Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 28.07.1999
Ja, ich bin ein Automann - Loblied vom Aufbau Ost
Gerhard Schröderbesucht Autokonzern und Mittelstand
SACHSEN. Das Foto ging damals durch sämtliche Gazetten. Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine auf brüderlicher Wanderschaft im Saarland. Dieses Mal wird es die Sächsische Schweiz sein und an Kanzlers Seite wird Karl-Heinz Kunckel marschieren. Der Gerhard könnte ruhig öfter mal in Sachsen vorbeischauen und beim Sägen an Biedenkopfs Stuhl helfen, findet der SPD-Spitzenkandidat. Gestern gelang es ihm, Schröder zu einer gemeinsamen Wanderung in den nächsten Wochen zu überreden. Denn den Aufbau Ost zur Chefsache zu machen, sei nicht nur eine ökonomische Frage, meint Kunckel, sondern auch eine psychologische.
Pompöses Spektakel für die gläserne Manufaktur
So wie gestern. Da gab es Schröder satt in der Landeshauptstadt. Zunächst jedoch nicht auf der SPD-Bühne, sondern im Volkswagen-Zelt. In trauter Einigkeit mit dem CDU-Ministerpräsidenten preist der Kanzler dort eine "gelungene Symbiose von Innovation und Investition" und legt den Grundstein für die gläserne VW-Manufaktur. Gemeinsam mit VW-Chef Piëch singt man das Loblied vom Aufbau Ost, von Unternehmergeist und Zukunftsvisionen. Schröder nutzt das pompöse Spektakel gern, um sich ein weiteres Mal zum Etikett "Automann" zu bekennen. Das sei nämlich kein Schimpfwort, sondern eine Anerkennung der Bedeutung und Leistung der Automobilindustrie. "Dahinter steckt ja nicht nur die Leistung der Manager, sondern auch die der Hunderttausenden Beschäftigten", betont er ganz sozialdemokratisch. Und weil es sich gerade anbietet, gibt's auch noch ein paar Tritte gegen Trittin. Ohne die Reizworte "Altautoverordnung" und "Sommersmog" zu nennen, erklärt er, alle Rahmenbedingungen könnten nur im Einvernehmen mit der Automobilindustrie getroffen werden. Ob Piëch geschmunzelt hat, war nicht zu sehen. Auch wenn Schröder müde und lustlos wirkt, er hat seine Masche drauf. Immer einen Scherz auf den Lippen: wenn alles von der großartigen Großartigkeit Dresdens schwärmt, zitiert er eben den Dadaisten Kurt Schwitters, der Hannover liebte. Immer eine lockere Geste parat: wenn alles noch im Jackett schwitzt, steht Schröder längst im Hemde da. Wenn Biedenkopf nebst Gattin im gelben Hut ehrfürchtig vor dem Modell der Manufaktur steht, stützt der Kanzler lässig den Arm auf die Glasvitrine. "Ein schönes Bild", sagt er. Und meint das, was die drängelnden Fotografen gerade von ihm schießen. Echte Luxuskarossen für erlesenes Publikum sollen am Straßburger Platz produziert werden. Paßt prima zur aktuellen Debatte um die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Doch auf solche Fragen winkt der Kanzler nur grinsend ab. Auch Karl-Heinz Kunckel hätte hier wohl Diskussionsbedarf. Er befürwortet nämlich die Versteuerung von Vermögen, was Schröder ablehnt. Doch solchen Disput trägt man nicht an schönen, heißen Sommertagen aus, schon gar nicht bei Volksfesten. Vormittags regierungsamtlich, staatstragend beim "global player" VW, nachmittags sozialdemokratisch-hemdsärmelig der Mittelstand. Karl Nolle hat das Volk geladen, zu Würstchen, Bier und Bundeskanzler. Der Chef des Druckhauses Dresden will präsentieren, was er aufgebaut hat. Der Unternehmer und der Kanzler sind Kumpanen aus alter, linker Juso-Zeit. "Wir haben uns beide ziemlich verändert und wissen nur nicht, wer von beiden mehr", sagt Schröder. Der Kanzler komme, um den Sachsen den "Optimismus zum weiteren, erfolgreichen Aufbau Ost zurückzubringen", hatte es auf den Ankündigungsplakaten geheißen. In der Tat hält er eine richtige Wahlkampfrede mit dem Tenor: "Wir müssen da jetzt durch." Gemeint ist das rigide und viel gescholtene Sparpaket. Plötzlich ist Schröder viel ernsthafter und wird nur flapsig, wenn es ums Rechnen geht. "Damit Sie wissen, wieviel eine Milliarde Mark sind: da können Sie Ihrer Frau jeden Tag 10 000 Mark zum Einkaufen geben und sehen sie 300 Jahre nicht wieder." Viel reden mag er aber auch hier nicht. Zu heiß ist's. Lieber gibt er Autogramme und nimmt Geschenke entgegen. Die Dresdner Künstlerin Sommer-Landgraf zum Beispiel kann der nächsten Neujahrsansprache entgegenfiebern. Denn der Kanzler hat versprochen, dabei die kleine Miniatur, die sie ihm geschenkt hat, ins Bild zu rücken.
(von Heinrich Löbbers)