Karl Nolle, MdL
Berliner Zeitung, Seite 7, 16.06.2012
Geheimoperation "Rennsteig" in Thüringen - Nachrichtendienste haben Neonazis im Land intensiver beobachtet als bekannt - und Akten vernichtet
Geheimoperation in Thüringen Nachrichtendienste haben Neonazis im Land intensiver beobachtet als bekannt - und Akten vernichtet Deutsche Geheimdienste haben die rechtsextreme Szene in Thüringen um die späteren mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe deutlich intensiver aufgeklärt als bislang bekannt. Nach Informationen der Berliner Zeitung führte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gemeinsam mit dem Erfurter Landesamt und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) zwischen 1997 und 2003 die Operation "Rennsteig". Wichtigstes Zielobjekt war der "Thüringer Heimatschutz" (THS), zu dem auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gehörten, und in dem die drei Dienste zeitweise mindestens zehn V-Leute steuerten. Wichtige Akten dieser Geheimdienstoperation sind allerdings im vergangenen Jahr vom BfV vernichtet worden.
An die Öffentlichkeit ist über die "Operation Rennsteig" bisher nichts gedrungen. Weder BfV noch MAD haben ihr damaliges konzertiertes Vorgehen mit dem Landesamt (LfV) in Thüringen in den letzten Monaten offengelegt. Auch die vom Erfurter Innenministerium eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission um Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer wurde darüber offenbar nicht informiert - in ihrem ausführlichen Abschlussbericht finden sich keine Hinweise auf die Geheimdienstoperation. Martina Renner (Linke), Vizechefin des Erfurter Landtags-Untersuchungsausschusses, zeigte sich überrascht. "Im Ausschuss haben wir davon noch nichts erfahren, auch wenn wir aufgrund vielerlei Indizien schon immer den Verdacht hatten, dass auch Geheimdienste des Bundes im THS operierten", sagte Renner dieser Zeitung.
Ein Hinweis auf die "Operation Rennsteig" findet sich jetzt erstmals in einem als geheim eingestuften Bericht des BfV an den Generalbundesanwalt vom Dezember 2011, den die Berliner Zeitung einsehen konnte. In dem teilweise geschwärzten Bericht heißt es: "Im Rahmen der operativen Zusammenarbeit des BfV mit dem LfV Thüringen und dem MAD unter der Bezeichnung "Rennsteig" von 1997 bis 2003 hat das BfV ... Werbungsfälle mit THS-Bezug eröffnet, aus denen ... erfolgreiche Werbungsmaßnahmen resultierten." Die konkreten Zahlen sind geschwärzt. Doch lässt sich nachvollziehen, dass es sich um mindestens acht geworbene V-Leuten handelte, von denen sechs durch die für Rechtsextremismus zuständige Referatsgruppe 2B geführt wurden; weitere zwei geworbene V-Leute wurden an das LfV Thüringen übergeben. Das LfV besaß zu diesem Zeitpunkt aber bereits einen Informanten im THS: den THS-Anführer Tino Brandt, der 1994 angeworben wurde.
Auch der MAD hatte über Jahre hinweg einen V-Mann im THS. Vor dem nichtöffentlich tagenden Verteidigungsausschuss informierte MAD-Präsident Karl-Heinz Brüsselbach Ende November 2011 die Bundestagsabgeordneten, dass diese Quelle von Mai 1999 bis Mai 2003 geführt worden sei.
"Dienstlich nicht mehr nötig"
Sämtliche im Rahmen von "Rennsteig" gewonnen Informationen liefen beim BfV zusammen, weil das Bundesamt die Federführung in der Operation hatte. Laut BfV-Bericht allerdings hat das Referat 2B im letzten Jahr Fallakten aus den Jahren 1997 bis 2001 vernichtet, da sie "dienstlich nicht mehr notwendig waren".
Sieben dieser Fallakten betrafen die "Operation Rennsteig". Auch weist die V-Mann-Datei Lücken auf. Dem BfV-Bericht zufolge seien einige V-Leute "aus operativen Gründen nicht in der Datei enthalten". Dies betrifft offenbar auch die Spitzel aus dem THS, so dass heute nicht mehr eindeutig nachzuvollziehen ist, welche Quellen das BfV dort führte. Dass man im THS überhaupt V-Leute hatte, sei "erst durch eine Befragung damaliger Mitarbeiter in Erfahrung gebracht" worden, so der BfV-Bericht.
Autor : Andreas Förster