Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 07.03.2012

U-Ausschuss zu Neonazi-Morden verzögert sich weiter

Debatte wegen Teilnahme der NPD / Inhaftierte Zschäpe muss vorerst nicht vor Thüringer Gremium aussagen
 
Dresden/Erfurt. Die Aufarbeitung der Neonazi-Mordserie durch den sächsischen Landtag verzögert sich weiter. Zwar soll heute ein U-Ausschuss zur Zwickauer Terror-Zelle auf Drängen der Opposition eingesetzt werden, einsatzbereit ist das Gremium aber frühestens im April. Grund ist ein Tauziehen hinter den Kulissen. Anders als in Thüringen haben CDU und FDP in Sachsen wenig Interesse an einem Ausschuss. Hinzu kommen erhebliche Bedenken, weil die rechtsextreme NPD mit drinsitzen wird - und so an hochsensible Daten gelangen könne.

Dagegen gehen Linke, Grüne und - etwas verhaltener - die SPD davon aus, dass dies kein Problem ist. Doppelte Begründung: Die Neonazi-Fraktion sei zu klein, um selbst Zeugen zu benennen; und geheimes Aktenmaterial, wie die Quellen der Verfassungsschützer, werde sowieso nicht präsentiert.

Dieser Zwist über Sinn und Unsinn der parlamentarischen Aufklärung gärt seit Monaten; gestern legte der FDP-Abgeordnete Tino Günther nach. "Das ist eine bodenlose Dummheit", sagte der Liberale. Die Neonazis kämen an Akten und könnten sich selbst kontrollieren. Die CDU sieht das ähnlich. "Die NPD sitzt mit am Tisch", meinte der Parlamentarische Geschäftsführer Christian Piwarz, "die Situation in Sachsen ist halt anders als in Erfurt oder Berlin."

Trotz dieser Bedenken steht aber längst fest, dass der U-Ausschuss kommen wird, so oder so. Denn er ist das verbriefte Recht der Opposition, diese könnte den Ausschuss auch gegen die Regierungsfraktionen durchsetzen. Unübersichtlich ist die Lage aber auch, weil sich selbst die Opposition lange nicht einig war. So wollte die Linke lieber einen bereits bestehenden U-Ausschuss erweitern, SPD und Grüne aber nicht. Mittlerweile hat die Linke eingelenkt, dafür hat nun die CDU ein Problem. Denn die Union stellt den Ausschuss-Vorsitzenden, einen Kandidaten dafür hat sie aber noch nicht.
Im thüringischen Untersuchungsausschuss ist die mit Spannung erwartete Vernehmung der mutmaßlichen Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe vorerst abgeblasen worden. Der Ausschuss hat die für kommenden Montag geplante Vorladung nach Erfurt bis auf weiteres ausgesetzt, bestätigte die Vorsitzende, Dorothea Marx (SPD). "Ihre Anwälte haben uns schriftlich mitgeteilt, dass sie nicht aussagen werde. Es wäre deshalb unverhältnismäßig, sie nach Erfurt zu bestellen." Erst vor drei Wochen hatte der Ausschuss bei seiner ersten Sitzung beschlossen, die einzige Überlebende der Zwickauer Terrorzelle als erste Zeugin vorzuladen.

Wie sich nun herausstellte, hatten die Abgeordneten den Geld- und Sicherheitsaufwand für die wohl am besten bewachte Frau Deutschlands unterschätzt. Zschäpe hätte zudem erst vom Bundesgerichtshof freigegeben werden müssen, wie man zu spät für eine fristgerechte Einladung in Erfurt erfuhr. "Wenn man den Landtag in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt, muss auch etwas dabei rumkommen", sagte die studierte Rechtsanwältin Marx. "Wir haben leider auch keine richtigen Zwangsmittel für jemanden, der bereits in Untersuchungshaft sitzt." Der Ausschuss hätte Zschäpe, die seit November 2012 in Köln inhaftiert ist, allenfalls mit Beugehaft drohen können.

Die Vorladung sei allerdings nur ausgesetzt, so Marx. "Da ist durchaus Musik drin. Sie ist diejenige, die vieles von dem weiß, was auch wir wissen wollen." Sollte es im Herbst zum Prozess gegen Zschäpe kommen, die wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verdächtigt wird, wolle der Ausschuss die Vernehmung möglicherweise nachholen. "Frau Zschäpe ist für uns die Zeugin Nummer 1. Sie kann 90 Prozent unserer Fragen beantworten", sagt

Ausschussmitglied Dirk Adams (Grüne). Als weitere interessante Kandidaten für eine Aussage gelten neben dem ebenfalls inhaftierten Jenaer NPD-Mitglied Ralf Wohlleben auch der ehemalige NPD-Vize Thüringens, Tino Brandt.

Jürgen Kochinke/Robert Büssow