Karl Nolle, MdL

ARD-Magazin "Report Mainz", 21.05.2013

"Report Mainz" liegt internes Dokument vor: NSU seit 2000 als Terrortrio bekannt. (mit VIDEO - link !!!)

 
Dem ARD-Magazin "Report Mainz" ist ein amtlich geheim gehaltenes Dokument zugespielt worden, das belegt, dass die Behörden bereits seit 13 Jahren von der Existenz des Zwickauer Terrortrios gewusst haben.

Dieses Dokument, welches bis heute nur in sogenannten Geheimschutzstellen der Parlamente eingesehen und nicht kopiert werden darf, enthüllt, dass das Neonazi-Trio bereits im Jahre 2000 von Verfassungsschützern als Terrorgruppe eingestuft worden ist.

In dem Dokument vom 28. April 2000 heißt es: "Das Vorgehen der Gruppe (gemeint ist das Neonazi-Trio) ähnelt der Strategie terroristischer Gruppen, die durch Arbeitsteilung einen gemeinsamen Zweck verfolgen." Außerdem heißt es weiter: Der Zweck der Vereinigung sei es, "schwere Straftaten gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zu begehen". Bei dem Trio sei "eine deutliche Steigerung der Intensität bis hin zu schwersten Straftaten feststellbar."

Innenministerium und Verfassungsschutz informiert

Der ehemalige Innenminister von Sachsen, Klaus Hardraht, war über die Existenz des NSU und dessen Gewaltbereitschaft informiert.
Absender des Schreibens ist das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden. Das Papier trägt den Briefkopf des Präsidenten. Gerichtet ist es unter anderem an den damaligen Innenminister des Landes, Klaus Hardraht (CDU), und mehrere Verantwortliche seines Hauses. Vom Brief selbst gibt es nur zwei Ausfertigungen. Mit dem Schreiben wird die geheime Überwachung der Telefone und des Briefverkehrs des Trios und vier weiterer namentlich genannter Unterstützer beantragt.

Über die Unterstützer heißt es in dem Dokument: Die schnelle, professionelle und praktisch spurlose Flucht des Trios im Jahr 1998 ist ein Anhaltspunkt dafür, dass sie "ohne die entsprechende Unterstützung (…) so nicht realisierbar gewesen wäre. Nur durch engste Bindungen in einem abgeschlossenen Zirkel mit wenigen verschwiegenen Mitwissern wird eine solche Flucht möglich."

Als Unterstützer werden unter anderem Mandy S. genannt. Deren Identität hat Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen benutzt. Außerdem tauchen die Namen Jan W. (er sollte für das untergetauchte Trio Waffen besorgen) und Thomas S. auf. Dieser hat dem Trio vor ihrem Untertauchen 1,4 Kilogramm Sprengstoff geliefert und war ab Ende 2000 als V-Mann tätig.

"Mordserie wäre vermeidbar gewesen"

Für den ehemaligen Geheimdienstler Winfried Ridder, jahrzehntelang tätig für das Bundesamt für Verfassungsschutz, ist dieses Dokument "heute eine Sensation." Völlig neu und überraschend für ihn sei, dass man schon damals "vollumfänglich die Gesamtstruktur des Netzwerkes NSU zu diesem Zeitpunkt gekannt" habe, noch bevor der erste Mord in Nürnberg im September 2000 geschah.

Nach Auffassung von Hajo Funke, eines Sachverständigen in NSU-Untersuchungsausschüssen, hätten die Morde verhindert werden können. "Wenn man angemessen gehandelt hätte - man hat das ja versucht, aber nicht konsequent gemacht - dann wäre die gesamte Mordserie vermeidbar gewesen", meint der Politikwissenschaftler. Für ihn ist das Papier "eine klare Analyse der Gruppe und des Unterstützerumfeldes in Hinsicht auf das, was sie vorhaben: Nämlich steigernd schwerste Straftaten zu begehen. Außerdem gibt es einen Willen zur Fortsetzung. Also, das was kriminelle und terroristische Vereinigung nach dem Strafgesetzbuch heute ausmacht."

BKA hätte alarmiert werden müssen

Der Obmann für Bündnis 90/Grüne im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, Wolfgang Wieland, nennt das Papier eine "geradezu prophetische Analyse", die "nie zum richtigen Handeln geführt" hat. Auch der ehemalige niedersächsische Justizminister, Christian Pfeiffer, hält den Aktenfund für hochbrisant, weil er deutlich macht, hier habe es "eine Behörde gegeben, den Verfassungsschutz, die schon im Jahr 2000, vier Monate vor dem ersten Mord, deutlich gesagt hat: Die Drei sind terrorgefährlich im Sinne rechten Terrors." Nach Einschätzung des Kriminologen wäre nach diesen Erkenntnissen damals zwingend geboten gewesen, das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft einzuschalten.

Von den Überwachungsmaßnahmen wussten damals nachweislich die beiden Landeskriminalämter und Verfassungsschutzämter in Sachsen und Thüringen sowie die Terrorabteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Ferner war die dafür zuständige Kommission des sächsischen Landtages informiert. Insgesamt steht damit fest, dass deutsche Sicherheitsbehörden und Teile der Politik umfassend und frühzeitig über das Terrortrio informiert waren.

Überwachung eingestellt

Diese Überwachung ist unter dem Namen "Operation Terzett" seinerzeit auch von Mai bis August 2000 durchgeführt worden. Sie erbrachte nur wenige Erkenntnisse, unter anderem deshalb, weil die Kontrollen völlig sporadisch erfolgten.

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Dresden erklärte zu dem Bericht, die "Operation Terzett" sei der Bundesanwaltschaft und den Untersuchungsausschüssen des Bundes- und der Landtage bereits bekannt. Da während der Überwachung keine Erkenntnisse zum Verbleib der damals drei Flüchtigen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe anfielen, sei die Maßnahme nach drei Monaten beendet worden.

Als das NSU-Trio dann im November 2011 aufflog, hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in den Tagesthemen vom 16. November 2011 erklärt: "Man konnte sich bis vor wenigen Tagen nicht vorstellen, dass es tatsächlich terroristische Organisationen geben könnte oder Zellen geben könnte, die mordend durchs Land laufen."

Den Beitrag des ARD-Magazins können sie hier auf der Homepage von Report Mainz anschauen.