Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 07.03.2012

Einen Deal wird es nicht geben"

Akten-Affäre: Prozess gegen zwei Zwangsprostituierte aus Leipzig auf Oktober verschoben
 
Dresden. In der sächsischen Akten-Affäre hat das Amtsgericht Dresden gestern ein weiteres Kapitel aufgeschlagen. Das Verfahren wurde aber schon nach anderthalb Stunden vertagt, Gründe wurden nicht genannt. Erst von Oktober an soll nun geklärt werden, ob zwei frühere Zwangsprostituierte Verleumdung begingen, als sie hochrangige Leipziger Juristen auf Fotos als Freier identifiziert haben wollen. Die Männer bestreiten das.

"Nein", sagt die junge Frau mit den kurzen blonden Haaren energisch, "einen Deal wird es nicht geben. Ich will, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Ich will einen Freispruch." Es sei empörend, dass die Anklage von Prostituierten spricht. "Wir sind in der Wohnung festgehalten worden. Man hat uns misshandelt, vergewaltigt, missbraucht." Anwalt Christian Braun assistiert seiner Mandantin. "Sie ist nicht bereit, als Opfer von Straftaten eine Täterrolle anzunehmen." Die junge Frau sei als Kind Opfer schwerster Kriminalität geworden. "Sie hat sich nicht hineingedrängt in dieses Verfahren. Sie ist da hineingezogen worden. Wir wollen den Versuch unternehmen, die Sache aufzuklären und sie zu rehabilitieren."

Auf der anderen Seite des Gerichtssaals sitzt ein älterer Herr mit grauen Haaren und militärischem Auftreten. Zwei dicke Aktenordner liegen vor ihm. Auch er will, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Auch er will rehabilitiert werden. Das gehe nur, wenn die junge Frau mit den kurzen blonden Haaren und ihre Mitangeklagte schuldig gesprochen werden. Auch der ältere Herr fühlt sich unschuldig in das Verfahren hineingezogen. Als untadeliger Jurist wurde er vor Jahren pensioniert. Bis sein Name deutschlandweit in den Medien auftauchte - als Stammkunde in einem Leipziger Kinderbordell.

Seit gestern verhandelt das Amtsgericht Dresden gegen die 35-jährigen Mandy Kopp und Beatrix E. wegen Verleumdung. Die jungen Frauen wurden vor rund 20 Jahren in Leipzig von einem brutalen Zuhälter gezwungen, sich zu prostituieren - im Bordell Jasmin an der Merseburger Straße. 1993 stürmte die Polizei die Räume und befreite die Mädchen. 1994 wurde der Zuhälter vom Landgericht Leipzig zu milden vier Jahren Haft verurteilt. Kopp will in dem Vorsitzenden Richter einen Stammkunden des Bordells wiedererkannt haben. Es handelt sich um Jürgen Niemeyer, damals Vizepräsident des Landgerichts Leipzig, heute 72 Jahre alt, grauhaarig, Nebenkläger in dem Prozess gegen die jungen Frauen. Damals sagte sie nichts. Erst 2000, als ein Leipziger Polizist den Fall wieder aufrollte, äußerte sie sich. Die Aussage wurde später einer der tragenden Säulen der "Sachsensumpf"-Affäre.

Christian Kohle von der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen wirft Kopp und E. vor, bewusst und vorsätzlich gelogen zu haben. 2008 waren die Frauen im Zuge der "Sachsensumpf"-Affäre noch einmal von der Generalstaatsanwaltschaft vernommen worden. Beide erkannten auf Fotos Niemeyer als Freier wieder. Und Norbert Röger, einst Oberstaatsanwalt in Leipzig, heute Präsident des Landgerichts Chemnitz. Der 2010 gestorbene Günther Schnaars, zuletzt Richter am Oberlandesgericht Dresden, sei mit dem Zuhälter befreundet gewesen, erklärte E. Die Frauen hätten sich in den Vernehmungen in immer mehr Widersprüche verwickelt, begründet die Generalstaatsanwaltschaft die Anklage. Der Ruf der drei Spitzenjuristen sei durch die Falschbeschuldigungen beschädigt worden.

Nach Verlesen der Anklageschrift unterbrach Helmut Dietz, Richter am Amtsgericht Dresden, die Verhandlung für ein sogenanntes Rechtsgespräch mit Staatsanwalt und Verteidigern. Nach zwei Stunden hob Dietz den Prozess auf und kündigte für den 4. Oktober einen Neubeginn an. Die Angeklagten hätten signalisiert, sich nicht zu den Vorwürfen äußern zu wollen. Nun müsse er Zeugen laden, das brauche Zeit, so der Vorsitzende.

"Das Gericht hat keinen Deal vorgeschlagen", sagte Braun über das Gespräch hinter verschlossener Tür, "aber wir haben über Möglichkeiten gesprochen, das Verfahren schonend zu beenden." Seine Mandantin ist Mutter von drei Kindern und lebt mit ihrem Partner in der Nähe von Koblenz. Ab Oktober einmal pro Woche für zwei Verhandlungstage nach Dresden reisen? "Es wird so kommen, wenn man sich nicht vorher auf eine Verfahrensbeendigung verständigt."

Niemeyer, 72 Jahre alt und als Rechtsanwalt in München tätig, wird nach Dresden kommen. Egal, wie viele Tage der Prozess benötigt. Niemeyer ist schon 2010 im Prozess gegen die Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt, die über die Vorwürfe gegen ihn berichtet hatten, Prozesstag für Prozesstag als Nebenkläger nach Dresden gekommen. Es geht ihm um seinen Ruf als untadeliger Jurist.
Kopp will kämpfen. Vielleicht, meint sie, würden durch ihr Beispiel noch andere Opfer an die Öffentlichkeit gehen. Blumen bekam sie wie auch E. vor Prozessbeginn überreicht - von Cathrin Schauer, Vorsitzende des Plauener Vereins Karo, der sich gegen Zwangsprostitution engagiert.

Standpunkt: Möglichkeiten für geräuschloses Ende

Die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen und Jürgen Niemeyer als pensionierter Richter müssen es wissen. Die früheren Zwangsprostituierten, beraten von Rechtsanwälten, sollten es wissen: Wie immer der Prozess wegen Verleumdung auch ausgehen mag, eines wird er nicht leisten - die Wahrheit ans Licht zu bringen. Ein Gerichtssaal ist kein Ort für Wahrheit. Hier geht es nur um prozessuale Wahrheiten. Wie viel lässt sich einem Angeklagten nachweisen? Wo liegen die Schwachpunkte der Anklage? Das sind die Fragen, auf die es Antworten gibt.

Niemeyer wird es nicht gelingen, den Beweis zu erbringen, nicht im Bordell gewesen zu sein. Wie soll sich der arme Mann denn gegen diese Anschuldigungen wehren? Der Generalstaatsanwaltschaft wird es nicht gelingen, den Angeklagten nachzuweisen, vorsätzlich gelogen zu haben. Wo ist das Motiv für eine bewusste Falschbezichtigung? Die Zwangsprostituierten werden nicht auf ihr ergreifendes Schicksal aufmerksam machen können. Das ist nicht Gegenstand des Prozesses.

Wenn niemand sein Ziel erreichen kann, sollten alle schauen, wie sie aus der Sache herauskommen, ohne das Gesicht zu verlieren. Die Strafprozessordnung bietet Möglichkeiten, das Verfahren geräuschlos zu beenden, wenn es nur alle wollen.

Von Thomas Baumann-Hartwig