Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 17.04.2012

Abgang eines Königs - Vor zehn Jahren beugte sich Regierungschef Biedenkopf dem Druck aus der eigenen Partei - und trat zurück

 
Dresden. Es war kein freiwilliger Rückzug: Vor exakt einem Jahrzehnt trat Sachsens erster Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) zurück. Mit Glanz und Gloria hatte er den Freistaat fast zwölf Jahre regiert, scheiterte aber schließlich am Gegenwind aus der CDU und an sich selbst. Ein Rückblick.

Es war ein langes, zähes Ringen, bis der Altmeister schließlich den Weg ans Pult fand. Als Kurt Biedenkopf seine Abschiedsrede als Regierungschef im Landtag hielt, war alles beinahe wie immer. Unten stand er, die Arme breit aufgestemmt und hielt eine mitreißende Ansprache; oben, auf der Gästetribüne, saß seine Gattin Ingrid, den Blick lächelnd auf ihren Mann gerichtet. Doch selbst ihre Verzückung konnte nicht darüber hinweg täuschen: Es war das Ende. Das Ende einer Ära, die grandios begonnen hatte, deren Zeit nach Affären und peinlichen Auftritten im Dutzend aber abgelaufen war.

Biedenkopfs Nimbus

Dabei verliefen die ersten Jahre für Biedenkopf bestens. Er war es, der dem Land seinen Stempel aufdrückte und den Sachsen ihren Stolz zurückzugeben vermochte. Auch gelang es ihm, industrielle Leuchttürme zu etablieren, auf die die anderen Ostländern nur neidvoll schauen konnten. Sachsen als Land voller Hightech, Wissen und Kultur - das war es, was König Kurt wollte. Damit strickte er am Ruf des Freistaats als Musterländle des Ostens - und nicht zuletzt an seinem eigenen. Das haben ihm die Sachsen gedankt. Biedenkopf hat im Freistaat eine Verehrung erfahren, die einmalig ist im demokratischen Deutschland. Noch nicht einmal seinen intellektuellen Hochmut haben sie ihm übel genommen. Wo auch immer er einflog, das Volk lag ihm zu Füßen.

Die zweite Chance

Ende der 80er Jahre sah die Welt für ihn noch anders aus. Nachdem er sich mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) angelegt und verloren hatte, schien Biedenkopfs Karriere beendet. Der CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen hatte ihn "verjagt wie einen Hund", wie er gesagt hat. Dass er nach 1989 eine zweite Chance erhielt, ist eine jener Geschichten, die nur in der Nach-Wende-Zeit möglich waren. Und die nutzte Biedenkopf. Während Ostländer wie Thüringen oder Sachsen-Anhalt von Krisen geschüttelt wurden, erschien Sachsen als Hort politischer Stabilität - mit der Union allein an der Spitze.

Die Stärken des Altmeisters

Dabei verstand es Biedenkopf, gute Leute zu fördern, zumindest in den 90er Jahren. Vor allem aber ließ Biko seine Fachminister an der lange Leine laufen, griff nur ein, wenn etwas schief zu gehen drohte. Dieses Rollenspiel beherrschte er grandios - ganz im Gegenteil zu den Nachfolgern Georg Milbradt oder Stanislaw Tillich (beide CDU).

Zerwürfnis mit Milbradt

Eben jener Milbradt war es, der das Ende der Ära besiegelte. Dabei war er als Finanzminister von Anfang an der zweite starke Mann, ein Sparkommissar, den Biedenkopf ebenfalls gewähren ließ, so lange dieser mitspielte. Das machte beide zu einem erfolgreichen Duo. Doch so gut, wie sie zueinander passten, so zermürbend wurde es, als sie sich Anfang 2001 entzweiten. Der Grund: Milbradt hatte sich erdreistet, über die Zeit nach Biedenkopf nachzudenken, schließlich war dieser damals bereits 70. Für Biedenkopf aber hatte Milbradt damit die rote Linie überschritten. Wer eigene Ambitionen hatte, ohne ihn vorher zu fragen, hatte am Hofe des Königs mit härtesten Sanktionen zu rechnen - wegen Majestätsbeleidigung. Und so spitzte sich die Lage 2001 zu. Erst verkündete Biko, Milbradt sei ein "hoch begabter Fachmann, aber ein miserabler Politiker", dann schmiss er ihn aus dem Kabinett.

Die Folgen des Eklats

Von diesem Schock hat sich die erfolgsverwöhnte Sachsen-Union bis heute nicht erholt, und erst unter Tillich beginnen die Verletzungen zu vernarben. Doch der Glanz von damals - so scheint es - ist dahin. Das liegt nicht nur am Verlust der absoluten Mehrheit unter Milbradt 2004, es liegt vor allem an dem, was folgte: ein gnadenloses Ringen um die Macht. Denn klar war: Milbradt war von einem Tag auf den anderen arbeitslos, hatte viel Zeit - und noch mehr Wut. Jetzt wollte er es seinem Ziehvater zeigen. Dabei entwickelte er ein strategisches Talent, mit dem kaum einer gerechnet hatte - am allerwenigsten König Kurt selbst.
Beginn der (Selbst-) Demontage

Es war der Anfang vom Ende. Ganz offensichtlich gefüttert von Milbradt-Getreuen aus den Fachministerien nahm sich die Opposition die Schwachstellen des Sachsen-Königs zur Brust - allen voran SPD-Mann Karl Nolle. Und so folgte Affäre auf Affäre. Erst war es die mögliche Einflussnahme rund ums Behördenzentrum in Leipzig-Paunsdorf, die Biko in die Defensive brachte; dann sorgte seine "Sozialmiete" im Gästehaus der Landesregierung für hitzige Debatten. Hinzu kamen Vorwürfe über Gratis-Reisen, Ikea-Rabatte, die Privat-Nutzung von Dienstfahrzeugen durch Ingrid Biedenkopf.

Machtverlust in zwei Akten

Am 15. September 2001 kam es dann zum Showdown Teil 1: Die Sachsen-CDU wählte Milbradt zum neuen Vorsitzenden, der Gegenkandidat von Biedenkopfs Gnaden, der damalige Umweltminister Steffen Flath, blieb chancenlos. Der zweite Akt folgte im März 2002. Da brachten Biedenkopf-Getreue den landespolitisch kaum relevanten Zwickauer OB Dietmar Vettermann in Stellung, als letzten Versuch. Doch auch dieser Coup misslang. Am 9. März nominierte ein CDU-Landesparteitag Milbradt als Biedenkopf-Nachfolger. Der Rest ist Geschichte.

Was bleibt

Von all dem ist heute, exakt zehn Jahre nach dem Rücktritt, nicht mehr viel zu spüren. Zwar reden Milbradt und Biedenkopf nach Aussage von Kennern der Szene noch immer nicht miteinander; zwar haben Biko und seine Gattin ihr Domizil in der Dresdner Altstadt geräumt und sind an den Chiemsee gezogen. Doch dem Freistaat ist Biedenkopf treu geblieben. In Dresden betreibt er eine Anwaltskanzlei - und wird hofiert wie in guten, alten Zeiten. Das demonstriert, was schon 2002, bei seinem letzten, schweren Gang ans Rednerpult, absehbar war: dass der Aufbau des Freistaats untrennbar verknüpft ist mit dem Wirken von Biedenkopf - und dass daran auch das unschöne Ende nichts ändert.

Von Jürgen Kochinke