Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 21.06.2001

"Villa wohnen - Platte zahlen"

Die sächsische Landespressekonferenz hat die Biedenkopf-Schlagzeile des Jahres gewählt
 
Auf Sachsens Ministerpräsidenten kommt oft die Aufgabe zu, Feste zu eröffnen. Am Dienstagabend nahm Kurt Biedenkopf als Schirmherr wieder einmal so eine Aufgabe wahr, die diesmal aber einen besonderen Reiz versprach. Er durfte das Sommerfest der Landespressekonferenz Sachsens eröffnen, jener Vereinigung von Bericht erstattern, die ihm im zurückliegenden Jahr ungewohnt wenig Freude bereitet hat. Intensiv hatte sich die in zehn Jahren zuvor oft zutiefst respektvolle Presse der Affären des sächsischen Regierungschefs angenommen.

Biedenkopf hätte das an diesem Abend – an dem im Dresdner Coselpalais viele Politiker seiner Partei und seines Kabinetts teilnahmen – kaum verdrängen können. Schon am Eingang wurden die Besucher von übermannshohen Stellwänden empfangen, die eine Art Rückblick bedeuteten: Sie boten den Besuchern jeweils zehn Angebote für das zu wählende Zitat des Jahres und die Schlagzeile des Jahres. Der Schirmherr kommentierte in seiner Ansprache die Vorauswahl mit zuletzt ungekannter Heiterkeit und Selbstironie: Er bemerkte, dass er ausgesprochen häufig erwähnt worden sei. Diese Erwähnung sei zwar nicht immer positiv, aber doch ein Zeichen von Aufmerksamkeit. Dafür wolle er sich bedanken.

Die Aufmerksamkeit hatte sich etwa in der Überschrift „Kurt Kohl“ niedergeschlagen, mit der der Berliner Tagesspiegel andeutete, dass Biedenkopf dem Altkanzler immer ähnlicher werde, dessen Führungsstil er lange gegeißelt hatte. Mit der Überschrift „Ingrids Lummerland“ hatte der Spiegel die intensive Teilnahme seiner Gattin am Regierungsgeschehen karikiert, die Süddeutsche Zeitung hatte den Einfluss von Partei und Umfeld mit dem Titel „Umzingelt von Bewunderern“ beschrieben und stand damit in der Vorauswahl.

Auch die Zitatenreihe konnte Sachsens Regenten nicht durchgehend Freude bereiten. So hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz zu einem Regierungsbericht über Biedenkopfs Mietaffäre befunden, dass dieser so ähnlich sei, „wie wenn die Feuerwehr den Wasserschlauch und den Benzinschlauch verwechselt“. Die meisten Stimmen erhielt – im sonst politisch so konservativen Sachsen – ausgerechnet der unbändigste Jäger Biedenkopfs, der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle, der dem Ministerpräsidenten seit Monaten zusetzt. Nolle wurde unter heftigem Beifall und schrillen Pfiffen prämiert für das Zitat: „Wenn Sie wissen wollen, wo die Sächsische Staatskanzlei ist, dann gehen Sie immer den Bach runter.“ Als Schlagzeile des Jahres wurde der prägnante Boulevard-Titel ausgesucht, mit dem Biedenkopfs Mietaffäre begann: „Biko: Villa wohnen – Platte zahlen“ von der Dresdner Morgenpost.

Als dies bekannt wurde, war Biedenkopf schon gegangen. Er hatte zuvor in seiner Rede an die Sieger-Schlagzeile aus dem letzten Jahr erinnert, die noch immer Gültigkeit hätte. Sie war zu Zeiten entstanden, als die enorme Unruhe um Biedenkopf noch absolut undenkbar war. Damals hatte die FAZ getitelt, dass seine Frau entscheide, wann Biedenkopf gehe.
JENS SCHNEIDER