Karl Nolle, MdL

Freie Presse, 18.05.2012

Zweifel, wohin man schaut - Vor zwei Jahren wurde der Untersuchungsausschuss zum "Sachsensumpf" reaktiviert.

 
In ihrer 22. Sitzung versuchten die Mitglieder am Mittwoch erneut Licht ins Dunkel zu bringen. Im Mittelpunkt: ein Haus, Freundschaften unter Juristen und eine Zeugin, die sich im entscheidenden Moment nicht erinnern kann.

Dresden/Leipzig - Das Haus liegt mitten in der Innenstadt. Die nahe Kreuzung ist laut, Parkplätze sind rar, dafür kann man gute koreanische Küche genießen, im Erdgeschoss der Riemannstraße 52. Ein Eckhaus aus der Gründerzeit, saniert, wie so viele Gebäude in Leipzig, nichts Besonderes. Und doch beschäftigt sich seit geraumer Zeit ein Untersuchungsausschuss im Landtag mit dem Haus und seinen Besitzern: Die Riemannstraße 52 ist einer der Hauptschauplätze der so genannten "Sachsensumpf"-Affäre, die 2007 bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Von einem Netzwerk aus kriminellen Politikern, Juristen und Polizisten war damals die Rede. Von Amtsmissbrauch, Korruption, Kinderprostitution.

Über den Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen gibt es verschiedene Ansichten: Landesregierung und Generalstaatsanwaltschaft sehen keine Belege für kriminelle Netzwerke. Andere haken nach, allen voran Oppositionspolitiker.

Im Mai 2010 beschloss der sächsische Landtag die erneute Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. 19 Abgeordnete nahmen sich das 15.600 Seiten starke Dossier, das das Landesamt für Verfassungsschutz mit teils umstrittenen Methoden angelegt hatte, noch einmal vor. Nur ein Bruchteil war bis zum Ende der vorangegangenen Legislaturperiode ausgewertet worden. "Zu wenig Zeit, zu wenig Zeugen, zu viele Ungereimtheiten", sagt der Ausschussvorsitzende Klaus Bartl (Linke).

Heute ist Sieglinde Buchner-Hohner in die sechste Etage des Landtages bestellt worden. Eine Anwältin aus München, schwarzes Kostüm, Blick auf die Uhr. Der Untersuchungsausschuss hat gute Gründe, die 67-Jährige Rede und Antwort stehen zu lassen: Ihr Name taucht in den Akten auf, das Wort "Schlüsselfigur" fällt im Vorfeld ihrer Befragung ein ums andere Mal. Die Juristin jedoch verpasst jenen, die sich mit der Hoffnung auf neue Erkenntnisse tragen, gleich zu Beginn einen Dämpfer: Sie habe sich nicht vorbereiten können, zudem seien die Geschehnisse 20 Jahre her. "Ich bitte um Verständnis, dass ich mich nicht an alles werde erinnern können." Ein Affront für den Untersuchungsausschuss - schließlich sind seit der Einladung Monate vergangen.

"Würden Sie dieser Frau auch nur ein Fahrrad abkaufen?"
Karl Nolle Mitglied des Untersuchungsausschusses

Der Liebe wegen kam Sieglinde Buchner-Hohner 1992 nach Leipzig, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten - damals Vizepräsident des Leipziger Landgerichts. Buchner-Hohner arbeitete als Anwältin, setzte Restitutionsansprüche von Münchener Klienten durch, verliebte sich dabei in die maroden Gründerzeithäuser der Messestadt, wie sie sagt. Für 400.000 D-Mark erwarb sie ein Gebäude in der Münzgasse 11, sanierte es, zog mit ihrem Mann selbst dort ein. Früh fiel ihr das verwahrloste Nachbarhaus auf, sie befürchtete Schäden durch eine defekte Regenrinne oder ein Übergreifen des Hausschwammes. Das Haus nebenan ist die Riemannstraße 52. Die Juristin beschloss, auch dieses Grundstück zu kaufen. Sie war mit diesem Wunsch nicht allein.

Zwei Immobilienmakler aus Bayern hatten ebenfalls ein Auge auf das Eckhaus geworfen, sogar schon einen Kaufvertrag über 680.000 D-Mark mit den Alteigentümern abgeschlossen, nachdem das Amt für offene Vermögensfragen die Rückgabe an diese verfügt hatte. Dann aber schaltete sich die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) ein und verkaufte an Sieglinde Buchner-Hohner - für gerade einmal 360.000 D-Mark. Die Juristin hatte zuvor angegeben, behindertengerechte Sozialwohnungen bauen zu wollen, heute sieht sie darin einen möglichen Grund für den glücklichen Ausgang des Geschäfts.

Der für den Verkauf zuständige LWB-Manager indes wurde später niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt - ein Racheakt der düpierten Bieter. Ein Leipziger Gericht verurteilte die Attentäter zu lebenslanger beziehungsweise zu zwölf Jahren Haft. Die erst Jahre später ermittelten Auftraggeber kamen mit einer Zahlung von 2500 Euro davon. Warum die unverhältnismäßig harte Strafe gegen die Täter? Warum Nachsicht bei den Auftraggebern?

Im Prozess gegen die Täter wurde das Schussopfer von Sieglinde Buchner-Hohner vertreten. Der Richter war ein Freund ihres Mannes. Warum sie das Mandat übernahm, daran kann sie sich heute nicht mehr erinnern. "Vielleicht nicht meine klügste Entscheidung", gibt sie zu Protokoll. Sieht es doch so aus, als müsse sie sich für einen geglückten Deal und die daraus entstandenen Unannehmlichkeiten revanchieren.

Woran sich die Anwältin hingegen gut erinnert, sind Namen. "Damals gab es in Leipzig eine überschaubare Gruppe von Menschen, die die Stadt aufbauen wollte", sagt sie. Ihren Bekanntenkreis unterteilt sie in jene, die sie duzt, und jene, die sie noch siezt. "Ich bin eben eine konziliante Person", sagt sie. In den 90ern gab es Sommerfeste und Überraschungspartys zum Geburtstag ihres Mannes. Natürlich habe sie da das halbe Landgericht eingeladen.

"Würden sie dieser Frau auch nur ein Fahrrad abkaufen?", fragt Karl Nolle (SPD) als die Sitzung für eine Mittagspause unterbrochen wird. Seit Jahren stellt der Landtagsabgeordnete unbequeme Fragen, dokumentiert Zeitungsberichte zum "Sachsensumpf" auf seiner Homepage. Nolle glaubt, dass die Zeugin längst nicht so gutmeinend ist, wie sie sich in der Befragung präsentiert. Einiges spricht dafür.

"Nichts davon ist wahr. Es erfordert Contenance, sich das anzuhören."
Sieglinde Buchner-Hohner Zeugin

Ende 2009 wurde ein Bericht des Sächsischen Rechnungshofes öffentlich. Die Behörde kritisiert darin, für die Sanierung des Hauses in der Riemannstraße sei zu viel Fördergeld gezahlt worden. Die Eigentümerin habe nicht die Absicht gehabt, Wohnungen an Behinderte, Alte und sozial Schwache zu vermieten. Der Rechnungshof beanstandet "einen nicht gerechtfertigten Subventionsvorteil von rund einer Million Euro". Darüber hinaus habe Buchner-Hohners Firma beim Weiterverkauf geförderter Wohnungen "einen Überschuss von fast 600.000 Euro" erzielt.

"Den Bericht können sie in den Ofen tun. Nichts davon ist wahr", entgegnet die Juristin als das Dokument wiederholt zitiert wird. "Es erfordert Contenance, sich das anzuhören." Heute könne sie es sich nicht einmal erlauben in Rente zu gehen, weil die Wohnungen in der Riemannstraße nicht dauerhaft vermietbar seien. Die Parkplatzsituation, die viel befahrene Kreuzung - das alles schrecke Rollstuhlfahrer ab. Trotzdem seien die Wohnungen barrierefrei, Briefkästen und Türspion abgesenkt, der Fahrstuhl klein aber breit genug für einen Durchschnittsrollstuhl. So manchen Abgeordneten macht der Rechnungshofbericht dennoch nachdenklich. Wenn da etwas dran ist, dann vielleicht auch an anderen Vorwürfen?

Ein Name, den die Akten des Verfassungsschutzes ebenfalls immer wieder ausspucken, ist "Jasmin". So hieß ein Kinderbordell im Leipziger Westen. Anfang der neunziger Jahre mussten dort bis zu acht Mädchen anschaffen. Zu den Kunden sollen Juristen gehört haben. Auch Buchner-Hohners Ehemann wurde des Bordellbesuchs bezichtigt. Zwei ehemalige Zwangsprostituierte wollen den Richter und einen seiner Kollegen auf Fotos wiedererkannt haben.

Das Ehepaar bezeichnete die Vorwürfe als "infam und haltlos". Ähnlich sah es die Staatsanwaltschaft Dresden. Im April 2008 stellte sie alle Ermittlungen gegen die beschuldigten Juristen ein, wegen zu vieler Widersprüche. Stattdessen geht sie heute gegen die Zeuginnen vor. Beide müssen sich wegen Verleumdung verantworten, ebenso zwei Leipziger Journalisten, die in dem Fall recherchiert hatten. Nebenkläger ist in beiden Fällen der Ehemann von Sieglinde Buchner-Hohner. In beiden Fällen lässt er sich durch seine Frau vertreten.

Die Juristin kennt also die Vernehmungsprotokolle, in denen die Frauen davon berichten, geschlagen und in der Wohnung festgehalten worden zu sein. Dennoch spricht sie von "Mädels", die man angesichts ihrer "Vorgeschichte" kaum als Zwangsprostituierte bezeichnen könne. Ob das auch für die 14-Jährige gelte, die damals im "Jasmin" aufgegriffen worden sei, fragt Johannes Lichdi (Grüne). Freilich nicht.

Dabei ist das Milieu der Münchnerin nicht fremd. In der Münzgasse 11 vermietete sie im Frühjahr 1999 Räume im zweiten Obergeschoss zum Betrieb eines Erotik-Massage-Studios. Erst durch eine Polizeirazzia im Oktober 2000 wurde es geschlossen. "Das alles ist lange her", sagt Sieglinde Buchner-Hohner. Und Gerüchte lassen sich schwer aus der Welt schaffen: "Wer an den Sumpf glauben will, wird weiter daran glauben - egal was ich sage."

Von Ulrike Nimz