Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 27.08.2015

Ausländerfeindliche Proteste in Sachsen: Es sind genug Bananen für alle da

 
Leitartikel Von JAN EMENDÖRFER

Nicht zuletzt die Medien hatten sie hingetrieben und nun war sie da, die Kanzlerin. In Heidenau. Bis Ende letzter Woche kannte die beschauliche Kleinstadt im Speckgürtel von Dresden bundesweit kaum jemand. Jetzt ist sie in aller Munde und dafür hat ein rechtsradikaler Mob mit Randale und Dumpfbacken-Protest gegen Flüchtlinge und deren Unterbringung in der 16 000-Einwohner-Kommune gesorgt.

Angela Merkel hat gestern in Heidenau das gesagt, was man von der Regierungschefin eines demokratischen Landes, das die Menschenrechte hochhält, erwartet: "Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen infrage stellen." Für diese Worte sowie für ihren Auftritt generell erntete die Kanzlerin Pfui-Rufe und Pfiffe. Es flogen auch Eier und einige riefen: "Wir sind das Pack". Seit SPD-Chef Sigmar Gabriel den Mob in Heidenau Pack nannte, nennt der sich nun selber so und findet das offenbar mutig und identitätsstiftend - in Anlehnung an der 89er Slogan "Wir sind das Volk".

Damals, vor 26 Jahren, waren Hunderttausende DDR-Bürger auf der Flucht - nach Westen. Sie wollten besser leben. Niemand hat in der alten Bundesrepublik gefragt: Wirst Du wirklich von der Stasi verfolgt? Hast Du wirklich politische Motive? Ist es Dir vielleicht nur etwas zu beschränkt in der DDR? Bis Du gar nur ein Wirtschaftsflüchtling? Lieber VW statt Trabant? Lieber C&A statt Malimo? Lieber FAZ statt ND?

Keiner hat gefragt und alle DDRler haben es als selbstverständlich hingenommen, dass ihnen die Segnungen des Westens qua Geburt zustehen. Und nun? Nun haben einige offensichtlich Angst, dass ihnen wieder etwas genommen wird. Es geht um die Verteidigung einer mühsam erworbenen kleinbürgerlichen Existenz nach westlichem Standard: Auto, Flachbild-Fernseher, am Samstag zum Fußball und vielleicht einmal im Jahr für zehn Tage nach Malle...

Was dieser Sozialneid für Kräfte freizusetzen imstande ist und zu welchem Vokabular sich scheinbar normale Menschen angesichts der Flüchtlingsdebatte hinreißen lassen, ist nicht zu erklären. Angela Merkel, die als Kanzlerin weltweit hohes Ansehen genießt und unter deren Regierung Deutschland wirtschaftlich blendend dasteht, wird in Heidenau verunglimpft. Weil sie mit Flüchtlingen spricht, weil sie sich menschlich zeigt und weil sie nicht bereit ist, Deutschland dicht zu machen, den Wohlstand mit Stacheldraht zu schützen...

Es sind genug Bananen für alle da, könnte man fröhlich verkünden, wenn es nicht so traurig wäre. Dass die Menschen hierzulande weiter um die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West ringen, gleiche Löhne für gleiche Arbeit und eine Angleichung der Renten fordern - all das ist verständlich. Aber dass das auf dem Rücken von Menschen ausgetragen wird, die gar nichts haben, ist absolut inakzeptabel!
j.emendoerfer@lvz.de