsschutzes nachlesen, wie sich auch die mutmaßlichen Unterstützer des Terrortrios "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) immer wieder hilfesuchend an Heise zu wenden gedachten. Mal sollte er angeblich gefragt werden, ob sein Anwesen den Untergetauchten als Versteck dienen könnte, dann wieder, ob seine Kontakte ins Ausland vielleicht nützlich wären.

Der 42-Jährige teilte indes auf Anfrage mit, er habe weder Uwe Böhnhardt noch Uwe Mundlos noch Beate Zschäpe persönlich gekannt.

Dennoch hält das BKA nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen den Extremisten im Fall der Zwickauer Zelle für eine interessante Figur. In der vergangenen Woche ist Thorsten Heise als Zeuge befragt worden. Er soll in den Jahren 2006 und 2007 regelmäßig telefonischen Kontakt unter anderem zu dem derzeit inhaftierten mutmaßlichen NSU-Helfer Ralf Wohlleben gehabt haben.

Dieser Umgang sei eine "reine Dienstbekanntschaft" unter NPD-Kadern gewesen, die sich auf Vorstandssitzungen beschränkt habe, erklärt hingegen Heise.

Heise profitierte von den Problemen der Ermittlungsbehörden

Der Neonazi weiß wohl sehr genau, dass er als Rechter vom Rechtsstaat auch diesmal nicht viel zu befürchten hat. Denn auffallend an Heises Vita ist nicht nur die Zahl seiner Verurteilungen, sondern vielmehr der Umstand, dass keine ihn von seinem Kurs abbringen konnte - vielleicht weil die Strafen zumeist ziemlich gering ausfielen? Die Göttinger Antifa jedenfalls nennt ihn ein "Justizwunder" und mutmaßt, dass staatliche Stellen den Radikalen protegiert haben könnten.

Dafür allerdings gibt es keinerlei Belege. Weitaus wahrscheinlicher ist es, dass Heise über viele Jahre hinweg von den drei Grundübeln der Ermittlungsbehörden profitierte: Kompetenzgerangel, Überlastung und Kleinmut.

Damals, im Herbst 2007, als man Heise strafrechtlich endlich gestellt zu haben schien, fanden die BKA-Ermittler im Anwesen des Neonazis nicht nur zahlreiche zweifelhafte Tonträger, sondern auch drei Waffen:

•Eine Pistole FN 10/22, Kaliber 7,65 Millimeter, lag zusammen mit 38 Patronen hinter einem Spiegel im Schlafzimmer.

•Eine in ihre Einzelteile zerlegte Maschinenpistole Uzi, Kaliber 9 Millimeter, entdeckten die Polizisten in einem Schacht, während die dazugehörige Munition im Futter eines Helms im sogenannten Rittersaal des Heise-Domizils steckte.

•Und schließlich nahmen die Beamten aus dem hauseigenen Museum noch ein historisches Maschinengewehr 34, Kaliber 7,92 Millimeter, mit.
 
Kriminaltechnische Untersuchungen des BKA ergaben später, dass es nach kleinen Veränderungen wieder hätte benutzt werden können.

Am Ende ihrer stundenlangen Durchsuchung, in deren Verlauf sie sogar Steinquader des alten Gemäuers hatten anheben lassen, wähnten sich die Beamten der Abteilung Staatsschutz am Ziel: Wegen der illegal besessenen Schießeisen, so glaubten sie, würde der Neonazi-Führer für lange Zeit ins Gefängnis gehen. "Bei seinen Vorstrafen rechneten wir fest damit", so ein Ermittler. Für die Szene wären es zwei wichtige Signale gewesen: Rechstaatliche Milde hat ihre Grenzen, wenn es um illegale Waffen geht. Und: Es trifft nicht immer nur die Mitläufer. Doch es sollte anders kommen.

Seinen Lebensunterhalt verdient er mit einem Versandhandel

Mitte der achtziger Jahre war der damalige Lehrling Thorsten Heise, der sich im Umfeld des Altnazis Karl Polacek radikalisiert hatte, erstmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ein Amtsrichter verurteilte ihn unter anderem wegen Volksverhetzung. Darauf folgten Schuldsprüche wegen Nötigung, Landfriedensbruch, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Diebstahls, Verstoßes gegen das Waffengesetz und immer wieder auch wegen Körperverletzung. Zumeist kam Heise allerdings mit Bewährung oder kurzen Haftstrafen davon.

1985 war der Göttinger zudem in die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) eingetreten und hatte dort schnell Karriere gemacht. Binnen zehn Jahren brachte er es zum Bundesorganisationsleiter, und als die Partei 1995 schließlich verboten wurde, eröffnete Heise mit Gesinnungsgenossen die "Kameradschaft Northeim". 2004 schloss er sich dann der NPD an. Sieben Jahre lang fungierte er als Beisitzer im Bundesvorstand und leitete das Referat "Freie Kameradschaften".

Seinen Lebensunterhalt verdient er zumindest teilweise noch immer mit einem Internet-Versandhandel, über den sich unter anderem sechs Euro teure Holzschwerter ("Für kleine Germanen"), schusssichere Westen (339 Euro, nur gegen Vorkasse) und fragwürdiger Lesestoff ("Die Kfz-Nummern der deutschen Wehrmacht") beziehen lassen.

Mehrere Verfahren wurden eingestellt

Zugleich deutet aber nach Erkenntnissen der Behörden einiges darauf hin, dass sein simuliertes Gutsherrenleben in historisch wertvoller Umgebung womöglich auch auf die Großzügigkeit betagter Altnazis zurückzuführen ist. Zum Gedenken an Panzer-Divisionen der Waffen-SS ließ Heise jedenfalls vor Jahren einen Gedenkstein auf seinem Grundstück errichten. Er selbst beantwortete eine Anfrage dazu lediglich mit einer Gegenfrage: "Was sind 'Altnazis' und wann beginnen (...) finanzielle Zuwendungen?"

Was die Schusswaffen in Heises Heim anbelangt, erwies sich das entsprechende Strafverfahren jedenfalls einmal mehr als ziemlicher Rohrkrepierer. Weil der Neonazi vor Gericht vehement bestritt und auch gegenüber SPIEGEL ONLINE noch immer bestreitet, der Besitzer der in seinem Schlafzimmer entdeckten Pistole zu sein, und sich weder seine Fingerabdrücke noch seine DNA-Spuren darauf fanden, wurde die Sache eingestellt.

Bei der in ihre Einzelteile zerlegten und nicht ganz vollständigen Maschinenpistole kam dem Radikalen nach der Erinnerung des zuständigen Staatsanwalts dann eine damals bestehende Lücke im Gesetz zu Gute. Das Maschinengewehr galt der Justiz als Dekorationsobjekt, das zwar nicht ganz fachmännisch unbrauchbar gemacht worden war. Es handelte sich allenfalls um einen Verstoß gegen eine Verwaltungsvorschrift.

Verurteilung wegen Volksverhetzung

Nach jahrelangem Ringen vor diversen Gerichten unterschiedlicher Instanzen verurteilte eine Kammer im thüringischen Mühlhausen Heise schließlich lediglich wegen Volksverhetzung. Der Rechtsaußen hatte demnach Tausende CDs der Band "Sturm 18" mit widerwärtigen Titeln pressen lassen. "Die Tonträger diskriminierten vor allem türkische Mitbürger und damit eine große Anzahl deutscher Staatsbürger", befand der Vorsitzende Richter - und verhängte erneut eine Bewährungsstrafe.

Bei Heises niedersächsischen Kameraden Dirk N. und Mario M. hatten die Ermittler zu diesem Zeitpunkt schon wieder ein erstaunliches Waffen-Arsenal aufgetan. Nachdem M. zur Feier seines Geburtstages mit einer Pump-Gun in einem Stripclub um sich geschossen hatte, rückten die Beamten mit einem Großaufgebot an. Sie fanden unter anderem eine Maschinenpistole, ein Scharfschützengewehr, einen Revolver und jede Menge Munition. Die Waffen hätten sie von Rockern und Zuhältern bekommen, sagte einer der Rechtsextremen später.

Und die Folgerung der Staatsschützer fiel zu diesem Zeitpunkt bereits ebenso eindeutig wie Besorgnis erregend aus: Waffen zu beschaffen - das war für Neonazis längst kein Problem mehr.

Von Jörg Diehl