Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 18.05.2001

Vom Mythos zur Hybris

 
Es gab einmal eine Zeit, da konnte Kurt Biedenkopf zaubern. Wenn an die Verdienste des sächsischen Ministerpräsidenten erinnert wird, muss zuerst seine politische Magie genannt werden. Mit feinen Gesten ist ihm gelungen, was in keinem anderen neuen Bundesland geschafft wurde. Biedenkopf hat den Sachsen nach der Wende ihr Vertrauen in eigene Fähigkeiten wiedergegeben. Ohne die düstere Realität zu leugnen, konnte er Perspektiven aufzeigen, die der Bevölkerung fast schon das Gefühl gaben, auserwählt zu sein. In den letzten Jahren seiner Amtszeit aber ist der Wunderland-Mythos leicht zu realitätsfremder Hybris mutiert. Zum sorgsam genährten Sachsen-Mythos gehörte sein Image als edler Aufbauhelfer, dem es nie um eigene Interessen ging. So wollte er gesehen werden: als anspruchsloser Diener. Als hätte er selbst den runden Tisch erfunden, schwärmte Biedenkopf von einer eigenen politischen Kultur im Osten. Richtig ist, dass er sich vor a1lem in den ersten Jahren nach 1990 für Sachsen aufgerieben hat. Richtig ist auch, dass er die besondere Situation der Politik im Osten genossen hat, solange selbst Oppositionspolitiker ihm dankbar zuhörten wie gelehrige Schüler. Sobald sie sich eigene Gedanken leisteten, bekamen sie aber zu spüren, dass Biedenkopf Machiavellis Instrumente gnadenlos zu bedienen weiß. Biedenkopf und sein treu ergebener Stab haben den Mythos unterdes weiter gepflegt. Man muss sogar befürchten, dass sie ihre Propaganda glauben. Dies gilt vor a1lem für den Professor selbst. Es ist schwer verständlich, dass ein Mann, der so differenzierte Analysen entwickeln kann, zugleich ein so schlichtes Selbstbild offenbart. Wird er angegriffen, spricht Biedenkopf sich heilig und erklärt schon den Zweifel an seiner Person zur Infamie. Er wähnt sich immer in der Opferrolle. Längst werden die Verschwörungstheorien belächelt, mit denen er die halbe Welt - die Bundes-SPD, Großverlage, westdeutsche Journalisten - für sein Dilemma verantwortlich macht. Ach, könnte er doch einmal eigene Fehlbarkeit eingestehen. Gerade weil die Sachsen um seine Verdienste wissen, hätten sie ihm vieles nachgesehen, was bei anderen zum Rücktritt geführt hätte. Doch Biedenkopf fürchtet offenbar , dass mit dem kleinsten Kratzer schon das ganze Image zerstört wird. Es ist die Angst, die Wähler könnten erkennen, dass sie einer Inszenierung erlegen sind. Also schiebt er die Schu1d für Verfehlungen auf andere, verstrickt sich in Widersprüche und bietet der …ffentlichkeit selbstgefällige Auftritte. Seine Tragödie ist, dass gerade durch diesen Starrsinn offenkundig wird, wie sehr Biedenkopf sich hinter der eigenen Unfehlbarkeit verschanzt. Tatsächlich hat an all dem die politische Kultur in Sachsen schwer gelitten. Aber man muss schon sehr weit weg sein von den Dresdner Verhältnissen, um - wie es Richard von Weizsäcker getan hat - Biedenkopf nur als Opfer zu sehen. Denn in der Affäre haben der Regierungschef und sein Stab ohne Zögern klassische Instrumente der Vertuschung eingesetzt. Sie haben legitime Fragen der Opposition schnoddrig abgewiesen und Zweifler im eigenen Lager isoliert. Hemmungslos schürt Biedenkopf Ressentiments, indem er Westdeutsche als Urheber der Affäre brandmarkt und sich selbst zum Opfer-Ossi erklärt. Wer sich für die ganze menschliche Dimension dieser Tragödie interessiert, sollte Biedenkopfs Umgang mit den Gegnern in der eigenen Partei beobachten. Zehn Jahre lang hat der Finanzminister Georg Milbradt die Politik Biedenkopfs maßgeblich mitgeprägt. A1s Milbradt eigenständiger wurde, warf Biedenkopf ihn mit übler Nachrede aus dem Kabinett. Im Januar hatte er immerhin noch bedauert, einen Freund und Vertrauten entlassen zu müssen. Nun erklärt er, dass Milbradt nie sein Freund gewesen sei - und macht ihn zum Sündenbock für eigene Verfehlungen. Milbradt ist kein Einzelfall, und wenn sich in der sächsischen CDU viele von Biedenkopf abwenden, liegt dies auch an der hohen Zahl der Verwundeten. Beklommen berichten Parlamentarier, wie Biedenkopf von ihnen Unterwerfung aus Dankbarkeit einfordert: Ihm hätten doch alle alles zu verdanken. Das mag im Kern stimmen, ohne seine Popu1arität stünde die CDU in Sachsen schlechter da. Doch für ihre Zukunft ist das eine Hypothek: Die Partei hat sich über ein Jahrzehnt so auf Biedenkopf ausgerichtet, dass ihr die Führung und die Instrumente fehlen, um ihre Zukunft selbst zu regeln. Hilflos wie verlassene Kinder betrachten viele den Scherbenhaufen, der seit der Entlassung Milbradts entstanden ist. Die ungeklärte Biedenkopf-Nachfolge ist die eigentliche Ursache der Leidenszeit. Um die Sache schnell regeln zu können, hofft man in der sächsischen CDU nun, dass für einen Moment Ruhe eintritt, damit Biedenkopf abtreten kann, ohne mit Affären in Verbindung zu stehen. Einen würdevollen Abgang hätte er verdient, aber er hat mehrmals die Gelegenheit dazu verpasst. Biedenkopf hat bereits sechs farblose Nachwuchs-Minister als Kandidaten für die Nachfolge ausgewählt: den einstigen Favoriten Milbradt will er verhindern. Ein schweres Erbe für Sachsen. Keiner der sechs könnte schnell die Ruhe wiederherstellen
(Von Jens Schneider)