Karl Nolle, MdL
Süddeutsche Zeitung, 15.12.2001
Der entrückte Ministerpräsident
Kommentar von Jens Schneider
Die Frage war extrem demütigend, aber offenkundig zwingend. Sie lag nicht nur für den Chef der sächsischen CDU auf der Hand. „Kommt da noch was, Kurt?“, wollte Georg Milbradt Mitte dieser Woche von Ministerpräsident Biedenkopf wissen. Seit einem Jahr reihen sich die peinlichen Affären des einst glanzvollen Regierungschefs aneinander. Da war zunächst die billige Miete im Gästehaus der Regierung. Dann wurde seine für das Land teure Einflussnahme zu Gunsten eines Freundes offenkundig. Als nächstes musste man auf Grund von Schreiben dieses Investors den Eindruck gewinnen, dass Biedenkopf in einem Untersuchungsausschuss gelogen habe.
Nun lacht das Land seit einer Woche über die Sonderrabatte des Ministerpräsidenten und seiner Frau. Doch Biedenkopf gibt sich ungerührt. Er will bleiben, sieht sich verfolgt und im Recht. Es konnte ihm am Freitag vor dem sächsischen Landtag nicht gelingen, den Vorwurf der Lüge auszuräumen. Die Widersprüche zu den belastenden Dokumenten bleiben evident. Doch längst von Alltag und Welt entrückt, reklamiert der Ministerpräsident ohnehin für sich andere Maßstäbe. In seiner Gedankenwelt kann man sich auch als Regierungschef gegen alle Spielregeln für Freunde einsetzen. Und als Ministerpräsidentengattin privat bei Karstadt einen Sonderrabatt bekommen, wenn man nur auch mal was spendet. In dieser Welt kann Kurt Biedenkopf gar nicht der Lüge überführt werden, weil das, was er sagt, sowieso immer wahr ist.
Nur glaubt man das immer weniger. Kommt da noch was, wollte seine Partei wissen. Wer sich so vor der Welt verschanzt, wird zum Getriebenen. Getrieben von Fakten, die er selbst geschaffen hat, aber nicht wahrnehmen will.