Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 00:08 Uhr, 26.09.2012

Neonazi-Zelle: War NSU-Helfer Wohlleben V-Mann?

 
Das Innenministerium hat Hinweise auf einen weiteren V-Mann im NSU-Umfeld. Nach SPIEGEL-Informationen könnte es sich um Ralf Wohlleben handeln. Der langjährige NPD-Kader steht im Verdacht, der Zwickauer Terrorzelle jene Pistole besorgt zu haben, mit der sie neun Einwanderer ermordete.

Berlin - Das Bundesministerium geht dem Verdacht nach, dass ein mutmaßlicher Helfer der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) als V-Mann in der NPD aktiv war. Es gebe einen Hinweis, "wonach eine Person aus dem Kreis der Beschuldigten des NSU-Verfahrens möglicherweise vor etwa zehn Jahren in der NPD V-Mann für eine Sicherheitsbehörde gewesen sein könnte". Das teilte die Behörde am Dienstagabend mit.

Den Hinweis habe die Bundesanwaltschaft am Freitag gegeben. Das Ministerium habe daraufhin alle Sicherheitsbehörden um eine schriftliche Stellungnahme gebeten. Auch der Untersuchungsausschuss des Bundestags sei informiert worden.

Nach dem Hinweis auf die mögliche V-Mann-Tätigkeit ordnete Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eine umfassende Prüfung an. So sollen "alle relevanten Akten aus dem damaligen NPD-Verbotsverfahren" gesichtet und "die mit dem Verfahren betrauten Mitarbeiter" befragt werden.

Schon zuvor hatte es Wirbel um die V-Mann-Tätigkeit eines Mannes gegeben, der als Helfer der NSU verdächtigt wird. Wie erst vor knapp zwei Wochen herauskam, war der mutmaßliche Sprengstofflieferant des Terrortrios, Thomas S., mehr als zehn Jahre lang, von November 2000 bis Januar 2011, als "Vertrauensperson" des Berliner Landeskriminalamts geführt worden. Der Fall markierte bislang den Höhepunkt der zahlreichen Ermittlungspannen im Fall der Zwickauer Terrorzelle. Der ehemalige V-Mann des LKA wird heute von der Bundesanwaltschaft als Terrorhelfer beschuldigt.

War Ralf Wohlleben der zweite V-Mann?

Wie der SPIEGEL aus Sicherheitskreisen erfuhr, soll es sich bei dem möglichen weiteren V-Mann um Ralf Wohlleben handeln. Der Hinweis geht offenbar auf einen Bundesanwalt zurück. Vor seinem Wechsel nach Karlsruhe hatte der Jurist den Angaben zufolge als Unterabteilungsleiter im Bundesinnenministerium gearbeitet, wo er unter anderem für das 2003 gescheiterte erste NPD-Verbotsverfahren zuständig gewesen sei. Er meine sich erinnern zu können, so berichtete er gegenüber den ermittelnden Karlsruher Kollegen, den Namen "Wohlleben" damals im Zusammenhang mit V-Leuten gesehen oder gehört zu haben, die seinerzeit innerhalb der NPD aktiv gewesen sein sollen.

Als vor knapp zwei Wochen publik wurde, dass Thomas S. mehr als zehn Jahre lang V-Mann des Berliner Landeskriminalamts war, entschloss sich der Bundesanwalt, seine Erinnerungen zu Papier zu bringen. Mitte September schrieb er eine "Dienstliche Erklärung" über den möglichen zweiten V-Mann im direkten NSU-Umfeld. Die Bundesanwaltschaft schickte das Schriftstück an das Bundesinnenministerium, wo Minister Friedrich nun erneut eine umfangreiche Untersuchung in Auftrag gab.

Ob die vage Erinnerung des hochrangigen Juristen der Wahrheit entspricht oder nicht, ist derzeit noch völlig unklar und muss intensiv geprüft werden. Bislang konnten von Bundesermittlern keine Belege für seine Behauptungen gefunden werden. Doch allein schon die Frage nach einem weiteren V-Mann im NSU-Komplex birgt politische Sprengkraft. Nach SPIEGEL-Informationen hatte die Bundesanwaltschaft erst im März allen relevanten Sicherheitsbehörden - darunter das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie sämtliche Landesverfassungsschutz- und Kriminalämter - die Namen der 13 NSU-Beschuldigten übermittelt und explizit nach früheren oder aktuellen V-Mann-Verhältnissen gefragt.

Alle Behörden - bis auf Berlin - meldeten damals Fehlanzeige. Nur die Hauptstadtpolizei musste eingestehen, Thomas S. als "Vertrauensperson" geführt zu haben. Vor seiner Anwerbung als "VP 562" war die einstige Neonazi-Größe nach eigenen Angaben zeitweise mit Beate Zschäpe liiert und hatte dem Trio vor dessen Abtauchen rund ein Kilo TNT beschafft.

"Keinerlei Erkenntnisse über eine mögliche, frühere V-Mann-Tätigkeit"

Sollte sich jetzt der Hinweis auf eine mögliche V-Mann-Tätigkeit von Ralf Wohlleben bestätigen, würde das die Affäre um Ermittlungspannen im NSU-Komplex in eine neue Dimension katapultieren. Denn der 37-jährige Rechtsextremist aus Jena gilt als wichtigster Unterstützer der Zwickauer Terrorzelle: Er ist der einzige, der - neben Beate Zschäpe als letztem noch lebendem NSU-Mitglied - derzeit in Untersuchungshaft sitzt; die Bundesanwaltschaft wirft Wohlleben nicht weniger als Beihilfe zum mehrfachen Mord vor.

Der langjährige NPD-Kader soll - neben anderen Unterstützungshandlungen - eine zentrale Rolle bei der Beschaffung jener Pistole des Typs Ceska 83 gespielt haben, mit der die Zelle zwischen September 2000 und April 2006 neun Einwanderer ermordete.

Wohllebens Verteidigerin Nicole Schneiders erklärte am Dienstagabend auf SPIEGEL-Anfrage, dass ihr "derzeit keinerlei Erkenntnisse über eine mögliche, frühere V-Mann-Tätigkeit" ihres Mandanten vorlägen. Wohlleben selbst, der seit dem 29. November 2011 in Untersuchungshaft sitzt, macht gegenüber den Fahndern bislang von seinem Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigter Gebrauch.

Den Ermittlungen zufolge gehörte er bereits Ende der neunziger Jahre der "Kameradschaft Jena" an, aus der sich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Zschäpe Anfang 1998 in den Untergrund absetzten. In den ersten Jahren nach der Flucht soll Wohlleben das Trio unter anderem mit Geld unterstützt haben und nach Ansicht des BKA als "Logistiker, Kontakt- und Finanzmittler" des NSU fungiert haben. Mindestens bis 2001 habe er Kontakt zu den Untergetauchten gehabt. Dann, so sagte der Mitbeschuldigte Holger G. inzwischen aus, habe Wohlleben Distanz zu der Zelle gesucht, weil er "mehr gewusst" habe und offenbar seine damals beginnende Karriere in der NPD nicht gefährden wollte.

Im aktuellen NSU-Verfahren der Bundesanwaltschaft wird Wohlleben gleich von drei Zeugen schwer belastet: Holger G. etwa gab dem BKA zu Protokoll, dass Wohlleben ihn einst mit dem Transport einer Pistole beauftragt und erklärt habe, es sei besser, wenn er nicht wisse, "was die drei damit vorhaben".

Und auch an der Beschaffung einer weiteren Pistole - der Tatwaffe der Ceska-Mordserie - soll der spätere NPD-Mann maßgeblich beteiligt gewesen sein: So berichteten der ebenfalls beschuldigte NSU-Helfer Carsten S. und der Zeuge Andreas S. gegenüber Bundesermittlern, dass Wohlleben den Waffendeal über einen Neonazi-Laden in Jena eingefädelt habe; er habe sowohl das Geld für die Waffe - 2500 Mark - bereitgestellt als auch den Transport der schallgedämpften Ceska nach Chemnitz organisiert, wo sich das Trio seinerzeit versteckte.

Von Hubert Gude und Sven Röbel mit Material von dpa und dapd