Karl Nolle, MdL
MDR ONLINE, 12:32, 24.08.2001
Jurk: Sächsische Landstriche drohen Altersheime zu werden
Der sächsische SPD-Fraktionschef Thomas Jurk im Interview mit MDR ONLINE
Der sächsische SPD-Fraktionschef Jurk sieht "wirres Treiben" bei der Landes-CDU und dadurch die Chance, dass die inhaltlichen Vorschläge seiner Partei stärker Gehör finden. Im Interview mit MDR ONLINE wirft er der Regierung vor, sie vernachlässige Schüler und Mittelständler. Sparen will Jurk durch einen Umbau der Verwaltung. Das frei werdende Geld soll für Bildung ausgegeben werden. Auch an die Adresse der Bundesregierung geht Jurks Warnung, in Sachsen drohten einige Landstriche zu Altersheimen zu werden. Gefährdet seien vor allem die Regionen an der Grenze zu Polen und Tschechien.
MDR ONLINE: Sie haben kürzlich auf der Klausurtagung Ihrer Fraktion gesagt: "Wir sind die Partei der 860.000 Stimmen bei der letzten Bundestagswahl und nicht die Partei der 270.000 Stimmen der letzten Landtagswahl." Was haben Sie denn beschlossen, um die Wählerinnen und Wählern davon zu überzeugen?
Thomas Jurk: Ich wollte zunächst das Potenzial der SPD in Sachsen darstellen. Wir haben jetzt die fast schon historische Chance, dieses Potenzial auch einmal bei einer Landtagswahl auszuschöpfen. An der Spitze des Landes steht ein Wechsel an und bei der CDU herrscht ein sehr wirres Treiben. Für die SPD öffnet sich ein neues politisches Fenster. Wir haben ja seit 1990 nicht etwa schlecht gearbeitet, sondern wir hatten das Problem, diese Politik gegen die Strahlefigur eines Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf bekannt zu machen. Der absolutistische Stil des Ministerpräsidenten hat dazu geführt, dass politische Inhalte auf Landesebene kaum noch kommuniziert wurden. Dabei hat die SPD überzeugende Zukunftskonzepte für Schulen und Hochschulen, Kinderbetreuung und die Entwicklung des heimischen Mittelstands. Wir sind jetzt dabei, eine Mittelstandsoffensive zu starten.
Wie wird diese Offensive aussehen?
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir bürokratische Hemmnisse für den Mittelstand weiter abbauen. Ich wünsche mir auch, dass der Wirtschaftsminister dieses Landes nicht nur in Vorzeigebetriebe geht. Herr Schommer muss sich auch mit Handwerk und Mittelstand beschäftigen. Einen konkreten Ansatzpunkt sehe ich im Erhalt der kommunalen Sparkassen. Hier geht es um die Frage, wie Kredite für kleine und mittelständische Unternehmen unkonventionell vergeben werden können. Wir dürfen nicht zulassen, dass durch den Trend zu Großbanken in Sachsen ein Vakuum für Finanzdienstleistungen und Beratung vor Ort entsteht.
Sie unterstützen die Bürgerinitiative zum Erhalt der kommunalen Sparkassen. Am 21. Oktober entscheiden die Sachsen in einer Volksabstimmung darüber. Glauben Sie, dass die Wählerinnen und Wähler den von der Regierung geplanten Finanzverbund kippen?
Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass die Bürgerinnen und Bürger die Chance nutzen werden, erstmals in der sächsischen Geschichte als Gesetzgeber aufzutreten.
Stichwort Abwanderung junger Leute aus dem Osten. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Schwanitz, sieht darin weniger ein Problem der neuen Länder als vielmehr ein gesamtdeutsches. Wie beurteilen Sie die Lage?
Einige Landstriche in Sachsen drohen zu Altersheimen zu werden. Darauf haben wir auf unserer Klausurtagung auch SPD-Generalsekretär Müntefering hingewiesen.
Regierung und Opposition in Sachsen sind sich einig, dass die Abwanderung dramatisch ist. Aber wo bleiben wirksame politische Gegenmittel?
Das Problem existiert natürlich in ganz Ostdeutschland. Hinzu kommt, dass wir in Sachsen trotz aller Erwartungen an die EU-Osterweiterung ziemlich eingeengte Marktchancen haben . Die Abwanderung aus den Grenzregionen wird deshalb weitergehen. Nachdem wir den Solidarpakt II hinbekommen haben , müssen wir uns jetzt im Detail noch einmal verständigen, an welchen Punkten wir ursächlich ostdeutsche Ansätze brauchen. Das betrifft z.B. die Eigenkapitaldecke unserer mittelständischen Industriebetriebe. Solange wir nämlich keine Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse haben, wird die Notwendigkeit bestehen, im Osten in besonderer Weise etwas zu tun. Damit meine ich nicht nur mehr Finanzen, sondern auch Strukturfragen.
Das heißt konkret?
Wir müssen an die Verwaltungsstrukturen in Sachsen herangehen, um Geld zu sparen und in Bildung umzuleiten. Der ach so kluge Professor Biedenkopf hat in Sachsen eigentlich nur 1:1 abgekupfert, was in den alten Ländern war.
Trotzdem bleibt, dass auch eine SPD-geführte Landesregierung insgesamt nicht mehr Geld hätte. Wie würden Sie denn die derzeitigen Steuerausfälle ausgleichen, mit denen Finanzminister de Maizière seine Haushaltssperre begründet?
Ich bin dafür, bei Klein- und Kleinstförderprogrammen in allen Ministerien einzusparen, um die Hochschulen von Kürzungen zu verschonen. Andererseits bin ich sehr gespannt zu erfahren, wo die CDU das Geld für die Rücknahme der Kürzungen beim Landeserziehungsgeld gefunden hat.
Ex-Finanzminister Milbradt sagt, die Biedenkopf-Regierung habe keine wesentlichen Fehler gemacht. Sie sehen das sicherlich anders.
Ein Beispiel. Ich komme gerade aus Radebeul von einem Besuch beim Druckmaschinenbetrieb Planeta. Dem Unternehmen geht es wirklich blendend. Aber die Lehrausbilder haben mir auch gesagt, dass die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lehrstellenbewerber im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich in den letzten Jahren immer schlechter geworden sind. Da hat die Schulpolitik zu wenig getan. Herr Rößler kennt die Riesendefizite. Aber er tut nichts dagegen.
Trotz Ihrer Kritik und trotz der Affärenvorwürfe gegen Ministerpräsident Biedenkopf liegt die CDU nach Umfragen in der Wählergunst weiter eindeutig vorn. Sie scheinen immer noch weit von der Macht entfernt.
Aber die absolute Mehrheit der CDU sinkt stetig. Die Kommunalwahlen waren für die Union wenig erfreulich. Von den Großstädten regiert sie nur noch Zwickau.
Sie halten sich die Option offen, 2004 sowohl mit der CDU als auch mit der PDS zu koalieren. Warum?
Ich glaube, das ist auch im Interesse der sächsischen Wählerinnen und Wähler. Es ist wichtig, dass sich Partner für eine Koalition zusammenfinden, zwischen denen die Chemie auch persönlich stimmt. Aber am wichtigsten ist, dass die Programmatik zumindest ansatzweise übereinander zu legen ist. Mit welcher Partei das am besten funktioniert, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Sozialpolitisch müsste Ihnen ja die PDS eindeutig näher stehen.
Die Frage ist, ob man den Leuten alles versprechen kann, oder ob man den Leuten das Bewusstsein gibt, alles halten zu können.
Können Sie menschlich mit Porsch, Milbradt und Flath?
Ich denke schon, dass es da keine Schwierigkeiten gibt.
Ist es kein Problem für Sie, dass die PDS aus der SED hervorgegangen ist?
Natürlich ist das ein Problem. Aber man muss auch die Vergangenheit der CDU sehen. Die Leute vergessen das nicht. Sie wollen aber auch ganz genau wissen, wie es mit einer poltischen Partei weiter geht.
In SPD-Kreisen geht das Bonmot um: "120 Kilo Nolle machen bereits die halbe SPD-Opposition aus." Ihren Namen, Herr Jurk, kennen nur wenige Sachsen. Wie wollen Sie das ändern?
Weiter durchs Land ziehen und mit den Menschen reden.