Karl Nolle, MdL

spiegel-online 06:32 Uhr, 25.06.2012

Eltern von NSU-Mitglied Böhnhardt: "Wir hätten mit der Polizei zusammengearbeitet"

 
Sie sind die Eltern des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, nun sprechen Brigitte und Jürgen Böhnhardt zum zweiten Mal in einem TV-Interview über ihren Sohn. Detailliert beschreiben sie seine Beziehung zu seinen Komplizen Beate Zschäpe und Uwe Mundlos - und erheben Vorwürfe gegen die Ermittler.

Die Fotos tun Brigitte Böhnhardt weh. Sie zeigen drei braungebrannte Freunde auf dem Campingplatz Wulfener Hals auf Fehmarn, Stellplatz 80, ihrem Stammplatz. Sie strahlen fröhlich in die Kamera, blinzeln gegen die Sonne. Einer davon ist Uwe, ihr Sohn, den Brigitte Böhnhardt neun Jahre lang nicht gesehen hat. Und der tot in einem Wohnmobil aufgefunden wurde.

Böhnhardt, 67, trennt diese Bilder von denen, die sie im Kopf hat, die sie abgespeichert hat von ihrem jüngsten Kind, ihrem Nesthäkchen. Die Camping-Bilder stehen für eine andere Welt, die für sie als Mutter nicht zu vereinen sind. Hier die Camping-, da die Fahndungsfotos, auf denen ihr Sohn wegen Mitgliedschaft im "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) gesucht wird. "Leute, die im Untergrund leben, lassen sich doch nicht fotografieren", sagt sie. Es klingt nach Hoffnungsschimmer.

Die Realität lässt keine Hoffnung zu: Brigitte Böhnhardts Sohn Uwe lebte mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe 14 Jahre lang im Untergrund. Der NSU tötete zehn Menschen, verletzte 23 weitere und raubte 14 Banken aus. Autor Ulrich Stoll dokumentiert für "Frontal 21" das Leben und die Taten der Mitglieder des NSU. In seinem Film "Brauner Terror - Blinder Staat" für das ZDF fasst Stoll noch einmal das katastrophale Versagen von Ermittlern und Verfassungsschutz zusammen.

Sein Kronzeuge für die desolate Ermittlungsarbeit ist Helmut Roewer, der frühere Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes. Die Waffenbeschaffung des Trios habe man in seiner Behörde "nicht gesehen", sagt er. "Damit muss man halt leben."

Es bleibt nicht der einzige erschütternde Satz Roewers, der die Unfähigkeit und Blindheit der Ermittler belegt: "Ich kann nur immer wieder sagen, dass bei mir selbst ein gewisses Unwohlsein ausbrach über diese Frage, dass wir immer wieder mit unseren Ergebnissen ins Leere trafen", sagt Roewer. Er selbst wolle auch gerne wissen, "was schiefgelaufen ist".

Opfer des NSU sind nicht nur die Angehörigen der Toten und Verletzten, wie der Film aufweist. Auch die Angehörigen der rechtsextremen Mitglieder aus Jena müssen lernen, mit dem Erbe zu leben. Weder Zschäpes noch Mundlos' Familien sind bislang vor eine Kamera getreten. Brigitte und Jürgen Böhnhardt sprechen dagegen zum zweiten Mal mit einem TV-Team über ihren Sohn. Es scheint ihre Art der Verarbeitung zu sein, vielleicht ist es auch der Versuch einer Rechtfertigung, zu der sie sich verpflichtet fühlen.

"Ich mochte Beate"

Vieles, was sie sagen, klingt verzweifelt, manches naiv. Brigitte Böhnhardt vermutet, dass die Radikalisierung ihres Sohnes erst einsetzte, als er nach seiner abgeschlossenen Bauarbeiterlehre keine Anstellung fand. "Die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg", habe er zu Hause herumkrakeelt.

Beate Zschäpe, die Springerstiefel trug, habe sie nicht der rechten Szene zugeordnet. "Sie war für mich ein ganz normales Mädchen, nett, höflich", sagt Brigitte Böhnhardt. "Ich mochte sie."

Michael Ebenau vom Aktionsbündnis gegen Rechts in Jena zeichnet in dem Film ein anderes Bild: Beate Zschäpe habe andere Frauen angegriffen, zusammengeschlagen, einer soll sie den Arm gebrochen haben.

Zschäpes Zuhause ist nicht der Plattenbau, in dem sie mit ihrer Mutter wohnt; ihr Zuhause ist die rechte Szene, ihre Familie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Filmemacher Stoll skizziert den Weg des Trios von jugendlichen Neonazikreisen über den Thüringer Heimatschutz (THS) in den Untergrund. Er berichtet, wie die drei in der Gedenkstätte Buchenwald aufmarschierten, die Männer gekleidet in braunen SA-Uniformen. Bevor sie ein lebenslanges Hausverbot erhalten, gelingt es Uwe Mundlos noch, sich ins Besucherbuch der Einrichtung einzutragen: "Buchenwald ist nicht nur eine Gedenkstätte der jüdischen Mitbürger. Uwe", hat er darin notiert.

Die von der Polizei gesuchten Neonazis tauchen ab, Kameraden helfen ihnen mit neuen Identitäten und einem Unterschlupf - und feiern sie für ihren "Kampf fürs deutsche Vaterland". Bislang ist unklar, wie viele aus der Szene eingeweiht waren, dass die gesuchten Neonazis raubend und mordend durch die Republik zogen.

Die ersten Jahre im Untergrund hält das Trio auch Kontakt zu Böhnhardts Eltern. Es kommt zu heimlichen Treffen in einem Park in Chemnitz. Das Ehepaar ahnt nicht, dass das Trio in Zwickau, keine 80 Kilometer von Jena entfernt, sein neues Zuhause hat.

Uwe Böhnhardt habe "gezittert und geheult"

Kurzzeitig hatte der Verfassungsschutz angefragt, ob Brigitte und Jürgen Böhnhardt die Ermittler unterstützen wollten - im Gegenzug könnten die Untergetauchten mit Strafmilderung rechnen. Sie habe "mit aller Macht" versucht, ihren Sohn und dessen Freunde zur Aufgabe zu überreden, sagt Brigitte Böhnhardt. Die weigerten sich jedoch, und der Verfassungsschutz habe sein Angebot zurückgezogen. "Warum?", fragt die Mutter im Film. "Alles, was dann folgte, hätte man verhindern können."

Das Ehepaar Böhnhardt wurde observiert, die Telefone jahrelang intensiv abgehört - und dennoch konnten die beiden das Trio unerkannt treffen. Es sei schwer vorstellbar, dass die Behörden weder von den Telefonaten, bei denen die Treffpunkte vereinbart wurden, noch von den Treffen selbst etwas mitbekamen, sagt Brigitte Böhnhardt.

Als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bereits vier Menschen getötet haben, kappen die Terroristen den Kontakt zu Brigitte und Jürgen Böhnhardt. Es ist das Frühjahr 2002. "Mutti, das ist unser letztes Treffen", habe Uwe zu seinen Eltern gesagt, erzählt Brigitte Böhnhardt. Sie habe sich an ihn geklammert, gezittert, geheult - "und er auch".

"Uwe, wir helfen dir doch, wir sind für dich da", hätten sie ihm versichert, sagen die Eltern in der ZDF-Dokumentation. Doch: "Sie waren nicht zu überreden." Ihr Sohn habe sie beruhigt: "Mutti, wir gehen zusammen, wir bleiben zusammen."

Brigitte und Jürgen Böhnhardt haben ihren Sohn gedeckt, nicht denunziert. Aber nur, so beteuern sie vor der Kamera, weil sie nichts von den Morden gewusst haben. "Wir hätten mit der Polizei zusammengearbeitet, um sie verhaften zu lassen. Auch wenn wir sie dann verraten hätten."

Auf den Camping-Fotos aus Fehmarn sieht Brigitte Böhnhardt keine Mörder. "Sie wirken darauf so entspannt, so ruhig", sagt sie. "Sie sehen für mich aus wie ganz normale junge Leute im Urlaub. Und das ist für mich eine totale Überraschung."

"Brauner Terror - Blinder Staat", Dienstag, 26. Juni, 21 Uhr, ZDF

Von Julia Jüttner