Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 01.09.2001

Maulkorb: Kein Wort zu Frau Biedenkopf

Ex-Liegenschaftsamtschef belastet in der sächsischen Amigo-Affäre den Ministerpräsidenten
 
DRESDEN. Bei der Anmietung des Behördenzentrums Paunsdorf von einem engen Freund Kurt Biedenkopfs haben Sachsens Beamte faktisch keinen Verhandlungsspielraum gehabt. In einem Fall nannte der Investor und Biedenkopf-Freund Heinz Barth die Mietkonditionen einem Beamten im Finanzministerium am Telefon. "Da gab's nichts mehr zu verhandeln", sagte der ehemalige Leiter des Staatlichen Liegenschaftsamtes Leipzig, Norbert Steiner, gestern als Zeuge vor dem Landtags-Untersuchungsausschuss. Der Ausschuss versucht, die Amigo-Vorwürfe zu durchleuchten.

Für die anderen Mietverträge betrachtet Steiner den Vermerk Biedenkopfs vom 1. Juli 1993 als bindende Anweisung. Darin sind handschriftlich Miethöhe, Vertragslaufzeit und andere Bedingungen notiert. "Diese Verträge sind zum Nachteil Sachsens", sagte der bayrische Finanzbeamte. Er bezifferte den Behörden-Bedarf auf rund 17 000 Quadratmeter Bürofläche. Angemietet wurden jedoch 53 000 Quadratmeter. Behördenleiter, die nicht nach Paunsdorf wollten, wurden in einer "Überzeugungssitzung" auf Linie gebracht. Durch ähnliches Vorgehen in anderen Fällen sei dem Freistaat in seinem Bereich ein Schaden von 260 bis 300 Millionen Mark (132,9 bis 153,3 Millionen Euro) entstanden, sagte Steiner. Die Verluste Paunsdorf nannte er nicht.

Steiner war 1994 mit 52 Jahren gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt worden. Möglicherweise auf Veranlassung der Gattin des Ministerpräsidenten, sagte er. Das habe er von einem hohen Beamten des Finanzministeriums erfahren. Steiner wies darauf hin, dass Ingrid Biedenkopf intensiver in die Paunsdorf-Affäre verwickelt sein könnte. Sie habe in der Sache Telefonate entgegengenommen. Kurt Biedenkopf bestreitet ein Engagement seiner Frau. Steiner trat quasi mit einem Maulkorb in den Zeugenstand. Vor zehn Tagen sei ihm aus dem Finanzministerium telefonisch klar gemacht worden: "Kein Wort zu Frau Biedenkopf." Auch zum Investorenmodell Grimma wollte er aussagen, durfte aber nicht. Das Ministerium warnte ihn vor strafrechtlichen Folgen seiner Aussage und bot einen Anwalt an.

Sprecher der Opposition bewerteten die Aussage als schwere Belastung Biedenkopfs. Peter Jahr (CDU) zweifelt dagegen an Steiners Glaubwürdigkeit, nennt seine Aussage eine "Räuberpistole". Der Bayer Steiner kommentiert die Affäre spöttisch: "Dem Strauß wäre das nicht passiert." (SZ/ts)