Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 19.04.2012
Der Osten hinkt bei den Löhnen deutlich hinterher
Der Abstand soll aber in den nächsten Jahren verringert werden - in einigen Branchen sind 95 Prozent des Westniveaus möglich.
Dresden. Rund 20 Jahre nach der Vereinigung gibt es noch immer drastische Lohnunterschiede zwischen Ost und West. Das geht aus einer Untersuchung des
Instituts in Dresden hervor. Im Schnitt erhielten Arbeitnehmer im Osten 2009 nur einen Stundenlohn von rund 22 Euro, im Westen waren es hingegen knapp 27 Euro.
Joachim Ragnitz, Vize-Institutschef und Autor der Studie, führt den Rückstand von 20 und mehr Prozent auf eine „ungünstige Wirtschaftsstruktur" und die ,,eher geringe Leistungsfähigkeit der Unternehmen" zurück Dafür fielen aber die Lebenshaltungskosten und Mieten im Osten niedriger aus.
Wie Ragnitz gestern zur SZ sagte, erwartet er in den nächsten zehn Jahren eine Annäherung an die Westlöhne - ‚Aber keine Angleichung". Und: „Die Annäherung auf 90 bis 95 Prozent des Westniveaus wird für knappe Fachkräfte wie Ingenieure und Architekten schneller erfolgen als bei Massenjobs."
Laut der Studie werden die höchsten Löhne in Ballungsräumen wie München und dem RheinMain-Gebiet mit leistungsfähigen Großunternehmen gezahlt. Da ka pitalintensive Wirtschaft in Sachsen fehle, rangiere der Freistaat noch hinter Brandenburg, das von seiner Nähe zu Berlin profitiere.
Auch im Vergleich aller 413 Kreise und kreisfreien Städte liegt Sachsen-hinten. Chemnitz rangiert auf Platz 325, Dresden und Leipzig kurz dahinter, danach kommen Görlitz, Meißen, Bautzen, Mittelsachsen und Sächsische Schweiz/Osterzgebirge.
von Michael Rothe
Kommentar von Annette Binninger
Über die Unterschiede in Ost und West
Dauerhaft ungerecht
Viel versprochen, wenig gehalten. Alle Jahre wieder gibt es
die Ungerechtigkeit in der Lohntüte schwarz auf weiß: Der Osten darf zwar länger arbeiten, bekommt dafür aber weniger Geld. Alles wie immer. Die vollmundigen Nachwende-Versprechen von Politik und Arbeitgebern, die Löhne würden mit der Zeit angeglichen, der „Aufholprozess" an den Westen damit irgendwann abgeschlossen sein — alles Pustekuchen, auch nach 20 Jahren. Und wer ehrlich ist, muss zugeben: Die volle Lohnangleichung wird auch nicht mehr 'kommen. Dieser Zug ist längst abgefahren.
Heute muss man im Rückblick feststellen: Auch Sachsen hat sich einen Teil seines wirtschaftlichen Erfolges als „Musterländle" des Ostens von den Arbeitnehmern „erkauft" — durch geringere Löhne, schwächere Tarifbindung, längere Arbeitszeiten. Entstanden ist ein Paradies für Arbeitgeber — flexibel und günstig. Aber eben auch: Tausende von neuen Arbeitsplätzen. Wer in den harten Nachwende-Jahren Arbeitsplätze sichern oder schaffen wollte, der musste attraktiv sein. Niedrigere Stundenlöhne sind nun mal auch heute noch ein Standortvorteil im harten internationalen Wettbewerb, aber eben auch eine bittere Pille für viele Arbeitnehmer. Mit Gerechtigkeit hat das Ganze, schon gar nichts zu tun.
Hoffnung gibt es da nur eine: Spätestens der allgemeine Nachwuchsmangel, vor allem aber der Fachkräftemangel wird auch Sachsens Mittelständler zwingen, bei Gehaltsverhandlungen deutlich draufzulegen, wenn sie überhaupt noch Mitarbeiter dauerhaft an sich binden wollen. Nur wer sich jetzt frühzeitig.darauf einstellt, kann dauerhaft gewinnen.