Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 23.06.2012

Supergau im Geheimen - Jens Eumann über Fehleinschätzungen beim Verfassungsschutz

 
Zwielichtige Verfassungsschützer wie "Klein Adolf" gab es in Sachsen wohl nicht. Die Rolle jenes Hitler-affinen V-Mann-Führers, der sich beim NSU-Mord an einem Internetcafé-Betreiber in Kassel zur Tatzeit am Tatort befand, müssen Behörden in Niedersachsen klären. Sachsens Parlamentarische Kontrollkommission, die gestern ihren Bericht zur Rolle hiesiger Verfassungsschützer im Chaos der Fahndung nach dem Terrortrio vorlegte, sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass Sachsens Behörde dem Trio "irgendwie Unterstützung" leistete. Auch die Verantwortung fürs Chaos sehen die Kontrolleure eher bei Thüringer Behörden. Die baten Sachsens Ermittler um Hilfe, ließen sie dann aber im Dunkeln tappen zum möglichen Aufenthalt und zu Kontaktadressen der Neonazis.

Doch da hört die Schonzeit für Sachsens Schlapphüte auch schon auf: Warum legten hiesige Verfassungsschützer ihre Hände in den Schoß? Warum wurden sie nicht "mit mehr Nachdruck" über das Thüringer Hilfeersuchen hinaus tätig? Das fragen die Kontrolleure zu recht. Angesichts des Wissens, dass irgendwo in Chemnitz (später in Zwickau) drei bekanntermaßen Bomben bastelnde und nach Geheimdienst-Infos nun auf Schusswaffen wartende Neonazis hockten, wäre Nachdruck ratsam gewesen.

Zwar kann man Sachsens Verfassungsschützern nicht vorwerfen, dass Kontaktpersonen aus dem Umfeld der Flüchtigen sich nicht als Spitzel verdingen wollten. Bei Passbeschafferin Mandy S. bissen V-Mann-Werber auf Granit, ebenso beim Chemnitzer "Blood-and-Honour"-Mann, bei dem das Trio später erste Schusswaffen bestellte. Was aber als geheimdienstlicher Super-Gau gewertet werden muss, ist, dass man an den richtigen Leuten dran war, diese aber nur zu werben versuchte, statt sie unter Beobachtung zu stellen.

Eine Forderung der Kontrolleure ist jetzt die bessere Vernetzung zwischen beobachtendem Verfassungsschutz und ermittelnder Polizei. Explizit wird die jüngst gegründete Gemeinsame Analysestelle von LKA und LfV gelobt. Doch Vorsicht! Bei diesem Austausch ist zu beachten, dass er in Thüringen auch schon nach hinten losging. Im Zuge des Verbots des "Blood-and-Honour"-Netzwerks im Jahr 2000 etwa bekam dessen Thüringer Chef vom Verfassungsschutz den Tipp, seine Wohnung zu "säubern", bevor das LKA zugriff. Der Mann war V-Mann.