Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 10.12.2001

Bohren an der empfindlichsten Stelle

Die Opposition fragt nach der Rolle Ingrid Biedenkopfs - Die CDU will mit Verfahrenstricks die Vernehmung der Ministerpräsidenten-Gattin verhindern
 
Irgendwann, das wird Kurt Biedenkopf geahnt haben, würde diese Frage kommen. Er musste auf sie gefasst sein, in seiner Staatskanzlei kannte man schließlich die Akten. Doch als es so weit war, konnte der sächsische Ministerpräsident trotz allem nicht gelassen reagieren. „Ich weise diese Frage zurück“, empörte sich der Regierungschef im Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtags. „Sie ist ungehörig, im höchsten Maße ungehörig!“ In diesem Moment konnten alle im Saal spüren, was sie ohnehin wussten: dass man an die empfindlichste Stelle des Ministerpräsidenten gerührt hatte. Es ging um den guten Namen seiner Frau Ingrid.

Unglaublich fand Biedenkopf schon die Frage. „War oder ist Ihre Ehefrau an Firmen des Herrn Barth direkt oder indirekt finanziell beteiligt?“, wollte der PDS-Abgeordnete Andre Hahn von Biedenkopf wissen. Die Brisanz der Frage war offenkundig, schließlich geht es in diesem Untersuchungsausschuss um die Frage, ob Biedenkopf seinem Freund Heinz Barth zu Lasten des Landes im Fall Paunsdorf geholfen hat. Was wäre nun, wenn seine Frau an Barths Geschäften beteiligt war? „Zu meinem großen Bedauern sind wir nicht beteiligt, sonst wären wir reiche Leute“, echauffierte sich der Regierungschef. Darauf zitierte Hahn eine Zeugenaussage, die ein früherer Beamter des Landes vor Ermittlern des Landeskriminalamtes gemacht hatte, wonach Frau Biedenkopf eben doch finanziell beteiligt gewesen sei. Nun steigerte sich die Erregung des Ministerpräsidenten. „Das ist nicht wahr, das ist alles nicht wahr. Das ist reine Verleumdung!“

Es war Ende Februar, als mit diesem Wortwechsel im Untersuchungsausschuss eine mögliche Verwicklung von Ingrid Biedenkopf zum ersten Mal öffentlich wurde. Von Sitzung zu Sitzung versuchte die sächsische Opposition seither, die Mutmaßungen über Verbindungen der Gattin des Ministerpräsidenten zum Paunsdorf-Investor zu erhärten. Am vergangenen Freitagabend befasste sich der Ausschuss nun mit dem Antrag, die Frau des Regierungschefs anzuhören. Ob die Opposition sich inhaltlich von der Befragung viel erhoffen darf, ist ungewiss.
Aber es sind auch nicht die Inhalte, deretwegen der Gedanke an die Vorladung Ingrid Biedenkopfs die politische Szene in Dresden elektrisiert. Es ist die Vorstellung, die Dame mit dem eigenwilligen, oft überschäumenden Temperament und der gelegentlich hochfahrenden Art in so unvertrauter Atmosphäre zu sehen – von Angesicht zu Angesicht mit den penetranten Fragern von PDS und SPD. Vor allem aber wird die Wirkung auf ihren Mann beobachtet. Nicht erst seine Antworten im Ausschuss zeigten, wie unverfroren und unzumutbar er es findet, wenn seine Frau vom politischen Gegner in die Recherchen einbezogen wird. Im Regierungslager argwöhnt man, dass die Opposition die Sache gerade deshalb forciert.

Die Fragen der Abgeordneten zur Rolle Ingrid Biedenkopfs kommen indes keineswegs ganz aus dem Blauen heraus. Schon in den zahlreichen Akten, die ihnen für den Ausschuss zur Verfügung gestellt wurden, fanden die Parlamentarier Hinweise. Dazu zählt die von Hahn zitierte Zeugenaussage. Aus einem anderen Aktenvermerk zog die Opposition den Schluss, dass Ingrid Biedenkopf sich selbst in der Sache Paunsdorf engagierte und mit dem damals zuständigen Abteilungsleiter im Finanzministerium über die Paunsdorf- Mietverträge sprach. Kurt Biedenkopf wies auch das zurück, seine Frau kenne das Projekt gar nicht. Überhaupt verstehe sie nichts von Investitionen.

Im Spätsommer wurde dann der frühere Leiter des Liegenschaftsamtes Norbert Steiner als Zeuge angehört, in dessen Obhut das Projekt lange lag. Steiner sprach offen davon, dass Ingrid Biedenkopf in die Verhandlungen involviert gewesen sei; sie habe sich auch in andere Immobiliengeschäfte eingemischt. Er habe gehört, erklärte er dem Ausschuss, dass Frau Biedenkopf „beteiligt sei an dem. Da fiel sogar ein Betrag“, erinnerte er sich, wusste nur nicht mehr: „waren’s vier oder fünf Millionen?“

Diese Aussage, für die es bisher keine Belege gibt, hat der Sache Ingrid Biedenkopf Dynamik verliehen. Die Regenten-Gattin hat inzwischen juristische Schritte gegen Steiner eingeleitet, auch eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass es die behauptete Beteiligung nicht gebe. Nun steht ihre Aussage aus.

Die erwartete Entscheidung über ihre Vernehmung im Untersuchungsausschuss kam am Freitag indes nicht zu Stande. Die Vertreter der Union wollten vorher ein schriftliches Gutachten vom juristischen Dienst des Landtages darüber, ob die Vorladung zulässig sei. Die Vertreter der Opposition argwöhnten eine Verzögerungstaktik und verließen die Sitzung. Zum dritten Mal habe die CDU damit eine Vorladung verhindert, klagte PDS-Mann Hahn. Der Sozialdemokrat Karl Nolle spricht von Parteitaktik. Er gehe davon aus, dass die „gebeutelte CDU-Fraktion sich nicht noch das Weihnachtsfest durch Ingrid vermiesen lassen will.“
(Jens Schneider)