Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 20.04.2012

Wenn Arbeit nicht zum Leben reicht: In vielen Branchen werden Tariflöhne bezahlt. Aber es reicht trotzdem kaum aus.

 
Mindestens 200 Stunden im Monat, lieber noch mehr, arbeitet Uwe Ziermann. Dennoch bleibt dem Wachschutzmann bei einem Brutto-Stundenlohn von sieben Euro kaum genug, um über die Runden zu kommen. Seine Lohnabrechnung für März weist bei 210 Stunden Arbeit einen Netto-Lohn von 1133 Euro aus. Dabei ist der Tariflohn des 48-Jährigen schon gestiegen, bis vor Kurzem waren es noch 6,53 Euro die Stunde. Würde er in Baden-Württemberg arbeiten, läge sein Lohn bei 8,75 Euro.

Seine Lebensgefährtin Gabriele reinigt sieben Stunden lang pro Tag Büros bei einem Halbleiterproduzenten. Auch sie wird nach Tarif bezahlt: 7,33 Euro pro Stunde. Als sie zuvor noch arbeitslos war, hat die Familie einen sogenannten Aufstockbetrag und Ermäßigungen für den Kindergartenbeitrag für ihren Sohn erhalten. Das fällt nun weg.

Uwe Ziermann ist eigentlich Facharbeiter für Transport-, Umschlag und Lagerwirtschaft. Doch in dieser Branche hat er gleich gar nichts gefunden. So hat er sich in Jobs im Handel, Vertrieb und Wachdienst sowie als Warenhausdetektiv durchgeschlagen, bis er vor etwa 15 Jahren einen Arbeitsvertrag der Dresdner Wach- und Sicherungs-Institut GmbH abgeschließen konnte. Ziermann hat sich weitergebildet und bei der Industrie- und Handelskammer die Prüfungen als Werkschutzfachkraft abgelegt. „Darauf bin ich echt stolz, dazu gehört nicht nur der Waffenschein, sondern reichlich Kenntnisse zu Gesetzen, man muss technische Anlagen wie Brand- und Einbruchsmelder sowie die Haus- und Klimatechnik beherrschen“, sagt er. Als er noch das Schloss Moritzburg und den Dresdner Zwinger bewacht hat, zählte der Abschluss. Doch jetzt ist er in der Marienallee, im früheren Gebäude der Sächsischen Landesbibliothek im Einsatz. „Die Auftraggeber sind der Meinung, ein normaler Wachmann reicht“, bedauert er. Mit anerkannter Prüfung würde er 61 Cent pro Stunde mehr erhalten.

Uwe Ziermann ist gewerkschaftlich aktiv: „Wir fordern unbedingt einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, zehn Euro wären angesichts der Inflation noch besser. Andere europäische Staaten machen uns das vor.“

Mindestlohn würde helfen

Von der Politik im Stich gelassen fühlt sich auch Arlett Ospel. Die Friseurmeisterin hat in Dresden zwei Salons und zahlt ihren Mitarbeiterinnen 5,16 Euro brutto. „Darüber wird sich oft aufgeregt. Aber wenn wir beispielsweise zehn Euro zahlen würden, dann müsste der Haarschnitt nicht 28, sondern 42 Euro kosten“, rechnet sie vor. Etwa eine Stunde Arbeitszeit wird dafür kalkuliert. Hinzu kommen Sozialausgaben und 19Prozent Mehrwertsteuer – in den Niederlanden beispielsweise gilt für Dienstleistungen der ermäßigte Satz von sieben Prozent. „Der größte Posten sind bei uns die Ausgaben für Strom, Gas und Wasser, die ständig steigen“, sagt Ospel.

Hinzu komme, dass in der Branche die Maßstäbe durch Billigfriseure verdorben werden. Möglich seien die Preise nur, weil diese ganz junge Friseurinnen einstellen und diesen bestenfalls den Anfangslohn von 3,82 Euro pro Stunde bezahlen. Die zumeist jungen Frauen müssen dann oft zum Jobcenter gehen und eine Aufstockung beantragen, um über die Runden zu kommen.

In Dresden gibt es derzeit nach Angaben der Agentur für Arbeit 39216 Menschen, die erwerbstätig sind und dennoch Hilfe vom Amt benötigen. Auch wenn darunter viele Geringverdiener und Nebenjobber sind, arbeitet mindestens ein Zehntel voll und wird nach Tariflohn bezahlt.

Von Bettina Klemm