Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 03.07.2012

U-Ausschuss Sachsen: Experten geben Ermittlern schlechte Noten

 
Dresden. Die Pannen-Serie der Sicherheitskräfte bei der Verfolgung der Neonazi-Zelle NSU prägt weiter die politischen Debatten in Sachsen. Gestern, pünktlich zum Rücktritt von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm, tagte der U-Ausschuss zum Terror-Trio erneut in Dresden, und bereits im Vorfeld hatte es harte Worte gegeben. Wer wie das Bundesamt für Verfassungsschutz angeforderte Akten vernichte, riskiere einen enormen Skandal, meinte die Linke-Abgeordnete Kerstin Köditz - um hinzuzufügen: "Das tut man nur, um einen wesentlich größeren Skandal zu vertuschen."

Unabhängig von der aktuellen Nachrichtenlage beackerte der U-Ausschuss gestern dann doch jenes Themenfeld, für das er einberufen wurde: die sogenannte Sicherheitsarchitektur im Freistaat. Dahinter verbirgt sich die entscheidende Frage, an welcher Stelle im Zuständigkeitswirrwarr das Unheil seinen Ausgang nahm. Oder anders herum: Wer trägt die Verantwortung dafür, dass die Zwickauer Neonazi-Kader über viele Jahre neun Migranten und eine Polizistin exekutieren konnten, ohne dass die Sicherheitskräfte auch nur eine Ahnung davon hatten?

Hier fiel das Urteil der Experten gestern reichlich unschön aus für die Ermittler. Heinrich Amadeus Wolff von der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder sprach von "kollektivem Versagen". Sobald mehrere Behörden - Verfassungsschutz und Polizei auf Bundesebene wie auch in den Ländern - zusammen im Boot säßen, gebe es Neid und Eitelkeiten. Zuweilen beobachteten sich die Sicherheitsdienste gar gegenseitig.

Noch härter ging der Bielefelder Rechtswissenschaftler Christoph Gusy zu Werke. Ähnlich wie die Schäfer-Kommission in Thüringen oder die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) in Sachsen attestierte er den Behörden ein miserables Zusammenspiel. "Die Kooperation zwischen Thüringen und Sachsen hat unvertretbar schlecht geklappt", gab er zu Protokoll.

Ja, mehr noch: "Die Thüringer Behörden haben zum Teil rechtswidrig gehandelt", meinte Gusy. Damit allerdings seien die sächsischen Verfassungsschützer nicht aus dem Schneider. Im Gegenteil: Sie hätten selbst aktiv werden müssen. Genau das hatte zuvor die PKK in Dresden moniert, und selbst Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) hatte auf diesen Fakt hingewiesen. Ansonsten aber hatte der Ressortchef den schwarzen Peter gen Thüringen geschoben. Die Erfurter Behörden, so sein arg schlichtes Credo, hätten zu wenig Informationen zum Terror-Trio herausgerückt.

Einen anderen Schwerpunkt als die beiden Rechtswissenschaftler legte Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen. Das ist eine Beratungsstelle für den Umgang mit Rechtsextremismus, und Hannefort war als Expertin geladen. Ihr Tenor gestern lautete: "Eine Terror-Organisation wie die NSU fällt nicht vom Himmel." Ohne eine Mitläufer- und Sympathisantenszene hätte die Zelle niemals agieren können. Hinzu kam ein gesellschaftliches Klima in den 90er Jahren in Sachsen. Das habe Rechtsextremisten aus Ost und West den Boden bereitet, so Hannefort. Nicht selten hätten Stadtverwaltungen, Parteien und Behörden all jene, die Neonazis entgegen getreten seien, als Nestbeschmutzer beschimpft - frei nach dem Motto "Bestreiten und verdrängen".

Jürgen Kochinke