Karl Nolle, MdL
Sächsiche Zeitung, 04.04.2012
Ministerpräsident Stanislaw Tillich: „Oben schlagen die Blitze eben zuerst ein“
(Vorbemerkung Karl Nolle: "Ein Ministerpräsident hat nichts auf dem Dach zu suchen (um auf den Blitz zu warten), sondern arbeitet in seinem Dienstzimmer, führt mit politischer Richtlinienkompetenz sein Kabinett und gibt seiner Regierung strategische Leitlinien vor - es sei denn, es regnet bei ihm rein, er hat einen heftigen Dachschaden bei seiner Regierung festgestellt oder er ist gar unter die Schlafwandler geraten, was sicher nicht alles gut fürs Land ist.)
Regierungschef Stanislaw Tillich in seinem Büro: „Jetzt sind Fachleute gefragt, da kann ich nicht Schiedsrichter spielen.“
Der Lehrermangel ist alarmierend, das Problem seit Monaten ungelöst. Erst warf der Kultusminister hin, dann geriet Ministerpräsident Stanislaw Tillich in die Kritik. Gegenüber der SZ äußert er sich erstmals zur Krise seiner Regierung.
Herr Tillich, wie geht es weiter in der Schulpolitik? Wie wollen Sie das Problem Lehrermangel lösen?
Wir bereiten jetzt erstmal das neue Schuljahr 2012/13 vor, damit es geordnet beginnen kann. Dabei hat die Kultusministerin die Unterstützung des gesamten Kabinetts, auch die des Finanzministers. Langfristig wissen wir, dass viele ältere Lehrer in den nächsten Jahren ausscheiden werden. Wenn wir unsere guten Schulen künftig sichern wollen, dann werden wir mehr junge Lehrer einstellen müssen. Und nicht nur das. Wir werden eine ganze Reihe von Maßnahmen ergreifen – mehr Lehrer ausbilden und dann auch ausreichend Stellen nachbesetzen. Alles in allem müssen wir eine Lösung anbieten, die deutlich über den Tag des Schuljahresbeginns hinaus reicht.
Der Lehrermangel ist schon seit Langem bekannt. Warum wurde der Knoten nicht längst gelöst?
Zunächst muss der wirkliche Bedarf geklärt sein. Dazu müssen jetzt alle Zahlen auf den Tisch – die des Kultus- und die des Finanzministeriums. Erst dann kann man sich auf eine gemeinsame Lösung verständigen. Dass das in der Vergangenheit nicht stattgefunden hat, das wissen wir.
Woran lag das?
Das müssen Sie die Handelnden fragen. Ich blicke nicht zurück, sondern bin froh, dass wir jetzt eine andere Situation haben. Die beiden zuständigen Minister sind bereit, miteinander zusammenzuarbeiten. Das ist die wichtigste Voraussetzung. Die Lösung wird gemeinsam von Bildungs- und Finanzpolitikern gefunden.
Warum war das bisher nicht möglich zwischen Finanzminister Unland und dem früheren Kultusminister Wöller?
Es gab Missverständnisse. Es mag auch der eine oder andere Fehler gemacht haben. Aber jetzt schauen wir nach vorn.
Hätten Sie da nicht früher eingreifen müssen, als sich die beiden ineinander verrannt hatten?
Ich habe den beiden gesagt: Ihr seid die Fachminister. Ihr kennt euch im Fachgebiet am besten aus, und ihr löst das Problem. So werden Entscheidungen getroffen. Es gibt viele Beispiele, dass es geht, dass sich zwei Fachminister einigen können, ohne dass der Ministerpräsident Schiedsrichter spielt. Und das erwarte ich nicht nur. Das ist die Voraussetzung für eine gedeihliche Zusammenarbeit im Kabinett.
Manchmal ist es einfacher, wenn ein Dritter einfach zwei Streithähne an den Tisch holt und das Problem klärt. Warum haben Sie das nicht getan?
Das habe ich sogar mehrfach getan, ich habe sie immer wieder aufgefordert, sich zusammenzusetzen und das zu lösen. Aber das ist jetzt Geschichte. Wir haben jetzt die Chance, die Dinge voranzubringen. Die Schüler, die in der vergangenen Woche in Sachsen demonstriert haben, und auch ihre Eltern können davon ausgehen, dass die Staatsregierung alles dafür tut, dass die Schule in Sachsen spitze bleibt.
Wie stellen Sie sich die Lösung vor? Wann wird es eine geben?
Wie die Lösung aussieht, das hängt eben von den Zahlen ab, die wir abgleichen. Was den Zeitpunkt angeht: Wir haben uns selbst dazu verpflichtet, bis zum 30. Juni eine Lösung vorzubereiten. Und ich bin sehr optimistisch, dass dies gelingt.
Wird möglicherweise doch ein weiteres „Bildungspaket“ geschnürt?
Also ob es eine zusätzliche Lösung geben wird oder innerhalb des Doppelhaushaltes, das vermag ich jetzt noch nicht zu sagen. Sie können aber davon ausgehen, dass wir in der Staatsregierung ein Interesse daran haben, die Diskussion zu beenden. Deshalb werden die Fachleute der Koalitionsfraktionen sich mit den beteiligten Ministerien um die Lösung kümmern. Was notwendig ist, wird eingeplant. Das ist sicher.
Das bedeutet am Ende aber vermutlich eine deutliche Aufstockung im Kultus-Etat?
Das wird man sehen. Frau Kurth macht jetzt erst einmal einen Kassensturz. Das kann am Ende auch mehr Geld bedeuten, das will ich nicht ausschließen.
Der Streit dreht sich ja seit einigen Wochen auch um die Lehrerzahlen, die im Umlauf sind? Stimmen die nun oder nicht?
Wir müssen jetzt erst mal aufklären. Jeder muss bereit sein, seine eigenen Zahlen zu erläutern, offen damit umzugehen, sie zu begründen, aber auch hinterfragen zu lassen. Ob der eine oder der andere recht hat – da kann ich nicht Schiedsrichter spielen. Jetzt sind erst mal die Fachleute gefragt.
Haben Sie mit dem Rücktritt von Roland Wöller wirklich nicht gerechnet? Sie hatten ihm den Staatssekretär weggenommen – wie hätte Roland Wöller da noch weitermachen können?
Ich habe mir mit meinem Amtsantritt das Recht genommen, nicht nur über die Minister, sondern auch über die Staatssekretäre entscheiden zu können. Ich halte den neuen Kultus-Staatssekretär Wolff für jemanden, der Probleme löst und sie nicht nur beschreibt. Darum ging es mir. Das war der Versuch eines Neustarts, mit neuen Leuten. Ich habe Roland Wöller auch dann noch gesagt, dass er nach wie vor seine Chance hat. Und dabei war für mich nicht erkennbar, dass er die Absicht hat zurückzutreten. Das hat mich in der Tat völlig überrascht.
Trotzdem hatte man den Eindruck, dass die Landesregierung kurzzeitig ins Trudeln geriet.
Das täuscht. Wir haben schnell entschieden. Anderthalb Tage später war die Position im Kultusministerium wieder besetzt. Wir haben nicht nur schnellstens die Handlungsfähigkeit der Regierung wiederhergestellt, sondern mit Frau Kurth auch eine sehr gute Wahl getroffen. Sie kennt sich in dem Metier bestens aus. Und jeder, der glaubt, sie habe keine Tuchfühlung im politischen Bereich, der unterschätzt sie.
Trotzdem mussten Sie viel Kritik in den vergangenen Wochen einstecken – auch aus der CDU. Von einer Kabinetts- ging’s direkt in eine Regierungskrise. Es fehle an Führung, heißt es immer wieder.
Man muss sich auch Kritik anhören. Und ich habe immer gesagt: Wer oben auf dem Dach sitzt, da schlagen die Blitze eben zuerst ein.
Da sind gerade ein paar eingeschlagen...
Ja, das habe ich gemerkt. Aber wissen Sie, jeder ist da anders, jeder hat eine andere Art zu führen. So hat auch jede Zeit ihre Politiker. Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt waren beide anders. Und ich werde nicht versuchen, einen von beiden zu kopieren. Ich habe eben meinen eigenen Stil. Ich setze vor allem darauf, dass ich Minister habe, die politische Verantwortung in ihrem Ressort auch eigenständig wahrnehmen. Sie sollen nicht meine Zuarbeiter sein, sondern besitzen einen Spielraum, für den sie selbst Verantwortung übernehmen.
Das nennen andere Aussitzen. Das führte bis hin zu einer kleinen Regierungskrise.
Aus meiner Sicht gab es keine. Die Regierung ist innerhalb von 48 Stunden wieder handlungsfähig gewesen. Und im Sachthema sind wir jetzt schon einen Schritt weiter. Jetzt müssen aber auch alle zu einer Lösung beitragen, nicht nur der Kultusminister, sondern auch der Finanzminister.
Mit Sachsens Schulsystem konnte man bisher sogar international gut punkten. Warum haben Sie das Thema dann aber so lange laufen lassen? So richtig Chefsache scheint es erst jetzt zu sein.
Bildung hat für mich oberste Priorität. Aber es bleibt die Verantwortung der beiden Fachminister. Sollte es notwendig sein, werde ich mich wieder einschalten.
Was erwarten Sie in dieser Situation von Frau Kurth?
Frau Kurth wird ihre Chance nutzen und ihren eigenen Weg gehen. Das erwarte ich von ihr. Schule ist spitze in Sachsen. Und Schule soll auch spitze in Sachsen bleiben. Darum geht es.
Wer bestimmt die Bildungspolitik in Sachsen? Der Ministerpräsident, die Kultusministerin oder der Finanzminister?
Wir haben im Doppelhaushalt damals drastische Einschnitte getätigt, nur in zwei Bereichen nicht: bei den Schulen und Hochschulen. Für mich hat Bildung Priorität. Das ist kein Lippenbekenntnis, sondern meine tiefe Überzeugung. Wir leben vom „Rohstoff Wissen“. Darum brauchen wir exzellente Schulen und Hochschulen.
Das Gespräch führte Annette Binninger.