Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 10:03 Uhr, 02.04.2013
Jugendpfarrer Lothar König - Gottesmann ohne Heiligenschein
Jenas Jugendpfarrer Lothar König kämpft seit Jahrzehnten gegen den Rechtsextremismus. Nun muss er sich vor dem Amtsgericht Dresden wegen schweren Landfriedensbruchs verantworten. Er soll zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben.
Angst ist Lothar König fremd. Dafür hat er schon zu oft aufs Maul bekommen. Er wurde angefeindet, ausgebuht. Die Narbe, die sich über das rechte Auge zur Schläfe zieht, erinnert daran, wie Neonazis im Juli 1997 mit einem Totschläger über ihn herfielen.
Aber das Gefühl der Ohnmacht kennt König gut. Von damals, als er als Schüler seine Bewunderung für Alexander Dubcek, Leitfigur des Prager Frühlings, kundtat und wenige Stunden später die Staatssicherheit den Bauernhof seiner Eltern nahe Nordhausen durchwühlte. Oder als er noch Pfarrer in Merseburg war, gegen die DDR-Staatsmacht aufbegehrte und Montagsdemos organisierte. Das Ministerium für Staatssicherheit bespitzelte ihn. Noch vor der Wende übernahm er die Junge Gemeinde in Jena (JG).
Lothar König, mit Rauschebart biblischen Ausmaßes und selbstgedrehter Kippe im Mundwinkel, hat sein Leben dem Kampf gegen Rechtsextremismus verschrieben. "Gegen Nazis sein ist eine Pflichtaufgabe", sagt er. Anfangs wollte er Skinheads noch in die Jugendarbeit integrieren, bis sie JG-Mitglieder mit Baseballschlägern zusammenschlugen. Die Bedrohung ließ sich nicht wegpädagogisieren. "Jena hat ein Neonazi-Problem", propagierte König in den neunziger Jahren und prophezeite, dass die Rechtsextremen die Orientierungslosen anwerben, sich mit Kadern aus dem Westen zusammentun und Kameradschaften gründen werden. Er wurde nicht ernst genommen.
Dann wurde bekannt: Drei Neonazis aus Jena - Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt - die sich ausgerechnet in der Zeit, in der König Alarm schlug, radikalisierten, hatten zehn Menschen getötet, neun von ihnen aus rassistischen Motiven. Auf einmal standen alle Schlange in Königs verrauchtem Büro im Haus der JG am Johannisplatz, mitten in Jena. König, der Zeitzeuge, war gefragt.
Neun Monate vor der Enttarnung des NSU, am 19. Februar 2011, war König wieder mit seinem dunkelblauen VW-Bus mit Lautsprecher nach Dresden kajuckelt wie jedes Jahr. "Lauti", nennt er den Transporter. Für König hat die Anti-Neonazi-Demonstration dort ebenso Tradition wie für die Rechtsextremen der Gedenkmarsch anlässlich des Bombenangriffs auf Dresden. Bereits bei der ersten Mahnwache 1982 war König mit um die Frauenkirche gelaufen. "Diesen staatstragenden Nazi-Akt muss man unterbinden", sagt er.
Nun holt ihn jener Tag ein: Die Staatsanwaltschaft Dresden wirft König schweren Landfriedensbruch, Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchte Strafvereitelung vor. Er soll damals mit seinem "Lauti" gewaltbereite Jugendliche zu Angriffen gegen Polizisten aufgehetzt haben, indem er rief: "Deckt die Bullen mit Steinen ein." Dabei benutze er das Wort "Bullen" gar nicht, sagt König. Er sieze Polizisten auch. Grundsätzlich.
Am Donnerstag beginnt der Prozess vor dem Amtsgericht, nachdem die Hauptverhandlung kurz vor dem ursprünglich geplanten Termin Mitte März geplatzt war. Königs Rechtsanwalt hatte zufällig in den Akten des Gerichts mehr als 170 Seiten ungeordnetes Material entdeckt und sprach von "einem klassischen Fall der Beweismittelunterdrückung".
Kein Berufsjugendlicher
Auf Videos, die im Prozess gezeigt werden, hört man, wie König in den Lautsprecher sagt: "Leute, kommt mal, wir sind hier so viele, einfach weitergehen, geht mal weiter. Da sind nicht so viele. Keine Schilde, keine Schutzsachen, die Polizei." Die Staatsanwaltschaft wertet diese Ansage als "Aufruf zur Gewalt gegen wehrlose Polizisten". König wehrt sich: "Die Demonstranten hatten Angst vor der Polizei. Mein Anliegen war, dass sie sich um den Lautsprecherwagen versammeln, ich wollte ihnen die Angst nehmen. Ich rufe nicht auf zu Gewalt gegen Polizei!"
In allen Videos, die an jenem Tag aufgenommen und ausgewertet wurden, ruft der Jugendpfarrer zum friedlichen Protest auf. Ein Grundsatz, den er schon zu DDR-Zeiten bei seinem Widerstand gegen die Staatssicherheit einhielt.
Lothar König hat nun zum ersten Mal in seinem Leben Angst. Dass die Justiz auch an ihm ein Exempel statuieren will wie sie es im Fall des Familienvaters Tim H. getan hat, der als angeblicher Rädelsführer der Linken bei einer Demo zu einer knapp zweijährigen Haftstrafe verurteilt wurde. König hat Angst, dass er ins Gefängnis muss. Nicht vor dem Knast, sondern vor der Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren könnte.
Der Kampf um Gerechtigkeit ist sein Antrieb, seit er denken kann. Die Ungerechtigkeit gipfelte darin, dass etwa 35 sächsische Polizisten am 10. August 2011 um 6 Uhr seine Pfarrerswohnung nach Hinweisen für den Landfriedensbruch durchsuchten, seinen seelsorgerischen Rückzugsort. Sie beschlagnahmten Computer, Dokumente und "Lauti", der als schweres Tatwerkzeug galt. König lag zur selben Zeit nach einem langen Marsch auf dem Fernwanderweg Nr. 5 durch die Alpen auf einem Matratzenlager einer italienischen Berghütte in 2000 Metern Höhe.
Die Anklage vor dem Amtsgericht Dresden hat den Gottesmann bekannt gemacht. Auf Anti-Nazi-Veranstaltungen wird er inzwischen gar nach einem Autogramm gefragt. König versucht das mit Humor zu nehmen. Seine Augen formen sich dann zu Schlitzen, die tiefen Lachfalten münden über dicke Tränensäcke in seinem weißen, zotteligen Bart.
König hat Hunderte Predigten gehalten, und noch immer grübelt er nächtelang über eine Weihnachtsansprache. Er liest an einem Gedichtabend Johannes Bobrowski, wenig Bertolt Brecht, viel Kassandra.
Vor kurzem ist König 59 Jahre alt geworden. Sein unkonventioneller Lebensstil, die Dutzenden von Zigaretten pro Tag, die vielen Gläser Rotwein lassen ihn keinen Tag jünger aussehen. Cargohose und Fischerhemd sind seine Alltagsuniform geworden, die Füße stecken ganzjährig in Sandalen. Wenn er durch Jena radelt, wackelt der Warnwimpel am Gepäckträger, wie ihn Schulkinder am Fahrrad haben.
König gibt den Jugendlichen in Jena mehr als einen Zufluchtsort - er gibt ihnen Halt, versteht ihre Sorgen und Nöte, ohne Berufsjugendlicher sein zu wollen. Nur die schwarze Wollmütze von St. Pauli mit dem weißen Totenkopf darauf, muss die denn sein? "Ja, muss", brummt König in seinen Jesusbart. Ihm doch egal, was andere denken.
Von Julia Jüttner