Karl Nolle, MdL
Tagesspiegel (Berlin), 30.08.1999
Ingrid Stolpe: "Mein Mann lässt sich nicht mal von mir in die Karten schauen".
Wie ist das eigentlich so, die Frau eines Ministerpräsidenten zu sein? Über Hutparties, Modemuffel, Biedenkopfs, Sturheit und den Kanzler.(Sechs Tage vor der Wahl in Brandenburg) Ingrid Stolpe über Ingrid Biedenkopf
Während wir hier sitzen, empfängt der Ministerpräsident in der Villa Kampffmeyer an der Glienicker Brücke den Bundeskanzler. Warum ist Frau Stolpe nicht dabei?
Mein Mann hat mich diesmal gar nicht erst gefragt. Ich sage ja sowieso immer: Muß ich unbedingt mit? Außerdem hat eine langjährige Freundin, Schwester Maria, heute Geburtstag.
Könnte Ihr Mann im Wahlkampf nicht Ihre Unterstützung brauchen?
Er braucht keine Unterstützung, und ich würde ihn echt behindern. Glauben Sie, dass Manfred Stolpe mit mir händchenhaltend durch die Potsdamer Fußgängerzone schlendert? Das macht er nicht. Wenn wir irgendwo hingehen, stürzt er sowieso immer zehn Meter vorneweg.
Ist das der Grund, warum Brandenburgs First Lady - anders als Frau Biedenkopf in Sachsen - so selten im Rampenlicht steht?
Natürlich nicht. Aber mein Motto ist: Ich regiere nicht, sondern mein Mann. Zwischen Frau Biedenkopf und mir liegen Welten. Frau Biedenkopf hat in der Staatskanzlei ein eigenes Büro mit einem Etat von 150.000 Mark. Ich habe eine eigene Arztpraxis mit Schulden von 150.000 Mark. Das ist der kleine Unterschied.
Sie sind voll berufstätig, hat das mit Ihrer DDR-Biographie zu tun?
Ja, vielleicht. Ich bin nicht erzogen worden, für einen Mann zu repräsentieren. Das mag bei Westfrauen anders sein.
Sie hätten Ihren Beruf als Ärztin 1990 aufgeben können, als Ihr Mann Ministerpräsident wurde.
Nach 25 Jahren?
Ich habe immer gearbeitet. Ich war angestellte Ärztin im Potsdamer Klinikum, gerade entlassen worden und arbeitslos. Also habe ich mir gesagt: Du gehst in die Niederlassung.
Wußten Sie, was Sie als Ministerpräsidenten-Gattin erwartet?
Nein, dann hätte ich das mit der Praxis wohl nicht gemacht. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass ich andauernd in irgendwelchen Verbänden, Fördervereinen mitmachen und Schirmherrschaften übernehmen soll. Es hat mir niemand gesagt, auch mein Mann nicht.
Hat sich Ihr Mann vor seiner Kandidatur mit Ihnen beraten?
Nein, ich war damals auf einem Lehrgang in Baden-Baden und habe erst nach meiner Rückkehr davon erfahren.
Arztberuf, Haushalt und offizielle Protokoll-Termine: Wie bewältigen Sie das?
Es ist schwer, aber inzwischen bin ich trainiert. Mich hat mal jemand gefragt: Wer bürstet denn die Anzüge ihres Mannes. Oh Gott, habe ich gedacht: Wer bürstet bei uns die Anzüge? Natürlich niemand. Ich bringe sie in die Reinigung.
Werden an Sie als First Lady viele Wünsche und Anfragen herangetragen?
Ja, meist wegen Ärger mit Behörden. Inzwischen hat es sich eingebürgert, dass die Leute in meine Praxis kommen. Ich kann mir natürlich nicht alles merken. Deshalb sage ich: Schreiben Sie das mal ganz kurz auf und werfen Sie es mir in den Briefkasten. Und dann gebe ich es meinem Mann. Das funktioniert gut.
Gibt es überhaupt Termine, die Ihnen Spaß machen?
Am Anfang habe ich es gern gemacht. Aber jetzt ist es immer das Gleiche. Man trifft immer dieselben Leute. Mein Motto ist: Wenn Könige kommen, nehme ich frei. Das macht mir Spaß. Aber wir hatten ja noch nicht so sehr viele Könige hier.
Das diplomatische Protokoll gilt als hohe Kunst. Gab es für Sie einen speziellen Benimm-Kurs?
Nein. Man lernt das allmählich. Mir helfen auch meine Erfahrungen aus Ost-Zeiten. Kirche gehörte in der DDR immer zum Protokoll, da konnte ich ein bisschen üben. Einmal bin ich übel aufgefallen, bei den Franzosen, am Nationalfeiertag.
Warum das?
Ich kam sonnengebräunt vom Plattensee, kaufte mir im "Exquisit" ein tolles Kleid. Aber es war ein Nachmittags-Empfang - und ich im Abendkleid. Heute lache ich darüber, damals war mir nicht danach zumute.
Hat sich Ihr Freundes- und Bekanntenkreis verändert?
Unsere alten Freunde sind geblieben. Aber ich denke schon, dass sich jetzt mancher um einen kümmert, der dies sonst nicht tun würde.
Treffen Sie sich privat mit den Gattinnen der Mächtigen?
Da bin ich völlig rausgefallen. Ich wurde immer eingeladen, zum Tennis, zum Golf, zum Reiten. Aber ich hatte einfach keine Zeit. Und für eine Hutparty bei Frau Klingbeil bin ich wirklich nicht der Typ. Andererseits lade ich ja selbst zu Benifiz-Veranstaltungen ein. zum Beispiel für der Aktion "Umwelt für Kinder". Wer überall Männchen macht, ist in dieser Gesellschaft besser dran.
Auch kein Kaffeekränzchen mit Frau Hildebrandt?
Iwo, Frau Hildebrandt ist ja lieb und nett. Aber wir passen nicht zusammen.
Und mit Frau Rau, Frau Clement, Frau Biedenkopf?
Nein, auch nicht. Zu Frau Höppner, die pfarrert ja, arbeitet also auch, habe ich einen guten Draht. Und wenn ich schon mal klatsche: Ganz nett ist auch Frau Stoiber. Aber trotzdem trennen uns Welten, auch im Lebensstil: Unserer ist schlicht.
Was ist eigentlich das Schönste für die Gattin des Ministerpräsidenten?
Wenn mein Mann frei hat. Der ist ja nie da. Undenkbar, mal spontan in den Spreewald zu fahren. Es wird immer verrückter. Vielleicht ist das Regieren schwieriger geworden.
Ist Ihr Mann immer noch ein notorischer Frühaufsteher?
Ja, ich habe mich angepaßt. Er steht um Fünf auf, ich um Sechs. Das konnte ich früher nicht. Aber inzwischen geht es.
Was macht der Hausherr denn bloß so kurz nach Mitternacht?
Er quält sich mit seinen Liegestützen und Kniebeugen. Ich höre ihn manchmal pusten. Unsereiner steht unter der Dusche und macht Wiederbelebungsversuche.
Schöpft Manfred Stolpe daraus Kraft?
Nach dem morgendlichen Pensum hat er den inneren Schweinehund für den Tag bekämpft. Sein Motto ist: Schlimmer kann es heute nicht kommen.
Was macht Ihr Mann, wenn er nach Hause kommt? Legt er dann erst Mal die Beine auf den Tisch?
Wenn er mal pünktlich kommt, sehen wir uns die Landesnachrichten vom ORB an. Meist hat er noch zu telefonieren. Er sammelt Wappen. Früher hat er sogar welche entworfen. Und er liest, ich weiß gar nicht wann, wahnsinnig viel, Geschichtsbücher.
Kommen Sie noch dazu, gemeinsame Ausflüge zu machen?
Manchmal, mit dem Fahrrad. Ohne Bodyguards. Neulich sind wir nach Ferch zum Essen geradelt. Als wir in Caputh die Räder über die Brücke trugen, rief jemand: Da kann Stolpe mal sehen, wie es ist, wenn man sein Rad selber tragen muß. Herrlich. Als wir am Restaurant ankamen, waren da lauter West-Berliner mit großen Autos. Und wir beide mit dem Fahrrad und in Jeans. Die waren fassungslos.
Wird zu Hause nie gekocht?
Doch, ich koche. Mein Mann kann das nicht. Wenn ich immer höre, von Patientinnen, wie toll ihre Männer kochen können, dann bin ich völlig fassungslos und denke: So einen bräuchtest Du auch.
Hat Ihr Mann ein Lieblingsgericht?
Ach was, der ist pflegeleicht. Der isst alles.
Ihr Haus wird ständig bewacht, bei Ausfahrten sind immer Bodyguards dabei. Stört Sie das nicht?
Nein, man gewöhnt sich dran. Sie sind ganz lieb. Aber ich mache mir immer einen Kopf, wie wir die Jungs unterhalten können.
Bundespräsident Rau hat kürzlich über seine Frau gesagt, ohne sie könnte er das, was er tut, nicht machen. Hat Ihr Mann das auch schon mal über Sie gesagt?
Nein, aber das wird er sich wohl täglich selbst sagen. Wir kennen uns 40 Jahre, sind 38 Jahre verheiratet. Ich bin so etwas wie seine gute Fee.
Sucht diese Fee auch seine Kleidung aus?
Nein, nie. Manchmal sage ich höchstens: So kannst du nicht rumrennen, das ist ja eine Katastrophe. Aber er bleibt ein Modemuffel.
Sie möchten ihn eleganter gekleidet sehen?
Ich würde ihn gern ein bisschen aufpeppen. Aber das ist unmöglich. Da wird er erst recht hinterpommerisch stur, da ist er stockkonservativ.
Streiten Sie sich?
Natürlich kommt das vor. Aber immer seltener. Vielleicht, weil man eingesehen hat, dass man diese Sturheit nicht ändern kann. Jeden anderen vielleicht, aber diesen Mann kriegt man nicht weichgekocht.
Manche halten Sie für kühl, andere für humorvoll. Wie ist Ingrid Stolpe wirklich?
Ich bin wohl wirklich ein bisschen unnahbar. Ich umarme nicht gleich jeden. In Jena hatte ich einen Spitznamen: Gräfin.
Manche sagen, Sie hätten etwas gegen Journalisten.
Das stimmt so nicht. Aber wir haben mit Medien viel Schlimmes durchgemacht. Da habe ich mir irgendwann gesagt, ich brauche diese Leute nicht - und einen Schlussstrich gezogen. Ich habe sogar die Zeitungen abbestellt. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens.
Sie meinen die Zeit der Angriffe auf Ihren Mann wegen seiner Stasi-Kontakte.
Ja.
Wer hat mehr gelitten, Sie oder Ihr Mann?
Er wird nie öffentlich sagen, dass er gelitten hat. Er hat gelitten. Aber ich habe bestimmt mehr gelitten. Wir haben zu Hause dann kaum noch darüber gesprochen. Die Patienten in der Praxis sagten: Ärgern Sie sich nicht, halten Sie durch! Das war der einzige Trost. Ohne die Arbeit hätte ich mir vielleicht das Leben genommen.
Haben Sie Ihrem Mann damals geraten, alles hinzuwerfen?
Klar habe ich das. Aber er hat gesagt: Dann denken die wirklich, ich war bei dem Verein. Doch meine Angst war groß, dass die ganze Familie kaputtgeht.
Hat diese Zeit Sie und Ihren Mann verändert?
Ja, sie hat uns Jahre unseres Lebens gekostet. Schauen Sie sich mal aufmerksam die jetzigen Wahlplakate mit meinem Mann an: Da kriegen sie einen Schreck. Wir haben eins von 1990 an der Bodentür. Wenn ich vergleiche, was da jetzt für ein weißhaariger Mann hängt, ist das schon bitter.
Sind die Angriffe der Grund, dass er sich noch weniger als früher in die Karten gucken lässt?
Das war schon immer so. Aus diesem Mann kriegen sie nichts raus.
Berät er sich mit Ihnen vor schwierigen politischen Entscheidungen?
Nein, da wären wir wieder bei Biedenkopfs. Aber ich erzähle ihm, was ich höre. Der Ärger über die 630-Mark-Jobs oder die Rentenreform. Die Leute haben doch Recht: Wenn man bei den Rentnern eine Nullrunde macht, dann muss es auch bei Politikern und Beamten eine Nullrunde geben. Meine Arztpraxis ist ein gutes Stimmungsbarometer.
Sagt Ihnen Ihr Mann, was er über die Politik des Kanzlers denkt?
Da lässt er sich auch von mir nicht in die Karten gucken. Er redet überhaupt nicht über andere Leute: Er hätte mir auch nicht gesagt, was er über Kohl denkt. Aber ich glaube, dass er mit dem gut konnte. Den kannte er auch schon lange vorher. Ich habe schon zu DDR-Zeiten für Frau Weber aus Kohls Vorzimmer Geschenke eingepackt.
Was halten Sie von Schröder?
Er ist schön und medienwirksam. Aber das war's dann auch.
Das klingt nicht begeistert.
Ich weiß nicht, ob bei ihm unterm Strich mehr rauskommt, und ob Schröder diesen SPD-Haufen wirklich zusammen halten kann. Und dann auch noch die Grünen.
Sie sind keine Anhängerin von Rot-Grün?
Nein. Kaum ist Rot-Grün gewählt, gibt es den ganzen Tag nur Schreckensmeldungen. Da greift sich doch jeder an den Kopf. Ich sage zu meinen Patienten: Warten wir auf die nächste Regierung. Mal sehen, ob die es besser macht.
Sie sind keine Anhängerin der SPD?
Das stimmt. Wenn es nach mir ginge, bräuchte es gar keine Parteien geben.
Es heißt, dass Ihr Mann 1990 auch Angebote von der Union hatte, deren Spitzenkandidat in Brandenburg zu werden. Können Sie sich Ihren Mann eigentlich auch mit CDU-Parteibuch vorstellen?
Nein, das nicht. Er ist sehr sozial eingestellt und auch kein Karrieremann.
Leben Sie eigentlich gern in Potsdam?
Ja. Wir leben ja nun schon seit 1959 in der Stadt. Aber irgendwann möchte ich mir einen Traum erfüllen und über den Winter in den Süden ziehen.
Aber Sie haben einmal gesagt, wenn Sie durch Potsdam führen, bekämen Sie das Grausen.
Das stimmt. Sie kennen die Innenstadt: Dreck, Graffiti, Ramschläden. Das Holländische Viertel nehme ich aus, es ist schön geworden. Aber andere ostdeutsche Landeshauptstädte sind viel weiter: Erfurt ist eine Traumstadt. Da ist es heute wie im Westen. Kommt man nach Potsdam, ist man wieder im grauen Osten. Wo soll ich in Potsdam einkaufen? Mal gibt es nichts Passendes, mal nichts Modisches. Immer nur Schickes für junge Leute. Aber ich kann mich ja nicht reinhungern. Deshalb kleide ich mich meist während des Urlaubs ein. Einen Tag Innsbruck, einen Tag Garmisch oder auch mal Wien.
Hat sich denn unter dem neuen Oberbürgermeister Matthias Platzeck am Erscheinungsbild nichts verbessert?
Sehen Sie etwas? Aber der arme Mann kann sich nicht um jeden fehlenden Papierkorb selbst kümmern. Er ist zwar willig und zugänglich, hat es aber mit Stadtparlament und Rathaus schwer.
Ihr Mann ist jetzt 63 Jahre alt und will nach der Landtagswahl fünf weitere Jahre regieren. Hätten Sie es es lieber gesehen, wenn er den Stab an einen Jüngeren übergeben würde?
Wer hätte es denn machen sollen? Wenn Sie mich privat fragen, dann würde ich aus Egoismus sagen: Klar, warum soll er sich abstrampeln. Wir hätten ein Bombenleben: Er kann brillant reden, bräuchte bloß durchs Land reisen und Vorträge halten wie Gorbi. Aber mein Mann ist nicht der Typ, der ein Bombenleben sucht. Das war er nie.
Könnten Sie sich vorstellen, dass Ihr Mann sich um ein ganz anderes Amt bewirbt, vielleicht der erste ostdeutsche Bundespräsident wird?
Dazu ist es zu spät, der Zug ist abgefahren. Aber er wäre dafür geeignet. Er ist der geborene Diplomat, kann mit den Leuten umgehen.
Wen könnten Sie sich denn als Nachfolger Ihres Mannes vorstellen?
Der Einzige, der mir einfällt, ist Platzeck. Er ist auch so ein Moderator, der auf die Leute zugeht, sie gewinnen kann, mit verschiedenen Meinungen am Ende doch zu Potte kommt. Nach der Abwahl des früheren Oberbürgermeisters habe ich zu meinem Mann gesagt: Laß doch den Platzeck Ministerpräsident werden und mach Du den Oberbürgermeister in Potsdam. Da bräuchtest Du nicht so viel umhersausen. Aber das wollte er nicht.
(Das Interview führten Michael Mara und Thorsten Metzner)
"ICH BIN NICHT erzogen worden, für einen Mann zu repräsentieren. Das mag bei Westfrauen anders sein." Ingrid Stolpe beim Gespräch im Garten der Familie Stolpe. "WENN KÖNIGE KOMMEN, nehme ich frei", sagt die berufstätige Gattin des "MP".
Autor: Mara, Michael Metzner, Thorsten
Person(en): Stolpe, Ingrid