Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 25.06.2001
Roßbergtag an der Elbe
In Dresden war die Wechselstimmung größer als die Furcht vor dem beschworenen Chaos und der Berghofer-Effekt: Ingolf Roßberg bezwingt Amtsinhaber Herbert Wagner
DRESDEN. AIs ob sie nicht alles versucht hätten. Das Chaos haben sie heraufbeschworen, den Niedergang an der Elbe, verschreckte Investoren und hofierte Post-Kommunisten. Vergebens. Es kam sogar schlimmer als beim ersten Mal. Die CDU mit ihrem lahmenden Zugpferd Herbert Wagner hat den Wagen nicht mehr flott gekriegt. Tiefpunkt eines eher peinlichen Plakatwahlkampfes war zuletzt eine Charmeoffensive für den Amtsinhaber: Drei schwarz gekleidete Damen posierten mit erhobenem Daumen für „Herbert". Wagner als Frauenschwarm - was man sich in der Not nicht alles einfallen lässt.
Entlastungsangriff ging nach hinten Ios
Auch der Ministerpräsident hatte sich ins Zeug gelegt und vor „unabsehbaren Risiken für die Stadt" gewarnt. Zum Schluss musste dann auch noch Polit-Entertainer Heinz Eggert für die CDU ran. Dem fiel beim Wahlkampfabschluss zwar viel Spöttisches über die Herausforderer ein, aber weniger zum CDU-Amtsinhaber. „Jeder, der ihn kennt, weiß, dass er oftmals ein wenig hölzern wirkt." Doch wer Herbert Wagner wähle, könne ein gutes Gewissen haben. Der Mann sei ehrlich und berechenbar. Das klang ein wenig wie langweilig und uninspiriert. Geholfen hat es auch nicht. Ebenso wenig wie der vermeintliche „Entlastungsangriff zu Gunsten der CDU" (Politologe Werner Patzelt), den der undurchsichtige Wolfgang Berghofer führte und der schließlich nach hinten losging. Berghofer hat sich wohl hoffnungslos selbst überschätzt, einigermaßen blamiert und es mit vielen Leuten verscherzt, aber seine Schäflein als Unternehmensberater im Trockenen.
Wagner blieb zwar die Schmach erspart, von eben jenem SED-Funktionär, den er 1990 als OB ablöste, wieder verdrängt zu werden. Aber seinen Posten ist er Ios. Amtsbonus gab es nicht. So was, meint er, gebe es wohl in alten Ländern, aber nicht in Ostdeutschland, wo die Stimmungslage von 1990, als viele Köpfe rollten, noch fortbestehe. Die Wechselstimmung war unumkehrbar. Trotz der Berghofer-Posse. Trotz der unbestritten positiven Entwicklung Dresdens, die sich Wagner doch auf seine Fahnen hätte schreiben können. Obwohl es während seiner elfjährigen Amtszeit keine größeren Skandale gab, blieb aber der Spott "Pannen-Herbert" an ihm kleben. Zu sehr hat er sich immer wieder im gegenseitig blockierenden Gezerre von Stadtrat und Verwaltung verfangen. Er ist so als farb- und konturenlos abgekanzelt worden, dass er einem beinahe Leid tut und man sich fragt, wie ein Mann das alles wegsteckt.
Der kleinste gemeinsame Nenner
Zumal sein jetziger Bezwinger auch nicht gerade eine Ausgeburt von Charisma ist, auch wenn er breitestes Dresdnerisch spricht, jünger ist und gewinnender lächeln kann. Ingolf Roßberg, angetreten als „OB für alle", ist mehr der kleinste gemeinsame Nenner einer kuriosen Mischung von diffus Unzufriedenen. Das war sein Vorteil, aber es könnte künftig auch sein Problem als Oberbürgermeister werden.
„Roßberg kann's" und „Roßberg wird's", schrie es wochenlang von den Plakaten. Nun ist er's geworden, lässt sich an diesem von der PDS zum „Roßbergtag" ausgerufenen Sonntag von seinen jubelnden Unterstützern umarmen. Vorne weg Biedenkopf-Jäger Karl Nolle (SPD), der lauthals „Ingolf, Ingolf" brüllt, dann, schon ruhiger, Christine Ostrowski (PDS) und Klaus Gaber (Grüne). Alle für einen. Doch Dresden - man sieht es am Wahlergebnis - ist gespalten. Die einen, die den Sieger mindestens für einen Filou halten - und das sind nicht nur CDU- und Wagner-Anhänger warten auf das ausbrechende Chaos und den Untergang an der Elbe. Die anderen - und das ist ein völlig bunter Haufen - hoffen auf Veränderung, wie auch immer die aussehen mag. Hauptsache Veränderung. Das als überparteilich angetretene FDP-Mitglied Roßberg hat ziemlich vielen ziemlich viel versprochen, ohne immer zu sagen, wie es angegangen und finanziert werden soll. Jetzt muss er regieren gegen eine konservative Rathausmehrheit und getragen von den unterschiedlichsten Interessen. Die Bürgerinitiative „OB für Dresden", die ihn nach langer Kandidatensuche auf den Schild gehoben hatte, kann sich in ihrem Anliegen bestätigt sehen, ohne Parteianbindung etwas bewirkt zu haben. Die in Ostdeutschland schwindsüchtige FDP kann sich mit einem Landeshauptstadtchef schmücken, auch wenn viele Liberale dem Parteifreund weniger über den Weg trauen, als es die politischen Gegner tun. Der smarte, junge Jan Mücke aus der FDP-Rathausfraktion etwa bezweifelte vor der Wahl noch, ob bei Roßberg „überall FDP drin ist, wo FDP drauf steht". Ob Privatisierung oder Autobahnbau, Roßberg erlaubt sich gern Alleingänge. Doch er bleibt FDP-Mann - und sollte die Partei etwa nicht auf ein gewinnendes Pferd setzen?
Die Unterstützer werden ihren Tribut fordern
Der PDS ging es vor allem darum, Wagner zu stürzen. Roßberg war zweite Wahl. Da hat Wolfgang Berghofer Recht, eigentlich war an ihn gedacht worden. Wochenlang hatten die Genossen den zum Kapitalismus konvertierten Phantom-Kandidaten hofiert, obwohl er ihnen programmatisch nicht gerade nahe steht und sich gegen Kräfte wehrte, „die versuchten, auf meinem Arsch durchs Feuer zu reiten". Die von Berghofer versetzte PDS hatte einen großen Teil des Roßberg-Wahlkampfes übernommen und ihre Truppen gegen den „Trittbrettfahrer" und Verräter in Stellung gebracht. Sie kann nun auf ihren nicht zu unterschätzenden Einfluss in der Stadt verweisen. Und alle warten drauf, dass Tribut gefordert wird, wenn die Felle neu verteilt werden. Ach ja, dann ist da noch die SPD, die zum Schluss gar noch Kanzler Schröder für Roßberg trommeln ließ. Auch die ist irgendwie für Roßberg ebenso wie die Grünen und wer weiß, wer sonst noch alles.
Der 40-jährige Familienvater hat es geschafft, so verschiedene Kräfte hinter sich zu bringen. Nun muss er sich als Meister der Integration erweisen, wenn er alle unter einen Hut bringen und zudem noch die Bevölkerung wie versprochen mehr an Entscheidungen beteiligen will. Er wird sein Intermezzo als Dezernent in Wuppertal abbrechen und in seine Heimatstadt zurückkehren. Gern und mit Erfolg hat er die Karte gespielt, mit Elbwasser getauft, hier vom Pioniereisenbahner zum Diplom-Verkehrswissenschaftler geworden, aber auch im Westen angekommen zu sein. 1990 wurde er zunächst Dezernent in Dresden, später Erster Bürgermeister in Radebeul. Gegenwind ist der Liebhaber von Johann Strauß zur Genüge gewohnt. Als Dezernent war er von 1990 bis 1994, als viele wichtige Weichen gestellt wurden, für Stadtentwicklung in Dresden zuständig. Damals hat er sich viele Leute nicht gerade zum Freund gemacht, weil er verschiedene Projekte immer wieder in Frage stellte. Er ist einer, der gern nach alternativen, „intelligenteren" Lösungen sucht und dabei in Kauf nimmt, dass die nicht gelingen. Während andere lieber sofort zugreifen, als später mit leeren Händen dazustehen.
Der Ruf als Verhinderungsdezernent
Seither haftet Roßberg jedenfalls der Ruf als „Verhinderungsdezernent an, der Investoren vergraule und Aufschwung lähme. „Ich bin froh, dass in der Zeit des wilden Ostens nichts passiert ist, was nicht wieder gutzumachen wäre", hat er mal auf diesen Vorwurf gekontert. Bei seinen Gegnern hört sich das so an: „Dass es in Dresden nicht schon früher vorangegangen ist, ist die Schuld von Ingolf Roßberg." Ein Satz, den zum Beispiel Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) gern bei Spatenstichen und Einweihungen variiert. Viele von der Staatsregierung beförderte Projekte hat der Autoskeptiker Roßberg („Ich vertrage das Fahren nicht so gut") kritisiert, wenn nicht blockiert: die neue Autobahn, die Gläserne VW-Fabrik am Großen Garten, die geplante Waldschlösschen-Elbbrücke. Damit ist er quasi der natürliche Feind der Staatsregierung.
Der Neue in der Landeshauptstadt wird also wohl nicht nur mit Widerständen im eigenen Rathaus, sondern auch in der Staatskanzlei auf der anderen Elbseite zu kämpfen haben. Denn die muss dieses Wahlergebnis ja auch als ihre Niederlage und weiteren Beleg für ihre erodierende Macht zur Kenntnis nehmen. Man darf also gespannt sein, wie der Affären-geschüttelte Chiemsee-Anwohner Kurt Biedenkopf umgeht mit dem „Schrott aus Wuppertal", wie er Ingolf Roßberg vor dem ersten Wahlgang beschimpfte. Ignorieren können sie sich ja wohl nicht.
(Heinrich Löbbers)