Karl Nolle, MdL

spiegel online, 12:50 Uhr, 18.09.2014

Rot-Rot-Grün in Thüringen - Ein bisschen Mut, Genossen!

 
Eine Kolumne von Jakob Augstein

Die SPD könnte in Thüringen einen Linken zum Ministerpräsident küren - und die Linken dann 2017 einen Sozialdemokraten zum Kanzler. Eine Alternative gibt es für die Sozialdemokratie nicht: entweder rot oder tot.

Diesmal Thüringen! Wieder ist eine rot-rot-grüne Koalition mathematisch möglich. Ist sie politisch gewollt? In Hessen haben sich die drei Parteien nicht zusammengefunden. Im Bund auch nicht. Und in Thüringen? Wie wird die SPD sich entscheiden? "Der größte Feind der Sozialdemokratie sind nicht andere Parteien, sondern der Fatalismus", hat Sigmar Gabriel gesagt.

Richtig. Nur ein Fatalist kann sich mit dem achselzuckenden Fazit der Wochenzeitung "Zeit" zufriedengeben, die der SPD eine traurige Zukunft als Dauer-Juniorpartner der CDU prophezeit: "Denn mit der Linken geht es nicht, ohne sie reicht es nicht." Andererseits ist es kein Wunder, dass der schwarz-grüne Thinktank aus Hamburg zu diesem Ergebnis kommt. Denn jeder weiß: Ohne Einheit von Sozialdemokraten und Sozialisten bleibt Angela Merkel im Amt, solange sie das Wort "Kanzler" sagen kann.

"Hänge dich auf oder hänge dich nicht auf, du wirst beides bereuen." Das hat Søren Kierkegaard gesagt. Der war kein Sozialdemokrat, sondern Theologe. Aber, immerhin, auch bei Kierkegaard ging es um eine Wahl - nämlich die freie Wahl des Willens. Also, will Gabriel in diesem Leben noch Kanzler werden? Dann sollte er seinen Genossen in Erfurt das R2G-Rezept schmackhaft machen. Rot-Rot-Grün in Berlin braucht Vorbereitung. Erfurt bietet sich an. Ja, ein Linker als Ministerpräsident, das wäre neu. Aber wo ließe sich das Neue besser ausprobieren als in der Provinz?

Es ist verblüffend, wie viele gute Ratgeber zur Stelle sind, die der SPD genau erklären können, warum eine rot-rot-grüne Koalition nicht im Interesse der Sozialdemokratie sein kann. Volker Bouffier zum Beispiel, Ministerpräsident von Hessen, macht sich richtig Sorgen: "Juniorpartner der Linken - das würde die SPD endgültig umbringen." Rührend. Und auch die Kollegen von der "Zeit" warnen wohlwollend: "Es wäre das Projekt einer Selbstverzwergung mit bundesweiter Ausstrahlung." Wiederum rührend. Denn ein Riese ist die SPD schon lange nicht mehr. Im Bund liegt sie in der Nähe von 25 Prozent - in Sachsen und Thüringen nicht mal halb so hoch. Wie klein soll denn die SPD noch werden, dass man sie nicht mehr vor der Verzwergung schützen will?

Ein bisschen Mut, Genossen!

Für die SPD geht es um alles. Die Zeiten der großen Volkspartei sind endgültig vorbei. Die SPD ist die größte unter drei Parteien, die das Spektrum bezeichnen, das man früher mal links nannte. Die Genossen haben jetzt nur noch eine Wahl: rot oder tot. Es war der Advent der AfD, der die Lage so zugespitzt hat. Angela Merkel hat gesagt, die AfD sei das Problem aller Parteien. Sie ist aber vor allem das Problem der SPD: Sobald die AfD in einem Parlament vertreten ist, kann die SPD froh sein, wenn es überhaupt noch für Rot-Rot-Grün reicht.

Es werden verblüffende Volten geschlagen, um eine rot-rote Annäherung zu verhindern. In Hessen hieß es unlängst noch, die lokalen Linken seien zu erratisch für die Regierungsverantwortung. In Thüringen heißt es nun, der Orts-Linke Bodo Ramelow sei der SPD zu ähnlich für ein Bündnis. Erratisch, ähnlich - Hauptsache, aus der rechnerischen Mehrheit links der Mitte wird keine politische.

Volker Bouffier sagt: "Der Regierungsauftrag liegt klar bei Christine Lieberknecht." Da sollte der Mann, den sie den "letzten Konservativen der CDU" nennen, noch mal in seinem Lexikon der parlamentarischen Demokratie nachschlagen. Das Wort vom "Regierungsauftrag" wird er da vergeblich suchen. Ebenso wie den anderen Begriff, der immer dann hervorgeholt wird, wenn Politiker die eigenen Wünsche zum Wahlergebnis erklären: "Wählerwille".

Sowohl Regierungsauftrag als auch Wählerwille manifestieren sich in der Wahl. Das ist ihr Sinn. Die Wähler haben in Thüringen - ebenso wie neulich im Bund - den Weg geöffnet, die Amtsinhaberin abzulösen. Es müsste sich nur eine neue Regierung finden, die dazu bereit ist. Ein bisschen Mut, Genossen! Schlimmer kann es nicht werden. Aber wir kennen unsere brave SPD ja. "Ach, diese kleinlichen Gesichtspunkte, diese Engherzigkeit, diese Schüchternheit, dieses ewige Beruhigen, Temporisieren, Dimplomatisieren, Kompromisseln!" August Bebel hat das gesagt, im Jahr 1903.