Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 05.06.2001
"Ein angemessener Weg"
Auch in Dresden half Ministerpräsident Biedenkopf einem befreundeten Investor, der bei örtlichen Behörden auf Widerstand stieß
DRESDEN. „Erfolgreich und ehrlich", so wirbt Dresdens OB Herbert Wagner (CDU) dieser Tage für seine Wiederwahl. Vor einem Jahr gab er gegenüber seiner Grünen-Stadträtin Eva Jähnigen keine klare Antwort. Sie wollte von ihm wissen, ob es bei der Genehmigung des Gewerbegebietes Rähnitz im Norden der Landeshauptstadt „eine auf persönliche Beziehungen zwischen Ministerpräsident und Investor begründete ungerechtfertigte Einflussnahme das Landes" gegeben habe. Der ehrliche OB antwortete nicht mit einem klaren „Nein", sondern fühlte sich für eine Antwort nicht zuständig und verwies die Stadträtin an die Landesregierung.
Das bemerkenswerte Ausweichmanöver hatte seinen Grund. Die bündnisgrüne Verwaltungsjuristin Jähnigen war in einer heiklen Angelegenheit vorstellig geworden: Ähnlich wie im Fall Paunsdorf betrifft Rähnitz die Investitionen eines besonderen Freundes von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Das rund 60 Hektar große Areal gleich neben der Autobahn 4 gehört zu den Engagements des Münchner Unternehmers Max Schlereth. Der ist Aufsichtsratsvorsitzender der Firmengruppe Deutsche Realbesitz AG (DERAG). Kurt Biedenkopf macht auf dessen Yacht Urlaub und betont seine freundschaftliche Verbundenheit zu ihm.
Den Standort abgelehnt und Klage bei Gericht
Die DERAG wollte nicht nur in Rähnitz einen hochwertigen Gewerbestandort schaffen, sondern auch Am Zachengrund in Gönnsdorf - der Ort gehört inzwischen zu Dresden - mehr als 250 Eigenheime errichten und die Einwohnerzahl des Ortes damit fast verdoppeln.
Bei beiden Projekten stieß Investor Schlereth auf Widerstand. „In Rähnitz gab es ökologische Bedenken bis ins Umweltministerium hinein", erinnert sich Eva Jähnigen. Außerdem sei die Erschließung ungewöhnlich teuer gewesen. Während die DERAG sich mit rund zehn Millionen Mark an der Erschließung beteiligte, musste die Stadt über 112 Millionen in den Bau der Straßen, Ver- und Entsorgungsleitungen im Nordwesten investieren.
Im Frühjahr 1996 kulminierten Max Schlereths Probleme. Die großen High-Tech-Schmieden AMD und Siemens mieden seine Flächen. Er sollte gar einen Teil des Gewerbegebietes an die Stadt abtreten für den Bau einer vierspurigen Straße zur Chip-Fabrik AMD in Dresden-Wilschdorf. Am Zachengrund wiederum lehnten Regierungspräsidium und Landeshauptstadt die von der DERAG gewünschte Bebauung rundweg ab - aus raumordnerischen und strukturellen Gründen, wie es hieß. Beim Oberverwaltungsgericht Bautzen lag dazu eine Normenkontrollklage gegen die zuständige Gemeinde Schönfeld-Weißig, zu der Gönnsdorf damals gehörte und deren baubesessener Bürgermeister Hans-Jürgen Behr sich für Schlereths Interessen einsetzte. Die Klage hatte reichlich Aussicht auf Erfolg und hätte das Schlereth-Projekt am Zachengrund weit zurückgeworfen.
Sinneswandel nach einem Telefongespräch
In dieser verfahrenen Situation bekam Ministerpräsident Kurt Biedenkopf zwei Briefe. Am 6. Juni
1996 bat Oberbürgermeister Herbert Wagner den Regierungschef darum, er solle auf seinen Freund Schlereth einwirken, damit der dem notwendigen Straßenbau für AMD zustimme. Schlereth seinerseits hatte schon Mitte April 1996 wegen der Probleme mit dem Standort Am Zachengrund an seinen Freund Biedenkopf geschrieben und um Hilfe gebeten. Kurt Biedenkopf antwortete beiden.
OB Herbert Wagner erfuhr am 12. Juni wenig Erfreuliches. Er, Biedenkopf, stehe „in dem streitigen Sachverhalt (Am Zachengrund) weder für Interventionen zugunsten der Stadt noch für Interventionen zugunsten des Investors zur Verfügung", hieß es in dem Brief. Biedenkopf teilte auch mit, er habe den Fall an den Innenminister weitergegeben, werde ihm aber „keine Weisungen erteilen oder Wege anregen, wie er die anstehenden Probleme lösen soll". Alles politisch korrekt. Nichts da mit unerlaubter Einflussnahme.
Anregungen waren aber am 12. Juni auch nicht mehr nötig. Denn am Tag zuvor hatte Innenminister Klaus Hardraht als „Moderator", wie es offiziell heißt, die wichtigsten Konfliktpunkte endgültig ausgeräumt. Schon am 7. Juni hatten die Streithähne am Tisch des Innenministers gesessen. Während es im Innenministerium zu jenem Treffen angeblich kein Protokoll gibt, hat eine Juristin aus dem Dresdner Rathaus eifrig mitgeschrieben. Sogar einen angeblichen Sinneswandel beim Innenminister hielt sie fest. Hardraht sei für etwa 20 Minuten wegen eines Telefonates aus dem Zimmer gerufen worden. Danach „verlegte sich Herr Hardraht mehr auf die Vertretung der Interessen der Gemeinde Schönfeld-Weißig", hielt OB Wagners Protokollantin fest.
Klaus Hardraht streitet das Telefonat nicht ab. Seiner Erinnerung nach jedoch habe nicht Biedenkopf angerufen. Sicher sei er sich „auf jeden Fall", dass der Ministerpräsident auf den Inhalt der Gespräche ihm gegenüber „keinen Einfluss genommen hat".
Fest steht jedoch, dass die von der Stadt Dresden verlangte Reduzierung der über 250 Eigenheime auf die Hälfte nach dem Telefonat mit dem Innenminister nicht mehr zu machen war. Ein solches Ergebnis wollte Klaus Hardraht dem Investor Schlereth nicht unterbreiten, hält das Protokoll fest, das der SZ in einer Abschrift vorliegt. Wollte man eine so derbe Absage an den Freund des Ministerpräsidenten nicht riskieren?
Schlichtung am Minister-Tisch
Schließlich wurde Max Schlereth am 11. Juni angeboten, er könne 75 Prozent der geplanten Häuser bauen. Also eine Reduzierung nur um ein Viertel und nicht um die Hälfte. Letztlich ein Erfolg für Schlereth. Im Rähnitz-Konflikt tritt er schließlich die AMD-Zufahrtsstraße ab, nachdem sich die Stadt bereit erklärt, einen Abwasserkanal zu finanzieren.
Aber schon vor den Gesprächen im Innenministerium konnte Max Schlereth sich seines Erfolges einigermaßen sicher sein. Denn rund zwei Wochen vorher, am 21. Mai, hatte ihm Kurt Biedenkopf auf den Brief von Mitte April geantwortet, weniger ablehnend. Er habe, so schrieb der Ministerpräsident, den Innenminister gebeten, „einen angemessenen Weg" zur Lösung des Problems zu finden.
(Thomas Schade)