Karl Nolle, MdL

Agenturen, dapd, 18:00 Uhr, 28.03.2012

Razzia bei ehemaligen V-Leuten wegen Betrugsverdacht - Ermittler durchsuchen Wohnungen von Rechtsextremen in Thüringen und Sachsen

 
Erfurt (dapd-lsc). Um kurz nach 6.00 Uhr klingelten am Mittwochmorgen die Ermittler. Insgesamt 144 Fahnder durchsuchten im thüringischen Rudolstadt und in Leipzig im Auftrag der Geraer Staatsanwaltschaft Wohnungen und Häuser bei den Neonazis Tino Brandt und Thomas Dienel. Die beiden ehemaligen V-Leute des Thüringer Verfassungsschutzes sollen Teil einer Gruppe sein, die sich gegenseitig über fingierte Vorfälle mit Versicherungsleistungen finanziert hat. Geprüft wird auch, ob mit dem Geld die Zwickauer Terrorzelle unterstützt wurde.

Thüringens Justizminister Holger Poppenhäger sagte, dass «möglicherweise ein neues kriminelles Betätigungsfeld der Geldbeschaffung der rechten Szene aufgedeckt» worden sei. Ob so rechtsextremistische Strukturen finanziert werden sollten, müsse nun untersucht werden. Es sei aber davon auszugehen, dass «Personen aus der Szene für eine Beteiligung an den Versicherungsbetrugsfällen gezielt angesprochen wurden». Dies mache einmal mehr deutlich, dass Rechtsextremisten nicht nur durch Propagandadelikte oder Gewaltkriminalität, sondern immer wieder auch durch allgemeine Kriminalität auffielen, sagte der Ressortchef.

Insgesamt richten sich die Ermittlungen gegen 13 Beschuldigte, wie Staatsanwalt Jens Wörmann auf dapd-Anfrage sagte. Der genaue Vorwurf lautet: Verdacht auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug. Unter den Beschuldigten seien auch mehrere Mitglieder der Familie Brandt - etwa der Vater und die Schwester von Tino Brandt. Sie alle sollen Firmen angemeldet und Bekannte, gegen die ebenfalls ermittelt wird, als Mitarbeiter eingestellt haben. Diese seien dann hoch versichert worden.

Bislang keine Verbindung zur Zwickauer Terrorzelle

Kurz nach Abschluss der Policen seien die Versicherten dann angeblich langfristig arbeitsunfähig geworden. Die Forderungen an die privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen summierten sich mittlerweile auf mehr als eine Million Euro. Eine der Versicherungen hatte Anzeige erstatte und die Ermittlungen so ins Rollen gebracht.

Wohin die Mittel gingen, ist laut Staatsanwaltschaft noch unklar. Bislang gebe es aber keinen Zusammenhang zur rechtsextremen Terrorzelle NSU, sagte Wörmann. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft lehnte eine Stellungnahme zu der Durchsuchungsaktion ab. Dies sei «kein Verfahren, das vom Generalbundesanwalt geführt wird», sagte sie auf dapd-Anfrage in Karlsruhe.

Brandt und Dienel sind frühere NPD-Funktionäre

Brandt war jahrelang im «Thüringer Heimatschutz» (THS) aktiv. Zu der Gruppierung gehörten auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die später als NSU-Mitglieder in den Untergrund gingen. Für seine Tätigkeit als V-Mann soll Brandt über die Jahre eine sechsstellige Summe erhalten haben. Der ehemalige NPD-Landesvize Brandt wollte sich auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd zu den jüngsten Vorwürfen nicht äußern.

Insgesamt wurden am Mittwoch sechs Objekte durchsucht und unter anderem Unterlagen und Computer beschlagnahmt. Teil der Aktion bei Brandt war zudem die Suche nach Waffen. Ein entsprechender anonymer Tipp sei bei der Staatsanwaltschaft eingegangen, hieß es. Dabei handele es sich aber um ein gesondertes Verfahren. Gefunden wurden etwa Macheten und eine Armbrust - all dies sei aber nach gegenwärtigem Stand «waffenrechtlich ohne Bedeutung».

Im Leipziger Stadtteil Gohlis war am Morgen die Wohnung des früheren Neonazis Thomas Dienel durchsucht worden. Dabei waren 25 Beamte im Einsatz. Insgesamt wurden in der Stadt zwei Objekte überprüft. Der Thüringer Dienel war zu Beginn der 1990er Jahre NPD-Landesvorsitzender. Auch er war als V-Mann für den thüringer Verfassungsschutz tätig. Dass sich die Behörde über Jahre mit dem vorbestraften Neonazi abgegeben hatte, führte 2000 zum Rücktritt des Verfassungsschutzchefs Helmut Roewer.

Von Jürgen Wutschke

dapd/T2012032800042/
jwu/cjt/ 281800 Mrz 12