Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 28.08.2001
Landesväterliche Selbstinszenierung behindert die CDU
Politik-Experte Vorländer zur Biedenkopf-Nachfolge - "Kurt Biedenkopf hat den Bezug zur Wirklichkeit verloren..."
DRESDEN. Wie andere Politikgrößen hat Kurt Biedenkopf den Bezug zur Wirklichkeit verloren, meint Professor Hans Vorländer, Politikwissenschaftler an der Technischen Uni Dresden. Der Regierungschef habe den Zeitpunkt seines Abtritts verpasst, jetzt sei ihm die Nachfolgeregelung entglitten. Für Biedenkopf sei das ein Drama, für die Partei ein notwendiger Emanzipationsprozess.
Frage: Adenauer, Kohl, Biedenkopf - große Politiker tun sich schwer mit ihrer eigenen Nachfolge. Warum verläuft die Suche nach dem Kronprinzen so selten glatt?
Hans Vorländer: Weil Politikgrößen vom eigenen Erfolg geblendet sind. Es ist ein Phänomen, das sich durch die gesamte Geschichte zieht: je stärker die Person, umso größer ist der Hang zur Selbstblendung. Alle drei Politiker haben den richtigen Zeitpunkt ihres Abtritts verpasst. Damit sind sie nicht mehr Herr des Verfahrens. Es ist wie bei Shakespeare: König Lear wusste auch sein Reich nicht rechtzeitig zu bestellen. Damit nimmt das Drama seinen Lauf.
Folge ist ein Machtvakuum. Wer trägt die Verantwortung?
Nicht zuletzt die Gefolgschaft. Durch ihr höfisches Verhalten verstärkt die zweite Reihe die Neigung des Regenten zum Wirklichkeitsverlust. Die Gefolgschaft handelt opportunistisch, passt sich ihm an und vergisst, langfristig die Machtbasis zu sichern. So auch in Sachsen: Die CDU hat ihre Selbstständigkeit aufgegeben, diese aber ist wichtig für den Rückhalt in der Bevölkerung.
Politiker in der Demokratie sind nur auf Zeit gewählt. Woher rührt der Hang, diese Tatsache unter der Hand zu ignorieren?
Zum einen fördert die Mediengesellschaft starke Führerpersonen. Es gibt einen schleichenden Bonapartismus in der Politik. Zum anderen sind Führer nur so stark, wie die Partei sie werden lässt. Wird die Führung nicht auf mehrere Schultern verteilt, glaubt der Regent am Ende wirklich, er wäre unersetzlich. Das ist natürlich eine Illusion.
Wie lange kann ein Regent auf schwache Statthalter vertrauen, ohne seine Machtbasis zu verlieren?
Solange bis die Pfründe in Gefahr geraten. Wenn der einfache Abgeordnete um sein Landtagsmandat bangt, kann es zu Eruptionen kommen. Dann wird der Chef durch die eigene Gefolgschaft entmachtet. Es ist wie in einer Vater-Kind-Beziehung: Irgendwann wird der Jugendliche sich emanzipieren. Die landesväterliche Selbstinszenierung ist gut für das Publikum, aber hindert die Partei, ihren Weg zu gehen. Dann fehlt nur noch ein Gegenspieler wie Ex-Minister Milbradt in Sachsen.
Dessen Kontroverse mit Biedenkopf erinnert an eine schlechte Ehe. Erst gibt es Verletzungen, dann folgt Sprachlosigkeit. Am Ende steht der Bruch. Ist das ein Fall für einen Therapeuten?
Es gibt Phasen, da kann nur noch der Scheidungsanwalt helfen. Denn wer Probleme zu lange wegsteckt, baut ein Frustpotenzial auf, das nach Entladung drängt. An diesem Punkt ist Politik genauso irrational wie das Leben.
Die Sachsen-Union steht vor einem Zweikampf. Ist das ein Problem?
Im Gegenteil, es ist ein Glücksfall. Zu lange war die innerparteiliche Demokratie stillgelegt. Elf Jahre nach der Wende kommt die CDU jetzt in die Pubertät. Und wie in dieser läuft der Prozess der Selbstfindung nicht konfliktfrei ab. Allen, die sich davor fürchten, kann man nur sagen: Gewitter können manchmal auch reinigend sein.
Interview: Jürgen Kochinke