Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 08.05.2012
Verdächtige NSU-Helfer blieben unerkannt
Sachsens Landesamt für Verfassungsschutz beobachtete jahrelang Personen, die heute als Unterstützer des Zwickauer Terror-Trios gelten – und hielt sie damals für harmlos.
Über die Ermittlungspannen bei der Verfolgung des Zwickauer Terror-Trios ist bereits vieles bekannt. Über Jahre hatten deutsche Sicherheitsbehörden gerätselt, wer hinter der Mordserie steht, der mindestens zehn Menschen zum Opfer fielen. Dass es sich um eine rechtsextremistische Vereinigung handelt, die sich selbst „Nationalsozialistischer Untergrund – NSU“ nannte, blieb lange unbekannt.
Eine aktuelle Spur dieses behördlichen Versagens führt nun auch direkt in den Freistaat. Genauer zum sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz. Ein neu aufgetauchtes Geheimdokument vom 24. November 2011 („VS – Nur für den Dienstgebrauch“) dokumentiert dabei, wie erfolglos sächsische Verfassungsschützer in dieser Angelegenheit über Jahre hinweg operierten. In dem streng vertraulichen Schreiben (AZ 029-S-540 003-3-6/11) informieren die Sachsen ihre Kollegen im Bundeskriminalamt unmittelbar nach dem Auffliegen des Zwickauer Terror-Trios darüber, welche Informationen man über mutmaßliche NSU-Helfer bereits in den eigenen Akten gesammelt hat.
Sieben Personen im Visier
Tatsächlich tauchen in dem Papier dann die Namen etlicher Personen auf, die heute unter dem dringenden Verdacht stehen, die rechten Terroristen aktiv unterstützt zu haben. Allen voran der von Mandy S., die NSU-Mitgliedern unter anderem einen Unterschlupf besorgt haben soll. Sachsens Verfassungsschützer hatten aber auch schon frühzeitig Verdächtige wie den in Zwickau lebenden André E., dessen Ehefrau Susanne und seinen Bruder Maik im Visier. Und in der Liste jener, welche man einst beobachtete und bei denen man heute NSU-Kontakte vermutet, stehen auch Jan W. sowie Kai S. aus Chemnitz, ein Ex-Freund von Mandy S.
Was angesichts der laufenden Ermittlungen gegen das NSU-Trio auf den ersten Blick vielversprechend klingt, hat aber einen gravierenden Nachteil: So räumt das sächsische Landesamt in dem Schreiben an das Bundeskriminalamt verbrämt eint, dass sämtliche Observationen schon vor Jahren beendet wurden. Im Fall von Mandy S. gaben sich die Beamten zum Beispiel damit zufrieden, dass die Frau in einem Gespräch am 29. Januar 2001 versicherte, sich von der rechten Szene abgewandt zu haben. Und weil die mutmaßliche Terrorhelferin den Verfassungsschützern damals auch sagte, sie sei nicht gewillt, jemanden zu verraten, wurde der operative Vorgang gegen sie zwei Tage später eingestellt.
Gleiches passierte nach einem Gespräch mit André E. im März 2003. Auch er meinte, angeblich keinen Kontakt mehr zu Personen der rechten Szene zu haben. Insgesamt, so geht aus dem Schreiben hervor, hatte Sachsens Verfassungsschutz zwar sieben Personen im Kontaktumfeld der NSU ausgemacht. Deren Beobachtung wurde jedoch zwischen 1995 und 2003 Schritt für Schritt ergebnislos eingestellt, weil man sie offenbar für harmlos hielt.
Den Verdacht, dass man einige Verdächtige einst nur laufen ließ, um sie später als V-Leute weiterzunutzen, weist das Landesamt jedenfalls bis heute zurück. Für Kritiker des Geheimdienstes bleibt damit der Vorwurf von Stümperei. Auch Karl Nolle, SPD-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss im Dresdner Landtag, ist bestürzt: „Dieser Bericht ans Bundeskriminalamt dokumentiert entweder das Versagen von Sachsens Verfassungsschutz, oder er entspricht nicht der Wahrheit. Beides wäre ein Skandal.“
Von Gunnar Saft