Karl Nolle, MdL
Agenturen, dpa, 14:10 Uhr, 30.01.2015
Griechenland in deutschen Medien - Immer voll auf Merkel-Linie
Die deutschen Medien unterwerfen sich in der Wirtschafts- und Finanzkrise einer Logik der Macht. Berichten sie über die Krise in Griechenland, nehmen sie die Perspektive der nationalen Politik ein und blenden Teile der Wirklichkeit aus.
Eine Kolumne von Georg Diez
Bis vor einer Weile war es noch Medienkritik, wenn man ARD und ZDF oder die großen deutschen Tageszeitungen darauf aufmerksam machen wollte, dass sie besser sein könnten und sollten. Seit aber die Systemgegner von rechts da sind und auf der Presse herumhacken, Perfida, Friedensverschwörer, Russlandverehrer, Forumsfanatiker, seitdem riskiert man Applaus von der falschen Seite.
Aber das kann ja nicht heißen, dass man auf einmal nicht mehr kritisieren darf, weil es einen medialen Burgfrieden gibt: Es ist ja nicht besser geworden, es hat sich ja nichts verändert.
Was man machen muss, ist im Gegenteil härter, präziser kritisieren, den eigenen Standpunkt klarer machen, die Dinge auseinanderhalten und nicht so mauschelig vermischen, wie es die "Zeit" in dieser Woche getan hat mit der Titelgeschichte "Hauptsache, dagegen!" - als ob Syriza eine linke Pegida wäre.
Die "Zeit" ist aber eben das wöchentliche Therapeutikum des Justemilieu, deshalb darf sich dort der Rechte Peter Gauweiler mit dem Sehr-Rechten Alexander Gauland in lodenhafter Länge über all das unterhalten, was sie auch bei einem Bier zu zweit besprechen könnten - während Syriza vor allem als eine Drohung für die bisherige Politik der EU angesehen wird.
Ist Syriza wie Pegida?
Warum das aber nun genau eine Position ist, welche die Redaktion der "Zeit" beunruhigt, wird nicht recht klar - es ist ja nicht so, dass die Haltung der "Zeit" mit der der Bundesregierung identisch wäre. Oder sein sollte. Oder ist sie das doch?
Sie wäre damit jedenfalls nicht allein: Der Trend geht zum Verstehen, wenn es sich um Opposition von rechts handelt, der Trend geht zum Verdammen, wenn es um Opposition von links handelt - die einen, Syriza, sind "Populisten", die anderen, "Pegida", sind "besorgte Bürger".
Da werden die Griechen, von der "Frankfurter Allgemeinen" über die "Süddeutsche Zeitung" bis hin zu SPIEGEL ONLINE, wahlweise als Ziegenherde, Kindergarten oder finanzpolitischer Erziehungsfall betrachtet - die gleiche volkspädagogische Rhetorik, die aufs Verstehen von Pegida angewendet wird, nur umgekehrt.
Es ist Volkserziehung, was so ungefähr das Gegenteil von Politik ist: Prinzipien anstatt von Praxis, Rigorismus anstatt von Pragmatismus.
Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise ist eine Logik der Macht und der angeblich notwendigen Maßnahmen entstanden, fast ein Maßnahmenstaat, der seine Entsprechung findet in einer Publizistik, die in ihrer Argumentation immer enger, egoistischer, nationaler geworden ist und damit zu einem Sprachrohr der Alternativlosigkeit.
11 Prozent fürs Volk, 89 Prozent für die Banken
Wie sonst wäre es etwa zu erklären, dass in angelsächsischen Medien sehr realitätsnah darüber diskutiert wird, wie es in Griechenland weitergehen soll, warum ein Schuldenschnitt nicht nur notwendig, sondern im System angelegt ist und wie etwa die Deutschen selbst von einem solchen Schuldenschnitt profitiert haben - 1953 war das, Griechenland war eines der Länder, das auf seine Ansprüche teilweise verzichtete, das "Wirtschaftswunder" wäre sonst kaum passiert.
Damals war es eine Vorgabe, dass die jährlichen Rückzahlungen Deutschlands maximal drei Prozent des Exportvolumens ausmachen durften - IMF und Weltbank halten dagegen heute im Fall von Griechenland zwischen 15 und 25 Prozent für "tragbar".
Überhaupt, darauf hat der Chefökonom der "Financial Times", Martin Wolf, hingewiesen, kamen bislang nur elf Prozent der "Hilfszahlungen" bei der griechischen Regierung an. Der Rest ging mehr oder weniger direkt an die Banken, die einen Bailout bekamen, auf den die Bevölkerung seit Jahren wartet.
Man kann sich also schon mal die Frage stellen, ob ein Krisenmanagement, das mehr als 25 Prozent Arbeitslosigkeit und mehr als 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit produziert, ein echter Erfolg ist - oder der direkte Weg zu extremen Verhältnissen.
Darüber kann man jetzt natürlich trefflich lamentieren, und es ist ja wirklich eher scheußlich, dass Syriza mit antisemitischen Nationalisten paktiert - aber erstens ist das Politik und kein Ponyhof, also get over it; und zweitens ist es ergiebiger, sich Gedanken über die Ursachen zu machen.
Griechenland zappeln lassen
Stattdessen beharren nicht nur die meisten deutschen Politiker auf der Austeritätspolitik, die zur Zerstörung der demokratischen Mitte in vielen Ländern Europas geführt hat, und auch die meisten deutschen Medien fabrizieren sparfixierte Schablonengedanken am Stück.
Dabei ist es ja interessant, wenn etwa der frühere IMF-Chef für Europa, Reza Moghadam, dafür plädiert, den Griechen im Gegenzug zu Reformen die Hälfte der Schulden zu erlassen.
Es ist interessant, wenn auch der Chef der Bank of England davor warnt, Griechenland weiter in der Schuldenfalle zappeln zu lassen.
Es ist interessant, wenn ja schon ein klein wenig Logik ausreicht, um zu verstehen, dass es kein guter Weg sein kann, wenn die Konsumausgaben der Griechen in den vergangenen Jahren um mehr als 40 Prozent geschrumpft sind und die Staatschulden sogar noch zugenommen haben, weit über das im "Rettungskonzept" vorgesehenen Rahmen.
Aber was machen daraus etwa die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF? Sie haben keine Bilder für die Krise gefunden und damit auch keine Haltung. Immer nur sind die hektischen Krisenmanager in Brüssel zu sehen, wie sie dicken Autos entsteigen oder in dicke Autos einsteigen - eine Ikonografie der Macht und des Apparates und der Automatismen.
In der BBC dagegen, ich erinnere mich noch fast an jedes Bild, an jeden Satz, gab es schon sehr früh in der Krise einen Bericht über ein älteres italienisches Ehepaar, das sich erhängt hatte, weil es seine Schulden nicht mehr zahlen konnte.
Der Reporter stand vor dem Schuppen, wo es passierte, er öffnete die Tür, ging dann hinein.
Klingt das voyeuristisch?
Es war nicht voyeuristisch. Es war die Wahrheit über Europa am Beginn des 21. Jahrhunderts