Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemitz, 07.01.2002
Letzte Pflichttermine vor dem Stühlerücken
Biedenkopf geht, aber nicht sofort - Milbradts Hypotheken
DRESDEN. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf wird am Montag nach der Rückkehr aus dem Weihnachtsurlaub am Chiemsee wieder seinen Dienst antreten. Der Terminplan für diese Woche ist gut gefüllt. Spekulationen, er werde bereits am Dienstag in der ersten Kabinettssitzung seinen sofortigen Rücktritt verkünden, werden sich kaum erfüllen. Biedenkopf ist zwar amtsmüde, aber er will das Feld nicht fluchtartig räumen. In dieser Haltung sieht er sich im Einklang mit einer Mehrheit im Lande, die die Serie von Skandalen und Skandälchen mit größerer Gelassenheit bewertet als das unter der „Dunstglocke Dresden“ der Fall ist.
Auf den scheidenden Sachsen-Regenten warten in den nächsten Wochen noch Aufgaben, die er nicht als Pensionär in Radebeul oder am Chiemsee lösen möchte. Am 10. Januar muss er erneut vor dem Paunsdorf-Ausschuss auftreten, für den 25. Februar freut sich die Opposition auf die Aussage seiner Ehefrau Ingrid. Vom 19. bis 23. Februar will Biedenkopf die deutschen Soldaten im Kosovo besuchen. Wichtiger als andere Themen nimmt der ehemalige Rektor die Gestaltung der zukünftigen Hochschullandschaft. Wissenschaftsminister Joachim Meyer bedrängt ihn, die Umsetzung des Konsenspapieres persönlich zu beeinflussen.
Meyer mag dabei von der Sorge gedrängt sein, dass Sachsens Hochschulen unter einem neuen Ministerpräsidenten Georg Milbradt einen veränderten Stellenwert erhalten werden. Sich selbst dürfte Meyer gedanklich bereits aus weiteren Kabinettsplanungen ausgeklinkt haben. Er ist 66 Jahre alt und nahm sich im Sommer des Vorjahres die Freiheit, seine Meinung über den ehemaligen Finanzminister überaus deutlich zu veröffentlichen. Andere folgten diesem Beispiel im Vorfeld des Duells mit Steffen Flath um den CDU-Landesvorsitz, wenn auch in gedämpfter Tonlage: Wirtschaftsminister Kajo Schommer oder Innenminister Klaus Hardraht. Beide, rüstige „60er“, werden neuen Männern Platz machen. Für Schommer gilt Europaminister Stanislav Tillich als heißester Nachfolge-Kandidat, für Hardraht der Landtagsabgeordnete Horst Rasch.
Milbradt dürfte sich also noch etwas gedulden, ehe seine große Stunde schlägt. Zunächst wird ihn der CDU-Landesverband nominieren und die Fraktion dem Vorschlag folgen müssen. Milbradt weiß, dass er ein schweres Erbe antritt. Opposition und Links-Presse freuen sich bereits darauf, nach Abgang von Biedenkopf den neuen Mann mit möglicherweise alten Vorwürfen konfrontieren zu können. Die eigene Fraktion steht nur bedingt hinter ihm. Das allein nimmt ihm die Chance, mit der Nominierung eines Kabinetts unabhängiger Köpfe vom Start weg absolute Souveränität zu demonstrieren. Biedenkopfs 1990 ertrotzte „Chemnitzer Freiheiten“, die ihm uneingeschränkte Rechte bei der Kabinettsbildung einräumten, würden allerdings jedem Nachfolger verwehrt bleiben.
So dürfte der Mann, der demnächst das Land führen soll, mit mehreren schweren Hypotheken starten: Die zerstrittene Partei zu einigen, die Karriere-Erwartungen etlicher Mitläufer zu befriedigen und sein Image im Amt so aufzupolieren, dass es der CDU ein respektables Ergebnis bei der Bundestagswahl verschafft.
Zwischen Proporz-Verpflichtungen und fachlich orientiertem Denken wird Milbradt einige Kompromisse eingehen: So gilt der Verbleib von Thomas de Maiziere, der ihn nach seinem Rausschmiss menschlich enttäuscht hatte, im Finanzminister-Amt als sicher.
Auch Steffen Flath, CDU-Vize, wird bleiben. Matthias Rößler könnte die Meyer-Nachfolge antreten und seinem Generalsekretär Hermann Winkler als Kultus-Chef Platz machen. Christine Weber, einzige und mutige Frau im Kabinett, wird ebenso nicht weichen müssen. Ob sie aber ihren Traumjob erhält und Sozialminister Hans Geisler (62), ablöst, wird man sehen.
Biedenkopf wird dieses Personalgerangel nur noch aus der Distanz betrachten. Die bevorstehende Demission wird auch die jüngste Attacke von Karl Nolle (SPD) beeinflussen: Offenbar besorgt, er könne demnächst in Vergessenheit geraten, ließ er am Sonntag mit der Unterstellung aufhorchen, der Ministerpräsident könne aus dem Regierungs-Gästehaus Inventar abgezweigt haben. Nolle denkt an Leuchter, Gemälde, Uhren. Biedenkopf traut er offenbar alles zu.
(Von Hubert Kemper)