Karl Nolle, MdL
DNN, 26.05.2001
Stimmensuche zwischen Freibier und Händeschütteln
Mit den Spitzenbewerbern auf Wahlkampftour
DRESDEN. Würden sie nicht gegeneinander antreten, hätte sich sagen lassen: Getrennt marschieren, vereint schlagen. Am Abend eines weiteren Wahlkampftages saßen gestern auf einem Podium des Industrieclubs Sachsen wieder die beiden Männer zusammen, die tagsüber um Stimmen für die Oberbürgermeisterwahl geworben haben. Amtsinhaber Herbert Wagner war in Gorbitz, Ingolf Roßberg erst in Striesen, dann in Cossebaude unterwegs.
Bei der Diskussion sind die Spuren sichtbar, die der Wahlkampf bei beiden hinterlassen hat. Farbe ist in ihren Gesichtern nach Tagen des sonnigen Straßenwahlkampfs mit Händeschütteln, Ansprachen und Diskussionen. Im Druckhaus Dresden hatte am Vormittag nur das Neonlicht von der Decke geschienen, als Roßberg einen besuchte, der auch gerne OB geworden wäre. Karl Nolle, SPD-Landtagsabgeordneter und Roßberg-Plakate-Drucker, hatte im Januar das Handtuch geworfen, weil ihn vor allem die PDS nicht mittragen mochte.
Von Ärger oder Neid mochte er, der ehemals designierte Kandidat, nichts wissen. Nolle sah sich eher als Königsmacher - „weil ich nicht unwesentlich Anteil daran habe, dass ein gemeinsamen Kandidat gefunden ist". Seinen Rückzug muss offenbar der Ministerpräsident bedauern. "Da ich nicht im Wahlkampf bin, habe ich die Zeit gehabt, mich mehr mit dem höfischen Leben in der Schevenstraße zu beschäftigen", sagte Nolle mit einem Grinsen.
Roßberg konnte bei ihm eines der ersten Exemplare seiner zweiten Plakatwelle aus dem Druck fischen. „Roßberg wird's" klebte wenig später am SPD-Stand an der Schandauer Straße. Dort ärgerte sich Jeans-Händlerin Christa Seile über Konkurrenz auf der grünen Wiese. Vom zukünftigen OB erwartet sie, weitere Großeinkaufszentren zu verhindern. Hat sie sich schon für einen Kandidaten entschieden? Nein, dazu müsse sie sich erst noch Gedanken machen.
Nebenan im Elektronikhandel traf Roßberg einen Namensvetter. Dirk heißt er, und zu seinem Favoriten mag er nichts sagen, wählen wolle er aber auf jeden Fall. Er klagt mit einem Kollegen über Autolärm von der Straße. Asphalt statt des Kopfsteinpflasters müsse auf die Schandauer Straße, Bäume und Parkbuchten sollten an den Straßenrand. „Das wäre doch eine Aufgabe für einen OB."
Der Amtsinhaber macht am Nachmittag in Gorbitz Station. Außer den üblichen Gesichtern des CDU-Wahlkampfteams hören gut drei Dutzend Wähler, meist jenseits der 50, wie Herbert Wagner von seinen Vorstellungen spricht, von der wirtschaftlichen Stärkung Dresdens, von zu sanierenden Schulen und Straßen. Auf den Autogrammkarten, die er nachher verteilt, stellt sich August der Starke hinter ihn: "An mein Dresden lasse ich nur Wagner als OB" - Anspielung an eine Seifenwerbung. Dieter Bruns ist einer von denen, die mit einem Autogramm nach Hause gehen. Richtig festlegen mag er sich nicht, aber es sei doch letztlich in Dresden mit dem OB in den vergangenen elf Jahren aufwärts gegangen.
Tags zuvor hatte Wagner beim Fest am Goldenen Reiter Bier gezapft und Werbung für die sponsernde Brauerei gemacht. „Wagner, Wagner", riefen ein paar sichtlich angeheiterte junge Männer vor der Bühne, auf der Wagner in blasser Freizeitkleidung gar nicht von Politik sprechen mochte, sondern zu Freibier einlud.
Im Industrieclub, links und rechts von MDR-Moderatorin Cornelia Nossek, schließlich das Finale, unter anderem zur Wiener-Platz-Misere und zur Waldschlößchenbrücke. Für beide die letzte Station eines Wahlkampftages - wie sie ihn noch 14 Mal vor sich haben.
(Stefan Alberti)