Karl Nolle, MdL
Agenturen, dpa, 15:02 Uhr, 14.05.2012
Haben Thüringer Behörden bei der Suche nach dem Neonazi-Trio geschlampt?
Eine erste Antwort darauf verspricht jetzt der Bericht der Thüringer Untersuchungskommission.
Erfurt (dpa) - Ein halbes Jahr nach dem Auffliegen der Neonazi-Terrorzelle NSU legen Aufklärer jetzt erstmals öffentlich Ergebnisse ihrer Arbeit vor. Eine von der Thüringer Landesregierung eingesetzte unabhängige Kommission gibt an diesem Dienstag in Erfurt ihren Bericht zu möglichen Fehlern Thüringer Behörden nach dem Untertauchen des aus Jena stammenden Trios im Jahr 1998. Das dreiköpfige Gremium unter Leitung des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer hatte in den zurückliegenden fünf Monaten Dutzende Zeugen befragt und Akten vor allem Thüringer Behörden gesichtet. Erwartet wird, dass die Kommission Vorschläge zur künftigen Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz macht sowie für eine bessere länderübergreifende Zusammenarbeit.
Die drei Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe waren nach dem Auffliegen ihrer Bombenwerkstatt scheinbar spurlos verschwunden. Als «Nationalsozialistischer Untergrund» sollen sie in den Jahren danach neun Männer türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin ermordet haben. Außerdem werden ihnen zwei Sprengstoffanschläge und mehrere Banküberfälle zur Last gelegt. Offen ist bisher, warum trotz zahlreicher Spuren und Hinweise aus Thüringen und Sachsen keine Festnahme gelang. Das Trio lebte nach seinem Untertauchen einige Zeit in Chemnitz und seit spätestens 2001 in Zwickau.
Am 4. November 2011 verübten sie in Eisenach einen weiteren Banküberfall. Kurz darauf näherten sich Polizisten dem Wohnmobil der Flüchtigen, die die Beamten noch mit einer Maschinenpistole beschossen. Als sie versagte, erschoss Mundlos mit einer anderen Waffe seinen Komplizen, zündete das Wohnmobil an und tötete sich dann selbst. Einige Stunden später zündete Zschäpe die Wohnung in Zwickau an.
Die Kommission nahm vor allem die Arbeit von Thüringer Sicherheitsbehörden und Justiz unter die Lupe, nachdem die drei Neonazis Ende der 90er Jahre in den Verdacht gerieten, mit Sprengstoff zu hantieren. Im Zuge der Ermittlungen durchsuchten Polizisten Ende Januar 1998 mehrere Garagen in Jena. Böhnhardt verschwand während der Aktion - noch bevor die Ermittler in der letzten Garage Rohrbomben und den Sprengstoff TNT fanden. Böhnhardt war zu diesem Zeitpunkt seit einem Monat rechtskräftig zu einer Haftstrafe verurteilt, hatte aber noch keinen Termin zum Haftantritt.
Vor allem zur Arbeit der Polizei bei der anschließenden Fahndung könnte der Bericht aufschlussreiche Informationen liefern, da in der öffentlichen Diskussion der Verfassungsschutz im Vordergrund steht. Dieser war nach Angaben des früheren Thüringer Behördenpräsidenten Helmut Roewer ebenfalls mit einer «Zielfahndung» nach dem Trio betraut. Das gilt als ungewöhnlich, da die Suche nach flüchtigen Verdächtigen normalerweise Polizeiarbeit ist. Der jetzige Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel hatte bereits von Fehlern bei der Zusammenarbeit von Nachrichtendienst und Landeskriminalamt gesprochen.
Die Kommission hatte zwar auch Akten sächsischer Behörden gesichtet, aber nur mit Blick auf die Zusammenarbeit mit ihren Thüringer Kollegen. In Sachsen beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Landtages mit dem Fall. Weitere U-Ausschüsse gibt es im Thüringer Landtag, im Bundestag und voraussichtlich auch noch im bayerischen Landtag. Außerdem untersucht eine Bund-Länder-Kommission den Informationsaustausch zwischen Behörden.
Autor: Christian Schneider