Karl Nolle, MdL

Agenturen, dpa, 16:27 Uhr, 08.05.2012

Dokument: Sachsen war möglichen NSU-Helfern früh auf der Spur

 
Bei der Aufklärung zur Neonazi-Terrorzelle stehen sächsische Behörden besonders im Fokus. Sie hatten potenzielle Helfershelfer schon zeitig im Visier und müssen sich nun unangenehme Fragen gefallen lassen.

Dresden (dpa) - Der sächsische Verfassungsschutz ist möglichen Hintermännern des Neonazi-Terrortrios aus Zwickau schon frühzeitig auf der Spur gewesen. Das belegt ein Dokument, über das am Dienstag mehrere Zeitungen berichteten. Demnach hatte der Geheimdienst des Freistaates im November 2011 - kurz nach Auffliegen der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) - dem Bundeskriminalamt (BKA) über Anwerbeversuche in der rechten Szene berichtet. Dabei tauchen auch eine Reihe von Namen auf, die als potenzielle NSU-Helfer in Betracht kommen, darunter der inzwischen inhaftierte André E. Allerdings sei es mit keiner Person zu einer Zusammenarbeit gekommen, hieß es im Schreiben der Verfassungsschützer.

Insgesamt enthält der Bericht die Namen von sechs Männern und einer Frau. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hatte zwischen 1995 und 2003 versucht, sie als V-Leute im Neonazi-Milieu anzuheuern. Allerdings ließen die Geheimdienstler vergleichsweise schnell wieder ab. In einem Fall hatte sich der Betroffene in der Szene selbst offenbart, ein anderer lehnte nach zwei Gesprächen ab. Bei einem weiteren Neonazi stellte der Geheimdienst nach geraumer Zeit fest, dass er tatsächlich ausgestiegen war. Zumeist reichte den Beamten aber schon das verbale Bekenntnis, man gehöre nicht mehr dazu.

«Die erfolgten Ansprachen sind ein übliches, rechtmäßiges Verfahren zur Informationsgewinnung eines Nachrichtendienstes», teilte das LfV Sachsen am Dienstag mit. Der Inhalt des Schreibens an das BKA gebe nur einen Teil der Bemühungen des Landesamtes wieder. Neben den «direkten Ansprachen» seien weitere Möglichkeiten der Informationsgewinnung genutzt worden. «Da das als Verschlusssache eingestufte Dokument mutmaßlich unrechtmäßig an die Öffentlichkeit gelangt ist, wird geprüft, ob Strafanzeige erstattet wird», hieß es abschließend.

Mit André E. führten die Beamten nach Aktenlage im März 2003 ein «Informationsgespräch». Er gab an, schon seit einem Jahr keinen Kontakt mehr zur rechten Szene zu unterhalten. E. steht im Verdacht, dem Trio - Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos - bei dem makabren Bekennervideo geholfen zu haben. Die Ermittler gingen bisher davon aus, dass es schon 2007 entstand. Die aus Jena stammenden Neonazi-Terroristen werden für eine beispiellose Mordserie und weitere Straftaten verantwortlich gemacht. Neun Menschen mit ausländischen Wurzeln und eine deutsche Polizistin starben.

Vertreter der Opposition im Landtag sehen erheblichen Klärungsbedarf. «Wie dilettantisch muss man eigentlich sein, erst nach einem halben Jahr zu merken, dass eine Zielperson gar nicht mehr zur Neonazi-Szene gehörte», sagte die Linke-Politikerin Kerstin Köditz. Sie berief sich zudem auf ihr intern zugespielte Papiere, wonach André E. sich seit langem im Blick von Geheimdienst und Staatsschutz befand. «Allerdings ist seine Rolle offenkundig deutlich unterschätzt worden.»

«Dieser Bericht an das BKA mit der Offenbarung, dass es spätestens seit Einstellung der operativen Maßnahmen in 2003 keine berichtenswerte Erkenntnisse des LfV zu den aufgeführten mutmaßlichen Unterstützern des Terrortrios gegeben habe, dokumentiert entweder das Versagen von Sachsens Verfassungsschutz oder er entspricht nicht der Wahrheit. Beides wäre ein Skandal», erklärte der SPD-Abgeordnete Karl Nolle. Grünen-Politiker Miro Jennerjahn hielt es für einen Skandal, dass er von Kontakten zwischen dem Geheimdienstlern und mutmaßlichen Helfern der Terrorzelle aus der Presse erfahren musste.

Die Linke in Thüringen hat ihre bisherigen Erkenntnisse zum NSU in einem Buch zusammengefasst. Der Sammelband «Made in Thüringen? Nazi-Terror und Verfassungsschutz-Skandal» erschien am 8. Mai zum Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Er enthält Beiträge von 24 Autoren, die offenen Fragen bei der Entstehung und Verfolgung des NSU nachgehen.

Autoren: Jörg Schurig

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