Karl Nolle, MdL
Süddeutsche Zeitung, 06.06.2012
Zwickauer Terrorzelle: Wetten mit Killer, Cleaner und Liese
Die Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt legten großen Wert auf Fitness und das richtige Gewicht. Aus einer Wette des Trios, bei der es ums Abnehmen ging, schließen die Ermittler, dass Zschäpe die Morde billigte. Der Wetteinsatz: 200 Videoclips schneiden.
Mit erheblichem Aufwand versuchen Ermittler, das Leben von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu rekonstruieren, um mehr Einblicke in den Alltag der Zwickauer Terrorzelle zu bekommen. Einige der Quellen sind nicht besonders zuverlässig und auch nicht frei von Widersprüchen. Auch scheint der Gang der Handlung weiterhin vielfältig verschachtelt und verfilzt. Alles in allem bleiben die Hauptfiguren schattenhaft, aber eines zumindest steht fest: Die Neonazis vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) legten großen Wert auf Fitness und wohl auch auf das richtige Gewicht.
Die beiden Männer, die zehn Menschen ermordet haben sollen, machten regelmäßig Kraftübungen, sie joggten und fuhren fast jeden Tag stundenlang mit Mountainbikes durch die Gegend. Auch Zschäpe trieb viel Sport und war eine leidenschaftliche Radfahrerin. Sie legte viel Wert auf gesunde Ernährung und bevorzugte Biokost.
Eine Wette zwischen Böhnhardt und Zschäpe, in der es offenkundig ums Abnehmen ging, bringt aus Sicht der Ermittler die 37-Jährige, die vermutlich an keinem der Tatorte dabei war, ein bisschen näher an die Morde. Auf einer im Brandschutt von Zwickau gefundenen DVD befinden sich unter anderem zwei Fotos, die den sehr schlanken Böhnhardt und die schlanke Zschäpe zeigen und "fett1.cpt" und "wette.cpt" benannt sind. Gegenstand der Wette war augenscheinlich, dass beide bis zum 1. Mai 2004 ein bestimmtes Gewicht erreichen wollten. Für den Fall des Scheiterns sollte der Verlierer "200 Videoclips schneiden".
Auf dem mit "fett1.cpt" benannten Bild ist mittig Zschäpe zu sehe. Links und rechts sind eine schlankere und eine dickere Zschäpe eingeblendet. Wesentlicher als das Foto ist der Text: "Killer setzt auf die Liese", "Cleaner setzt auf die Liese", "Liese setzt auf ihr Durchsetzungsvermögen: gegen Killer, gegen Cleaner". Wer Liese ist, war den Ermittlern rasch klar. Das ist der Spitzname von Zschäpe. "Cleaner" könnte Mundlos sein, und mit "Killer" war offenkundig Böhnhardt gemeint, der nach Zeugenaussagen sehr grimmig dreingeschaut haben soll, wenn er wieder vom Morden kam.
Wer die Wette gewonnen hat, ist nicht bekannt, aber die Schlussfolgerung, die eine Kriminaloberkommissarin in einem 158 Seiten langen "Personenbericht" über Zschäpe darlegte, ist beachtlich: Es gibt das Selbstbezichtigungsvideo der NSU, das die 37-Jährige nach dem Tod der beiden Männer im November verschickt hat. Das Video, zu dem es Vorgänger-Videos gibt, ist in siebenjähriger Heimarbeit entstanden. Wenn also der Wetteinsatz das Schneiden von Hunderten Videoclips ist, liegt die Schlussfolgerung nicht fern, dass beide Wetter sich aufs Bearbeiten solcher Filmchen verstehen. Und dass der grimmige Böhnhardt auf einem der Bilder als "Killer" bezeichnet werde, lasse "eine Akzeptanz der ihm vorgeworfenen Morde seitens Beate Zschäpe vermuten", mutmaßt die Ermittlerin.
Die Logik dieser Theorie ist allemal gewagt. Andererseits gibt es noch ein paar andere Indizien, die darauf hindeuten, dass sie wusste, was die beiden Männer, mit denen sie mehr als ein Jahrzehnt im Untergrund zusammenlebte und denen sie wohl nicht nur den Haushalt organisierte, so machten.
Mit zwei Katzen aus dem brennenden Haus
Seltsam und dunkel bleibt das alles doch, und zu der seltsamen Wett-Theorie passt auch das Ende der Zelle: Am 4. November 2011, jenem Tag also, an dem die beiden Männer eine Sparkasse in Eisenach überfielen und sich dann im Wohnwagen das Leben nahmen, als die Polizei näher rückte, hat "Liese" ab halb zwölf Uhr vormittags in der gemeinsamen Wohnung im Internet Nachrichten gesucht, um zu erfahren, was draußen los war. Um 13:50 Uhr wurde erstmals gemeldet, dass sich zwei Männer das Leben genommen hätten. Ab 14:13 Uhr recherchierte Zschäpe im Internet über "Biobauern Zwickau" und "Fleisch von freilaufenden Tieren Zwickau".
Um 14:30 Uhr fuhr sie den Rechner herunter. Sie zündete dann die Wohnung an und verließ gegen 15 Uhr mit ihren zwei Katzen das brennende Haus.
Von Hans Leyendecker