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welt.de, 26.08.2015

Rechtsextremismus - Der rechtsextreme Mob hat seine Wurzeln in der DDR

 
Rechtsextremismus - Der rechtsextreme Mob hat seine Wurzeln in der DDR
Von Jacques Schuster 

Vor allem in den neuen Bundesländern wütet der Rechtsradikalismus. Das hat historische Gründe, die aus der DDR stammen. Dennoch gibt es keinen Grund, sich übermäßig zu fürchten.

Wenn man auf die Zahl der Veröffentlichungen schaut, die seit der Wiedervereinigung über den Rechtsextremismus verfasst wurden, stellt man fest, es gibt wohl mehr Bücher und Aufsätze zum Thema als Rechtsradikale. Auf der Suche nach dem entfesselten Kleinbürger durchleuchten Politikwissenschaftler, Soziologen und Publizisten seit zwei Jahrzehnten selbst die sumpfigsten Jugendklubs zwischen Essen und Erfurt, Kiel und Chemnitz. Keine Plattenbausiedlung, keine Frittenbude scheint es in der Republik zu geben, die seit 1990 nicht wenigstens einmal von Experten besucht worden ist. Ihre Befunde veröffentlichen die Beobachter meist kurz nach Gewalttaten. Dementsprechend aufgeregt fallen sie mitunter aus – und das immer wieder aufs Neue!

"Uns hat 1945 nach dem Krieg auch keiner geholfen"

Es sind nicht nur Rechtsextreme, die in Heidenau Stimmung gegen die geflüchteten Menschen machen, auch einige Bewohner sind mit der Situation nicht einverstanden und machen ihrem Unmut Luft.

Nach 25 Jahren deutsch-deutschen Zusammenlebens lässt sich leicht belegen: Die Zahl der Rechtsextremen schwankt, sie steigt bei Weitem nicht so, wie es die Studien hätten vermuten lassen. Zählte die NPD 2005 noch 6000 Mitglieder, besaßen neun Jahre später nur noch 5200 Menschen ihr Parteibuch. Die Wahlergebnisse auf Länderebene bestätigen den Eindruck.

In Sachsen zog die NPD 2004 mit 9,2 Prozent in den Landtag ein, 2014 verfehlte sie mit 4,9 Prozent den Eintritt. Auf Bundesebene hat sie gar keine Chance. Und was die Rabauken in Springerstiefeln angeht, die einzeln meist kümmerlich wirken und es daher vorziehen, sich in betrunkene, grölende, rülpsende Menschenhorden zu verwandeln, so ist auch hier Beruhigendes festzuhalten: In den 25 Jahren seit der Wiedervereinigung sind sie in etwa immer gleich jung geblieben.

Der braune Haufen wird nicht größer

Es mehren also nicht ständig neue Zänker und Stänker den braunen Haufen, es findet ein Austausch statt. In die Jahre gekommen, verlieren die meisten von ihnen ihren Hang zur Raserei und die Lust am Bruch des wohl letzten Tabus der Bundesrepublik: offen rechtsradikal zu sein oder zu erscheinen. Kurzum, rechtsextremes Gedankengut frisst sich nicht durch sämtliche Bevölkerungsschichten und verbreitet sich schon gar nicht wie eine Seuche. Wäre es so, sähen die Wahlergebnisse und die Gesellschaft anders aus. Es ist also angebracht, einen kühlen Kopf zu bewahren, auch wenn die jüngsten Ereignisse rund um die bestehenden oder bald zu eröffnenden Flüchtlingsheime erschrecken.

Wieder brennt ein geplantes Asylheim

Im brandenburgischen Nauen ist eine geplante Flüchtlingsunterkunft abgebrannt. Innenminister De Maiziere ist währenddessen im niedersächsischen Friedland unterwegs, um eine Erstaufnahmeinrichtung zu besuchen.

Mit Blick auf das eigene Land fehlt den Deutschen jedoch die Gelassenheit. Kurt Sontheimer schrieb bereits vor Jahren, den politischen Debatten hierzulande wohne "ein Element des Nicht-ganz-Geheuren" inne. Mit dem Hinweis auf die Geschichte der Bundesrepublik und der friedlichen Revolution in der DDR riet der Münchener Politikwissenschaftler seinen ewig besorgten Landsleuten schon 1999, endlich ruhiger mit inneren Krisen umzugehen. Sie hätten keinen Grund, verunsichert zu sein. Die deutsche Demokratie sei ähnlich gefestigt wie die britische.

Daran änderte auch die Wiedervereinigung nichts. Die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung ist in der Bundesrepublik angekommen. Sie teilt ihre Werte, genießt ihre Freiheit und achtet das Grundgesetz. Hochtrabender ausgedrückt: Ihr Nationalbewusstsein steht im Einklang mit dem Staatsbewusstsein.

Vorgeburtstrauma DDR

In manchen ländlichen Regionen zwischen Rostock und Radebeul sieht die Lage hingegen anders aus. Dort hat sich bei einer Minderheit ein Nationalbewusstsein gebildet, das nicht nur dem bundesdeutschen Staatsbewusstsein widerspricht, sondern auch völkisch ist. Weder die Niederlage nach 1945 und die Spaltung des Landes, noch die Herrschaft des Sozialismus haben dieser Volkstumsidee einen Schaden zufügen können. Im Gegenteil, sie gehört ungebrochen zum alten Geist der DDR, der im ländlichen Raum mehr als in den Städten zu spüren ist.

Er hat nicht nur einen Teil derjenigen erfasst, die in der DDR aufgewachsen sind, sondern auch einige der Jüngeren. Ein Teil der später Geborenen, die Honecker nur noch aus den Schulbüchern kennen, tragen eine Art Vorgeburtstrauma in sich. Es lässt sie nicht nur gegenüber der Demokratie misstrauisch sein, sondern das Anderssein als solches ächten.

Es ist der größte Erfolg der DDR gewesen, dass man ihre Lügen geglaubt hat. Eine davon war die Mär, der bessere deutsche Staat gewesen zu sein, weil es ihm anders als der Bonner Republik gelungen sei, die braune Vergangenheit loszuwerden. Nichts davon entspricht der Wirklichkeit. Noch in den 80er-Jahren saßen im Zentralkomitee der SED unter Erich Honecker mehr ehemalige NSDAP-Mitglieder als frühere SPD-Angehörige. Ende der 70er-Jahre entdeckte die Stasi eher beiläufig, dass noch 84 ehemalige Wärterinnen des KZ Ravensbrück auf dem Staatsgebiet der DDR lebten. Keine Einzige von ihnen wurde angeklagt.

Flüchtige Vergangenheitsbewältigung

Der Verbrechen des Naziregimes gedachte man zwar, doch beschäftigte man sich nicht mit der deutschen Schuld, sondern allein mit der der "Faschisten". Nichts tat man dagegen, die rassistischen und nationalistischen Phrasen der NS-Ideologie zu bekämpfen, die in der Bevölkerung verbreitet blieben.

Im Gegenteil, bis in die späten 60er-Jahre hinein nutzte die politische Ikonografie der DDR die von früher bekannten nationalistischen und sozialistischen Phrasen. In den Schulen – bis 1989 reine SED-Lernkasernen – ging es im Geschichtsunterricht nur oberflächlich um den Mord an den Juden, an Polen, Homosexuellen und anderen Ausgestoßenen.

Breiten Raum nahmen dagegen die Opfer des kommunistischen Widerstands ein. Mit dem Ziel, einen "sozialistischen Patriotismus" zu schaffen, strebte die DDR-Pädagogik danach, eine "Heimatliebe", eine Art kollektives Bewusstsein zu schaffen, in dem der Einzelne, der Fremde gar, nichts zu suchen hatte.

Leibhaftige Ausländer

"Ihre Heimat ist genauso Deutschland" - Kanzlerin Angela Merkel wirbt bei einem Bürgerdialog im Duisburger Problemviertel Marxloh dafür, Migranten besser zu integrieren und Deutschland auch als deren Heimatland anzuerkennen.

Mit leibhaftigen Ausländern kam kaum jemand in Kontakt, sieht man von den russischen Soldaten und vietnamesischen Vertragsarbeitern ab. Ihren Frauen wurde bis 1988 sogar verboten, Kinder in der DDR zu bekommen. Wurden sie schwanger, standen sie vor der Wahl zwischen Abtreibung und Abschiebung. Die Klassengemeinschaft der DDR war und blieb eine Volksgemeinschaft, in der Fremdenfeindlichkeit verbreitet war, aber unterdrückt wurde.

Ihre Spuren lassen sich bis heute wahrnehmen. Es grenzt an ein Wunder, dass es unter diesen Umständen nicht mehr Rechtsradikale gibt. Die Wenigen, die ihr Unwesen treiben, werden uns als krakeelende Randexistenzen erhalten bleiben. Eine in sich ruhende Gesellschaft bekämpft sie und hält sie aus.