Karl Nolle, MdL
LVZ/DNN, 02.08.2001
Amtsübergabe: Roßberg ist jetzt Chef im Rathaus
Wagner reichte OB-Kette an Nachfolger weiter
Der dunkle Dienstmercedes mit DD-2000 auf dem Nummernschild wartete mit offener Tür vor den Rathausstufen, wie so oft in den vergangenen Jahren. Doch der Mann Anfang 50, der gestern Morgen mit einer Aktenmappe unter dem Arm das Gebäude verließ, stieg nicht mehr ein. Herbert Wagner, nun Ex-OB, wollte seinen letzten Weg vom Arbeitsplatz zu Fuß und allein gehen. Allein über den Altmarkt, über den Neumarkt, vorbei an der Frauenkirche, deren Einweihung er gerne als OB miterlebt hätte. Doch wie er tags zuvor in seiner Abschiedsrede sagte: "Es sollte nicht sein."
Leise war er aus dem OB-Zimmer gegangen, während an seinem bisherigen Schreibtisch Ingolf Roßberg breit über einem halben Dutzend Fotografen entgegen grinste. Eine halbe Stunde vorher hatte Wagner seinen Nachfolger erstmals als "Herr Oberbürgermeister" angeredet, wünschte ihm eine glückliche Hand für seine Arbeit und übergab die Amtskette.
Eine Warnung legte er dazu: "Wenn man sie trägt, kann man sich nicht mehr so frei bewegen wie vorher." Noch ließ Roßberg die Kette in ihrer dunklen Schatulle. Laut Protokoll darf er sie als OB erst tragen, wenn ihn der Stadtrat in seiner nächsten Sitzung am 9. August vereidigt hat.
Auch der Schreibtisch aus Berghofers Zeiten, an dem Wagner seinen Nachfolger im Blitzlicht zurücklässt, soll nicht im Rathaus bleiben. Noch nicht einmal ordentlich Unterlagen können, man darauf ausbreiten, meckerte Roßberg, schnell sollten ein Computer und ein Internetzugang ins Zimmer. Abends wird dort bereits ein Hightech-Bildschirm stehen.
Während Wagner über Neumarkt und Hauptstraße zum Albertplatz gehen wollte, um von dort mit dem Bus heim nach Bühlau zu fahren, saß Roßberg erstmals mit der Dezernentenrunde zusammen, ließ sich über die wichtigsten Anliegen und Projekte informieren, machte seine Standpunkte klar. "Aus meiner Sicht war es eine sehr kooperativ geleitete Sitzung", sagt Finanzbürgermeister und CDU-Mann Hanspeter Stihl später.
Roßberg ist dann schon bei den nächsten Treffen: mit dem Gesamtpersonalrat, mit den Amtsleitern und Chefs der städtischen Gesellschaften und mit seiner Büromannschaft. Karl Geisselbrecht, über Jahre als parteiloser Büroleiter der getreue Eckart Wagners und jetzt in gleicher Funktion bei Roßberg, hat ihn am Morgen vor der Amtsübergabe vor dem Rathaus empfangen.
Außer ihm steht nur eine Hand voll Verwaltungsleute vor dem Eingang, als Roßberg in einer Gruppe von gut 50 Unterstützern aus Parteien und der Bürgerinitiative "OB für Dresden" ankommt. Auch in den Fenstern sind nur ein paar Gesichter zu sehen. Friederike Beier, die OB-Kandidatin, die im zweiten Wahlgang Roßberg unterstützte, ist fassungslos: Wieso denn bloß nicht mehr Leute ihren neuen Chef sehen wollten?
Mit dem neuen Chef zog auch ein Stück Schwebebahnschiene ins OB-Büro. Das sei tatsächlich Schrott aus Wuppertal, meinte Roßberg und spielte auf eine Äußerung des Ministerpräsidenten im Wahlkampf an. Die Stadt Wuppertal, für knapp ein Jahr Roßbergs Heimat als Dezernent, hat ihm das Schienenstück zum Abschied geschenkt, gestern kamen Glückwünsche vom dortigen OB Hans Kremendahl zum Amtsantritt.
Geschenke gibt es in Mengen, viele noch am späten Nachmittag, als Roßberg nach 17 Uhr seine Tür für alle öffnet, die ihn besuchen wollen. Weit über hundert nutzen die Gelegenheit und stehen Schlange an seinem Zimmer. Auch zukünftig soll jeder bei ihm reinschauen können, wenn sonst keine Termine anstehen. Unter den Mitbringseln war auch ein Rotstift von den Jusos - abgebrochen, damit er nicht mehr zum Streichen taugt.
(Stefan Alberti)