Karl Nolle, MdL
Pressemitteilung, SPD-Landtagsfraktion, 06.06.2001
Nolle: "Darum hat Biedenkopf lächelnd im Ausschuss gelogen"
Trotz Falschaussage droht Biedenkopf keine Strafe
Dresden. Der SPD-Landtagsabgeordnete und Mitglied im
Paunsdorf-Untersuchungsausschuss des Landtages, Karl Nolle, erklärte heute,
warum er trotz vermuteter uneidlicher Falschaussage gegen Ministerpräsident
Biedenkopf keine Strafanzeige gestellt hat:
"Ich bin davon überzeugt, dass der Ministerpräsident den
Untersuchungsausschuss über seine Rolle bei der Anmietung des
Behördenzentrums Paunsdorf belogen hat. Aber nach sächsischem Recht handelt
der Ministerpräsident nicht strafbar, wenn er als Betroffener vor dem
Untersuchungsausschuss die Unwahrheit sagt. Er kann schadlos lügen."
Zum Hintergrund dieser Beurteilung
Uneidliche Falschaussagen sind grundsätzlich vor einem
Untersuchungsausschuss genauso strafbar wie vor einem Gericht. Aber nur,
wenn sie von einem Zeugen gemacht werden. Biedenkopf war aber kein Zeuge,
wie sich aus dem sächsischen Untersuchungsausschussgesetz ergibt. Danach war
er "Betroffener", weil der Untersuchungsausschuss klären soll, ob Biedenkopf
persönlich für die Anmietung der Immobilie von einem Biedenkopf-Freund zu
Bedingungen verantwortlich ist, die den Freistaat geschädigt haben. "Das
wusste natürlich der Ministerpräsident. Darum hat er lächelnd gelogen. Außer
politischer Beschädigung kann ihm nichts passieren", sagte Nolle zu diesem
Vorgang.
Unabhängig davon, ob Falschaussagen als Zeuge, Sachverständiger oder in
einer sonstigen Verfahrensrolle gemacht werden, sind sie mit Strafe bedroht,
egal ob auf sie ein Eid geleistet wurde oder ob es sich um eine uneidliche
Falschaussage handelt. Biedenkopf durfte aber nicht vereidigt werden. Das
ist nur für Zeugen zulässig. Doch Biedenkopf war Betroffener, vergleichbar
einem Beschuldigten im Strafverfahren. Das sächsische
Untersuchungsausschussgesetz lässt in einem solchen Fall keine Vereidigung
zu. Es unterscheidet genau zwischen Betroffenen und Zeugen.
Zur politischen Bewertung
"Es ist jetzt nicht an der Zeit, die Beweiserhebung des Ausschusses zu
würdigen, bevor sie abgeschlossen ist", sagte Karl Nolle zur politische
Bewertung. Wichtige Zeugenvernehmungen stünden noch bevor, darunter auch die
des Biedenkopf-Freundes Heinz Barth, des ehemaligen Leiters des Leipziger
Liegenschaftsamtes, Norbert Steiner und möglicherweise auch die von Ingrid
Biedenkopf. "Aber die Unverfrorenheit", so Nolle weiter, mit der Kurt
Biedenkopf behauptet hat, nach dem Juli 1993 keinen Einfluss mehr auf die
Anmietung von 18.000 Quadratmeter "Vorratsfläche" genommen zu haben, sucht
ihresgleichen und kann nicht unkommentiert bleiben. Sein Gesprächspartner
Dr. Muster, Abteilungseiter im Finanzministerium, hat unmissverständlich ein
Gespräch vom 1. Oktober 1993 beschrieben, in dem es um gerade diese Frage
ging. Biedenkopf gefährdet noch die letzten Reste seines einstmals guten
Rufs, wenn er versucht, das Parlament irrezuführen."
Beweise für die Falschaussage
Nolle hält Dr. Musters Darstellung, die im direkten Widerspruch zur Aussage
des Ministerpräsidenten steht, aus mehren Gründen für glaubhaft: "Es gibt in
den Akten des Ausschusses einige Hinweise auf das Gespräch vom 1.Oktober
1993 zwischen Dr. Muster und Ministerpräsident Biedenkopf. So existiert ein
Schreiben des Staatlichen Liegenschaftsamtes Leipzig, in dem dieses auf ein
Telefonat mit Dr. Muster vom 4. Oktober 1993 Bezug nimmt. Darin wurde
offenbar die Entscheidung mitgeteilt, weitere Behörden unterzubringen. In
diesem Zusammenhang hat der Zeuge Dr. Muster bereits seinerzeit
handschriftlich vermerkt, der Ministerpräsident habe ihm am 1. Oktober 1993
seine Unterstützung bei der Unterbringung weiterer Behörden zugesagt.
In einer Besprechung am 10. November 1993 wurde von den Ressorts, die durch
die geplanten Unterbringungen betroffen waren, beklagt, dass man die Pläne
jetzt zum ersten Mal sehe. Daraufhin verwies Dr. Muster die erzürnten
Kollegen auf die "ultimative Bemerkung" in der Einladung, dass auf jeden
Fall schon in dieser Besprechung Entscheidungen über die Anmietung getroffen
werden sollten (bei Nichtentsendung eines entscheidungsbefugten Vertreters
werde von einer Zustimmung zu den zu treffenden Beschlüssen ausgegangen).
Diese ultimative Bemerkung, so Muster weiter, sei auf Anregung von
Biedenkopf aufgenommen worden. Auch diese Äußerung, die aus der
handschriftlichen Fassung des Protokolls der Besprechung hervorgeht, belegt
den maßgeblichen Einfluss Biedenkopfs.
Nolle glaubt nicht an einen Irrtum des Ministerpräsidenten
"Der Ministerpräsident konnte sich bei seiner Vernehmung erstaunlich gut an
Dinge erinnern, die letztlich als Vorbereitung des Gesprächs vom 1. Oktober
1993 erscheinen", führte Karl Nolle weiter aus. So konnte sich Biedenkopf an
die Umstände entsinnen, die dazu führten, dass ihm am 27. September 1993 von
dem Bauherrn der zu mietenden Flächen Grundrisse und Raumskizzen zur
Unterbringung verschiedener Behörden in Paunsdorf in ein Bonner Hotel
gebracht wurden. Ebenso erinnerte er sich daran, dass er sich am 30.
September 1993 vom Liegenschaftsamt eine Aufschlüsselung über die erfolgten
Anmietungen im Behördenzentrum Paunsdorf zuschicken ließ, aus der die
seinerzeit noch nicht gemietete Fläche hervorging. "Da sagt mir der gesunde
Menschenverstand", so Nolle, "dass er dann auch wissen muss, dass er
persönlich am Folgetermin, dem 1.Oktober 1993, die wichtigsten Weichen für
die Anmietung weiterer Flächen gestellt hat."
Damit sei nun allen klar sein, warum Biedenkopf solchen Wert darauf legte,
als Betroffener und nicht als Zeuge vernommen zu werden. Denn nur als
Betroffener konnte sich er in seiner Aussage vor dem Ausschuss schadlos an
die Besprechung am 1. Oktober 1993 nicht mehr erinnern.
Was Biedenkopf aussagte
Der Ministerpräsident führte in seiner einleitenden Stellungnahme im Rahmen
der Ausschuss-Vernehmung aus, zunächst habe im Frühjahr 1993 das
Liegenschaftsamt Leipzig die Verhandlungen geführt. Dann habe die
Staatsregierung die Verhandlungen an sich gezogen; der Finanzminister habe
die Mietverträge abgeschlossen. In einem Vermerk vom 1. Juli 1993 habe der
Ministerpräsident dem Finanzminister mitgeteilt, es sei beabsichtigt,
Behörden des Freistaates Sachsen in Paunsdorf unterzubringen. Er habe nicht
gesagt, die Behörden sollten dort untergebracht werden, sondern er habe nur
die Behörden aufgeführt, deren Unterbringung bis dahin zur Diskussion
gestanden habe. Der Finanzminister habe ihm am 15. Juli 1993
zurückgeschrieben, die ersten Verträge seien bereits am 26. oder 24. Juni
1993 abgeschlossen worden. Herr Muster, der zuständige Abteilungsleiter,
hätte das in die Hand genommen.
Nunmehr gab der Ministerpräsident die Tatsachendarstellung, deren
Richtigkeit zwischenzeitlich höchst zweifelhaft geworden ist. Danach seien
die Verträge alle vom Finanzminister abgeschlossen worden. Der
Ministerpräsident habe sich über den Abschluss weiterer Verträge auch nicht
mehr unterrichtet. Dazu habe er nach der Mitteilung, der Finanzminister habe
die Dinge in die Hand genommen, keine Veranlassung gesehen. Es habe keine
Notwendigkeit für den Ministerpräsidenten bestanden, sich in den weiteren
Verlauf der konkreten Verhandlungen der Mietverträge einzuschalten, es sei
denn, es seien irgendwelche Hinweise vom Investor nach Auffassung des
Ministerpräsidenten weiterzugeben gewesen. Bis November 1993 seien 18.000
Quadratmeter Vorratsfläche mit gemietet worden. Das habe der Finanzminister
gemacht. Er, der Ministerpräsident, sei da nicht konsultiert worden.
Was Muster aussagte
Diese Biedenkopf-Aussage widerspricht der Aussage, die der Zeuge Dr. Muster
am 28. Mai 2001 vor dem Untersuchungsausschuss machte. Musters Aussage ist
durch Dokumente, die sich in den Ausschuss-Unterlagen befinden, belegt.
Danach sei Dr. Muster am 1. Oktober 1993 um 9.30 Uhr zu einem Gespräch zum
Ministerpräsidenten gerufen worden. Dieser habe ihm deutlich gemacht, dass
er, der Ministerpräsident, einen schnellen Abschluss der Mietverträge
wünsche. Außerdem habe der Ministerpräsident gewünscht, dass die noch freien
Flächen in Paunsdorf (Bauteil B) durch weitere Behörden belegt werden
sollten. Er wolle sich notfalls selbst an die betroffenen Ressortminister
wenden. Zeuge Dr. Muster habe sich zu der Entscheidung "geschoben" gefühlt.
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