Karl Nolle, MdL
Die Welt, 09.05.2001
In Sachen Glaubwürdigkeit gelten in Sachsen eigene Regeln
Die "Basta"- Mentalität des Kurt Biedenkopf
DRESDEN. Oft sind es kleine Verfehlungen, die gravierende Folgen haben. Jürgen Möllemann (FDP) etwa wurden Plastikchips für Einkaufswagen zum Verhängnis. Das „pfiffige Produkt" eines Neffen, in einem amtlichen Werbebrief angepriesen, kostete den Wirtschaftsminister den Job. Mit der Traumschiff-Affäre ging Lothar Späth (CDU) baden. Der Stuttgarter Regierungschef ließ sich Dienstflüge sowie eine Ägäis-Tour von Firmen bezahlen. Den Niedersachsen Gerhard Glogowski (SPD) brachten freie Opernbesuche und ein gesponsertes Hochzeitsfest, den Bayern Max Streibl (CSU) die mangelnde Distanz zu Amigos um die Posten.
Für die politisch Mächtigen, die trotz enormen Arbeitspensums oft schlechter bezahlt werden als Sparkassenvorstände, gelten besonders strenge Maßstäbe. Kann doch ihre Glaubwürdigkeit, wie Klaus Bölling, Chef des Bundespresseamtes unter Kanzler Helmut Schmidt, einmal geschrieben hat, auch durch schlechten Stil Schaden nehmen. Diese unerbittliche Logik nimmt wenig Rücksicht auf erworbene Meriten. Im Freistaat Sachsen gelten da freilich andere Regen. Den Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) und seine Gattin Ingrid, die offenbar seit Jahren Privates -und Dienstliches zu Lasten der Staatskasse vermischen, scheinen derartige Stolpersteine nicht zum Sturz zu bringen.
Erwiesene Verfehlungen sollen nun mit in Betracht gezogenen Nachzahlungen für die private Nutzung von Landespersonal und Dienstwagen sowie die kostenlose Verwandten-Unterbringung wieder aus der Welt geschafft werden. Dem an einem Dresdner Elbhang gelegenen Regierungshotel, in dem das sächsische Regentenpaar zu einmaligen Vorzugskonditionen in einer Dienstwohnung residiert, droht jetzt die Schließung. Dabei hatte der Rechnungshof bereits Mitte der Neunziger die preisgünstige Nutzung gerügt und auf enorme Kosten hingewiesen, die das Objekt für den Freistaat verursacht. Als angemessenes Entgeld wurde für 1993 ein Vollkostenpreis von 92 Mark je Quadratmeter ermittelt. Zuletzt zahlten die Biedenkopfs, bezogen auf 155 Quadratmeter - genutzt werden kann eine Fläche von insgesamt 240 Quadratmeter -, jedoch lediglich 8,15 Mark.
Die Schlagzeilen-trächtigen Vorwürfe der Vorteilnahme qualifizierte der Sachsen-Herrscher kurzerhand als eine „sehr unschöne Debatte mit sehr wenig Inhalt" ab. Anschließend ging er - ohne zur Sache selbst Stellung genommen zu haben einfach zur Tagesordnung über. Erst gestern sah er sich angesichts des wachsenden . Drucks genötigt, sich erstmals seit sechs Wochen den Fragen der Journalisten zu stellen. Ganz ähnlich hatte Biedenkopf im letzten Jahr taktiert und versucht, die Diskussion um die eigene Nachfolge zur „Causa finita" zu erklären - weitere Fragen unerwünscht.
Mit dem mit drohendem Unterton vorgetragenen „Und damit basta!" käme der Polit-Profi im Westen wohl kaum durch. Doch im Osten wird die vordemokratische` Attitüde, die „König Kurt" mit der ultimativen Schlussstrichforderung an den Tag legt, von nicht wenigen Kräften in der Gesellschaft widerspruchslos hingenommen. Insbesondere in der eigenen Partei sowie in der mit absoluter Mehrheit regierenden Fraktion herrscht Schweigen über die Affären am Dresdner Hof, von denen immer neue und peinlichere Details bekannt werden.
Vor diesem Hintergrund ist kaum verwunderlich, wann dem CDU Partei- und Fraktionschef Fritz Hähle nichts Besseres einfällt, als die Opposition zur „Mäßigung“ zu ermahnen. Sein Vorwurf: Die Regeln des Anstandes und der politischen Kultur würden verletzt. Von einer „Hetzkampagne" spricht sogar seit. Generalsekretär Frank
Kupfer. Dabei haben SPD und PDS lediglich gewagt , einen Regierungsbericht in Zweifel zu ziehen. Dieser hatte schonungslose Aufklärung versprochen. Tatsachlich aber war das merkwürdig einseitig interpretierte Dossier voller Lücken, belastendes Material war angeblich verschwunden.
(Uwe Müller)