Karl Nolle, MdL
Freie Presse, 30.08.2001
Milbradt: Ich bin kein Traumtänzer
Früherer sächsischer Finanzminister über die Motive seines Ehrgeizes, zur Rolle Biedenkopfs und zu den Erwartungen seiner Helfer
DRESDEN. Eine starke Stellung, wie sie Kurt Biedenkopf in Sachsen einnimmt, werde es künftig nicht mehr geben. "Diese Konstellation war richtig in den Nachwende-Jahren und das Geheimnis unserer Anfangserfolge", sagte der frühere Finanzminister Georg Milbradt. In einem Gespräch, das Hubert Kemper für die "Freie Presse" führte, nimmt der Bewerber um den Vorsitz der CDU Stellung zu seinen Ambitionen für das Amt des Ministerpräsidenten, seiner früheren Sparpolitik und heutigen Forderungen zur Stärkung der Familie.
Freie Presse: Es hat nicht an Versuchen gefehlt, Sie vom Griff zur Macht abzuhalten. Was treibt Sie an: Ehrgeiz oder auch Revanche an Biedenkopf!
Georg Milbradt: Ich greife nicht nach der Macht, sondern bewerbe mich um den CDU-Landesvorsitz. Nach meinem Ausscheiden aus der Regierung habe ich Lob und Anerkennung für die geleistete Arbeit bekommen. Viele baten mich, weiterhin in und für Sachsen tätig zu sein.
Freie Presse: Sie haben mehrfach gefordert, im Wettbewerb mit Steffen Flath eine faire Chance zu erhalten. Haben Sie daran Zweifel, nachdem Sie in einigen Umfragen vorn liegen?
Milbradt: Eine faire Chance gibt es nur, wenn Regierungs- und Parteiangelegenheiten auseinandergehalten werden.
Freie Presse: Sie bezeichnen sich gern als Ein-Mann-Betrieb, verfügen aber über ein rühriges Helferteam, sind durch keine andere Aufgabe gebunden und bereits seit Februar auf Werbetour. Ist das keine faire Chance?
Milbradt: Ich habe bis zum 15. August keine Werbetour für mich gemacht, sondern als stellvertretender Landesvorsitzender im Kommunalwahlkampf die CDU-Kandidaten unterstützt. Schon immer habe ich mich intensiv um die Basis unserer Partei gekümmert. Hätte ich sonst das beste Ergebnis als Stellvertreter beim letzten Landesparteitag erhalten? Im übrigen: Die Vorstellung, ich hätte eine professionelle Truppe, schmeichelt mir, aber das meiste mache ich selbst.
Freie Presse: Wie würde ein Parteivorsitzender Milbradt mit einem Regierungschef Biedenkopf zusammenarbeiten, der ihn ablehnt?
Milbradt: Man muss das Ergebnis einer freien Wahl akzeptieren, sich gegenseitig respektieren und unterstützen.
Freie Presse: ... auch wenn Biedenkopf bis 2004 im Amt bleibt, um Sie von der Macht abzuhalten?
Milbradt: Der Ministerpräsident ist ein kluger und erfahrener Mann. Er weiß, wie man mit demokratischen Entscheidungen umgeht.
Freie Presse: Sie fordern eine starke, eigenständige Partei, obwohl ein Ministerpräsident Milbradt daran kein Interesse haben dürfte.
Milbradt: Ich wünsche mir eine starke und attraktive Partei, die nicht nur Beiträge einsammelt und Wahlplakate klebt. Sie muss offen, diskussionsfreudig und selbstbewusst sein und daraus frische Kraft schöpfen. Entscheidungen müssen stärker in und mit der Partei fallen. Eine so starke Konzentration wie auf Kurt Biedenkopf wird es nicht wieder geben. Diese Konstellation war richtig in den Nachwende-Jahren und das Geheimnis unserer Anfangserfolge. Künftig wird es auch in Sachsen eine stärkere Machtbalance geben.
Freie Presse: Wie wollen Sie die Erwartungen der Ex-Minister und anderer Helfer erfüllen, wenn Sie an der Spitze der Regierung stehen?
Milbradt: Meine Freunde erwarten keine Belohnung.
Freie Presse: Als Finanzminister haben Sie das Landeserziehungsgeld gekürzt, jetzt verlangen Sie 1000 Mark pro Kind und Monat. Wie passt das zusammen?
Milbradt: Ich habe das Landeserziehungsgeld nicht gekürzt. Das Kabinett hat mit der Stimme des Ministerpräsidenten ein entsprechendes Gesetz vorgeschlagen, das der Landtag mit den Stimmen der CDU beschlossen hat. Diese schmerzliche Maßnahme war nötig, damit die Ausgaben nicht die Einnahmen ständig übersteigen. Verschuldung wälzt die Last auf die nächste Generation ab. Auch jetzt noch zahlt Sachsen weit mehr als im Schnitt die anderen Länder. Die meisten zahlen trotz höherer Steuereinnahmen überhaupt nichts. Bei meinem Vorschlag eines Familiengeldes handelt es sich um eine grundlegende Reform unseres Steuer- und Sozialsystems, die auf der Bundesebene beschlossen werden muss. Kinder sind unsere Zukunft und dürfen kein Armutsgrund sein. Familienpolitik ist nach meiner Vorstellung kein Unterfall der Sozialpolitik, also Hilfe an Bedürftige, sondern allgemeine Gesellschaftspolitik, also Beteiligung des Staates an den Kosten der Erziehung von Kindern. Die Belastungen müssen alle Staatsebenen tragen.
Freie Presse: Im Frühjahr haben Sie noch den forcierten Ausbau der Autobahn Chemnitz-Leipzig abgelehnt. Jetzt treten Sie vehement dafür ein, weil sich Sachsen um Olympia 2012 bewirbt.
Milbradt: Ich habe den Bau nicht abgelehnt, sondern gefordert, dass der Bund seinen Verpflichtungen in Sachsen nachkommt; denn er baut Autobahnen. Der Freistaat kann nicht Bundesaufgaben finanzieren. Olympia in Sachsen würde uns nicht nur ein Weltsportereignis bescheren, sondern auch den Ausbau der Infrastruktur und damit die wirtschaftliche Entwicklung erheblich beschleunigen, so wie in München 1972. Der Bundeskanzler soll dieses Projekt zur Chefsache machen, um den Osten nachhaltig zu fördern.
Freie Presse: Sie sind in Ihrer neuen Rolle zu Populismus verurteilt?
Milbradt: Nein. Ich halte, was ich verspreche.
Freie Presse: Ein alter Vorwurf lautet, sie betrachten die Welt zu sehr aus der Sicht des Haushälters.
Milbradt: Ich bin kein Traumtänzer. Der Aufbau unseres Landes ist ein Marathonlauf und kein 100-m-Sprint. Die Zustimmung für mich zeigt, dass die Bevölkerung das auch so sieht.