Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 31.05.2012

Polizisten riefen bei Beate Zschäpe an

 
Sächsische Beamte versuchten, die Rechtsextremistin zu erreichen. Allerdings wussten sie zu dem Zeitpunkt nicht, bei wem sie da klingelten.

Bei der Aufklärung der zehn Morde der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) tauchen immer neue Fragen auf. Sie kreisen letztlich alle um ein Problem. Warum konnten Ermittler das Trio nicht stellen?

Gestern sorgten Medienberichte für erheblichen Wirbel. Am Tag der Explosion des Zwickauer Wohnhauses, in dem sich die Neonazis über Jahre versteckten, sollen mehrere Anrufe auf dem Mobiltelefon von Beate Zschäpe eingegangen sein. Brisant ist: Die Nummern waren auf das sächsische Innenministerium zugelassen.

Das legt auf den ersten Blick den schier unglaublichen Verdacht nahe, dass sächsische Sicherheitskräfte nicht nur im Besitz der Nummer der gesuchten NSU-Frau waren. Wussten sie etwas über das Treiben von ihr und ihren Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos? Und warum meldeten sie sich ausgerechnet an jenem 4. November 2011, als sich die beiden Männer nach einem gescheiterten Überfall in Eisenach selbst töten und Beate Zschäpe offenbar ihren Unterschlupf in die Luft jagte?

Sachsens Innenministerium dementierte umgehend, dass sächsische Ermittler zu dieser Zeit von den Morden der NSU gewusst haben. Allerdings sei Zschäpe am Tag der Explosion tatsächlich von Polizisten angerufen worden. Beamte des Zwickauer Kriminaldauerdienstes hätten nach dem um 15.10 Uhr gemeldeten Feuer in der Frühlingsstraße 26 eine Nachbarin befragt und dabei den Hinweis auf eine Frau erhalten, die vor dem Brand das Haus verlassen hatte – die unter falschem Namen lebende Zschäpe. Über die Anwohnerin, die Zschäpes Identität nicht kannte, gelangten Polizisten an deren Mobilfunknummer. Mit zwei Handys versuchten die Beamten, die Flüchtige zu erreichen. Zschäpe wiederum rief per Handy einen mutmaßlichen Unterstützer an, vermutlich um ihm den Tod ihrer Komplizen mitzuteilen.

Gespräch über Waffen

Das Entscheidende an all dem ist: Die Ermittler, die es auch vom Festnetz versuchten, wussten nicht, um wen es sich handelt. „Eine Zuordnung der Rufnummer zu Beate Zschäpe war der Polizei vor dem Brand nicht bekannt, sondern wurde erst danach ermittelt“, betont der Sprecher von Innenminister Markus Ulbig (CDU), Frank Wend.

Auch die Zuordnung der Polizeitelefone ist erklärbar. Wend: „Es ist üblich, dass Diensthandys der Polizei auf das Ministerium zugelassen sind.“ Unklar bleibt aber, warum das Ministerium erst gestern Fragen beantwortete. Nach Aussage von Abgeordneten waren die per Funkzellenabfrage ermittelten Handydaten bereits bei der nicht öffentlichen Sitzung des Innenausschusses am Dienstag Thema. Dort nannte Ressortchef Ulbig offensichtlich keine Details.

Der SPD-Abgeordnete Karl Nolle bemängelte: „Ehrliche Aufklärung, die schon bei einfachen Fragen versagt, sieht anders aus.“ Seine Kollegin Kerstin Köditz (Linke) wies auf ein weiteres Problem im NSU-Umfeld hin. Ein 1998 in Chemnitz befindliches Handy sei nach Ulbigs Angaben auf das Innenministerium eines Bundeslandes – nicht Sachsen – angemeldet gewesen. Über das Gerät sollen einem Rechtsextremen der Gruppe „Blood and Honour“ Waffen zugesagt worden sein, wohl von einem Verfassungsschutzspitzel aus Brandenburg. Köditz: „Ich habe die Nase voll davon, dass fast täglich ein neuer Skandal öffentlich wird.“

Von Thilo Alexe